Mit steuerlichen Anreizen für Sanierungen und Renovationen wollte Italien die Konjunktur ankurbeln. Nun erweisen sich die Massnahmen als Fass ohne Boden. Das Land findet nicht aus dem finanzpolitischen Jammertal heraus.
In Rom hat am Dienstag eine etwas merkwürdige Medienkonferenz stattgefunden: Finanzminister Giancarlo Giorgetti hat wichtige finanzpolitische Kenngrössen präsentiert, ohne zu sagen, in welche Richtung er den Staatshaushalt zu steuern gedenkt. Normalerweise gibt die Regierung jeweils im April, wenn sie das sogenannte «Documento di Economia e Finanze» (DEF) vorlegen muss, einen ersten Ausblick auf die finanzpolitische Entwicklung der kommenden Monate. Man erhält dann jeweils eine Ahnung davon, wo die Regierung zu sparen oder auszubauen gedenkt.
Diesmal liess man es bei einigen Zahlen bewenden. Sie sind nicht erbaulich. «Die Verschuldung steigt, das Wachstum fällt», so brachte es der liberale Ökonom Carlo Cottarelli in der «Repubblica» auf den Punkt. Statt 1,2 Prozent BIP-Wachstum prognostiziert die Regierung für das laufende Jahr nun ein Wachstum von 1 Prozent, die Schulden erhöhen sich bis 2026 auf 139,8 Prozent des BIP. Damit bleibt Italien nach Griechenland das Land mit der zweithöchsten Staatsverschuldung in der EU.
Milde EU
Gerne wüssten die Wähler, wohin angesichts dieser Prognosen die Reise geht. Die Antwort der Regierung: Solange nicht klar sei, wie die Details des neuen europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes aussähen, könne man keine programmatischen Ansagen machen. Die EU hat das Vorgehen der Italiener offensichtlich akzeptiert (auch gegenüber anderen EU-Ländern zeigte sie sich diesbezüglich konziliant) – was Beobachter auch damit erklären, dass im Juni Europawahlen anstehen und die Karten in Brüssel neu gemischt werden. Man will keine Polemik und lässt die Mitglieder derzeit an der langen Leine.
Für Ökonomen wie Cottarelli ist das nur ein Vorwand. «Man versteht nicht, worauf sich Giorgetti bezieht und welche angeblichen Details sich auf die Definition unserer Ziele für die öffentlichen Finanzen auswirken sollen.» Klar ist schon heute, dass Italien im Sommer ein sogenanntes Defizitverfahren der EU zu gewärtigen hat und darin verpflichtet werden wird, das strukturelle Defizit um rund 0,3 Prozent des BIP pro Jahr zu senken. Auf 6 Milliarden Euro veranschlagt der «Corriere della Sera» die Einsparungen, die Italien deswegen im nächsten Haushalt vornehmen muss.
Dazu kommen geschätzt gegen 20 Milliarden Euro, die das Land aufbringen muss, um die Steuererleichterungen für kleine Einkommen und andere populäre Massnahmen zu verlängern, die man dieses Jahr eingeführt hat. Alles in allem happige Zahlen, die so oder so zu einschneidenden Massnahmen führen dürften – dies umso mehr, als der Spielraum für die Aufnahme weiterer Schulden sehr klein ist.
Italien findet auch unter der Regierung von Giorgia Meloni nicht aus seiner unseligen finanzpolitischen Spirale heraus. Die bittere Pille aber hebt man sich jetzt erst einmal für später auf. Im September will man den Bürgerinnen und Bürgern reinen Wein einschenken.
Überhöhte Preise und Missbrauch
Hingegen hat man einen Schuldigen gefunden: den sogenannten Superbonus. «Verheerend» seien dessen Auswirkungen auf die Verschuldungssituation des Landes, sagte Giorgetti an der Medienkonferenz vom Dienstag.
Worum geht es? Mit dem Superbonus und anderen Massnahmen wollte die von Giuseppe Conte geführte Koalitionsregierung aus Fünf-Sterne-Bewegung und Partito Democratico 2020 die von der Pandemie gelähmte italienische Wirtschaft ankurbeln.
Der Superbonus war Doping für Hauseigentümer und Wohnungsbesitzer: Der Staat bezahlte ihnen die Kosten für Energieinvestitionen komplett. Mit einem System, das die Weitergabe von Steuergutschriften erlaubte, sanken die Rechnungen für Handwerker auf null. Wer wollte, konnte sich auf diese Weise Dachisolationen, Fassadenrenovationen, Erneuerungen der Heizungsanlagen oder den Einbau von Solaranlagen vom Staat finanzieren lassen. Ganz Italien wurde eingerüstet, ein Haus ums andere wurde aufgehübscht.
Das System war aber dermassen rasch und unsorgfältig gezimmert worden, dass es zu gewaltigen Missbräuchen kam. Die Kontrollen wurden vernachlässigt. Bald machten Nachrichten von fiktiven Baustellen die Runde und von Handwerkern oder Bauherren, die einkassierten, ohne je einen Finger gerührt zu haben. Zudem wurden auf dem Markt überhöhte Preise bezahlt, weil jeglicher Wettbewerb ausgeschaltet wurde – es zahlte ja stets der Staat. Bald klaffte ein gewaltiges Loch in der Staatskasse.
Giorgetti nannte am Dienstag die stattliche Zahl von 219 Milliarden Euro, die der Superbonus und andere Finanzspritzen den Staat bisher gekostet haben – «devastante», sei das, verheerend eben.
Italien ist allerdings sehenden Auges in diese Situation gerutscht. Contes Nachfolger im Palazzo Chigi, Mario Draghi, erkannte das Problem und wollte bis 2025 schrittweise aus dem Programm aussteigen. Doch die Parteien legten sich quer: diejenigen, die es damals eingeführt hatten, sowieso, aber auch die rechten und bürgerlichen Parteien, die es sich mit der Bauwirtschaft nicht verscherzen wollten. Selbst Giorgia Melonis Fratelli d’Italia, zu Draghis Zeiten einzige Oppositionskraft im Lande, waren dagegen.
Giorgetti hat den Umfang des Superbonus bereits reduziert und das System gestrafft. Weil das Loch aber bei weitem noch nicht gestopft ist, wird er nachbessern müssen. Es dürfte mit zum finanzpolitischen Programm gehören, zu dem er sich am Dienstag nicht äussern wollte.








