Bei der Volkspartei gilt: An der Delegiertenversammlung wird um Parolen gerungen. Danach herrscht Ruhe im Stall. Nationalrat Christian Imark bricht das Tabu. Warum?
Es ist der 16. Mai, die Handelskammer Solothurn feiert ihr 150-Jahr-Jubiläum. Christian Imark steht im Foyer des Stadttheaters Olten und kokettiert mit seinem Unternehmer-Image. Nein, er wolle keinen Weisswein, sagt er. «Wer richtig schafft, trinkt Bier – zitieren Sie das ruhig.» Ein typischer SVP-Satz, bewusst eingesetzt. Imark streckt seine mehlig aussehenden Hände aus und zeigt ein Foto auf seinem Handy: «Wir haben heute Vormittag alle Barelemente weiss gestrichen.»
Imark ist Inhaber einer Firma für Partymobiliarvermietung und SVP-Nationalrat. Er gehört zur Elite der selbsternannten Anti-Eliten-Partei. 2021 hat er quasi im Alleingang das CO2-Gesetz gebodigt. In der «Arena» fuhr er der damaligen SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga wegen des aus seiner Sicht «sozialistischen» Gesetzes an den Karren. Den Befürwortern aus der FDP warf er vor, bei den Kosten zu lügen, «immer auf die kleinen Leute loszugehen» und diese «abzocken» zu wollen.
Doch seit ein paar Monaten lernt man einen anderen Imark kennen. Wieder stimmt die Schweiz im Juni über ein energiepolitisches Thema ab – das Stromgesetz, das die Energieversorgung der Schweiz bis 2035 mit zusätzlichen 35 Terawattstunden Strom aus Sonne, Wind, Biomasse oder Geothermie stärken soll. Wieder kämpft Imark an vorderster Front und wirft den Gegnern vor, zu lügen.
Dieses Mal heissen sie aber Magdalena Martullo-Blocher, Thomas Aeschi, Marcel Dettling und Thomas Matter – allesamt SVP-Schwergewichte. Und Vertreter des Öko-Lagers kommen plötzlich ins Schwärmen, wenn sie den Namen Imark hören. Stefan Batzli, Geschäftsführer des Dachverbands der Wirtschaft für erneuerbare Energien und Energieeffizienz, etwa erlebt ihn derzeit «als sehr konstruktiven, verlässlichen und engagierten Partner», wie er sagt.
Der grosse Bruch
Wie konnte das passieren? Der sogenannte Mantelerlass ist im Parlament dank Kompromissen zustande gekommen. Die Bürgerlichen sicherten sich unter anderem 16 Wasserkraftprojekte, akzeptierten dafür aber strengere Restwasserregeln. Die Linken verzichteten im Gegenzug auf eine Solarpflicht auf allen Gebäuden. Christian Imark und der heutige SVP-Bundesrat Albert Rösti waren massgeblich an dem Kompromiss beteiligt. Zwei Drittel der SVP-Fraktion stimmten dem Gesetz in der Folge zu. Das war im Jahr 2023.
Dann kam Magdalena Martullo-Blocher. Zuerst brachte sie im Februar 2024 den Parteileitungsausschuss der SVP dazu, das Stromgesetz zu bekämpfen. Danach überzeugte sie auch die Delegiertenversammlung im März. «Das Blocher-Gen hat die Partei wieder fest im Griff», kommentierten die Zeitungen von CH Media danach.
Dieses Verdikt kam etwas früh und absolut daher. Seit der Delegiertenversammlung taten sich nämlich ungewohnte Gräben in der Volkspartei auf. Mehrere SVP-Parlamentarier traten trotz Nein-Parole dem Befürworterkomitee bei, darunter gewichtige Ständeräte wie Esther Friedli oder Werner Salzmann. Und auch die Kantonalsektionen Bern, St. Gallen, Tessin, Glarus, Oberwallis und Thurgau stellten sich quer und gaben die Ja-Parole heraus.
Aber keiner tat sich so hervor wie Christian Imark. Nicht nur ist er Co-Präsident des Befürworterkomitees und lässt sich mit Foto auf Pro-Inseraten in Zeitungen ablichten. Er schreckte auch nicht davor zurück, Nationalrätin Martullo-Blocher öffentlich anzugreifen. Diese sei in der Wirtschaftspolitik «besser bewandert» als in der Energiepolitik, sagte er. «Entsprechend sollte sie ihren Fokus legen.»
Damit bricht Imark ein SVP-Tabu. Beim Freisinn oder bei der Mitte sind Grabenkämpfe an der Tagesordnung. In der SVP gilt: An der Delegiertenversammlung wird um Parolen gerungen. Danach herrscht Ruhe im Stall. Im Machtzentrum der SVP ist man daher nicht begeistert. Der Präsident Marcel Dettling sagte gegenüber den Medien, er habe den Befürwortern des Stromgesetzes in der Fraktion gesagt, dass sie in Zukunft zurückhaltend sein sollten. Martullo-Blocher verzichtete auf eine öffentliche Abmahnung, treu nach dem SVP-Motto: Schmutzige Wäsche wäscht man diskret.
Endziel Kernenergie
Eigentlich haben Imark und Martullo-Blocher das gleiche Ziel. Sie wollen die Stromversorgung sichern und sind überzeugt, dass es dafür am Ende neue Kernkraftwerke braucht. Der Unterschied: Imark sieht den Ausbau der erneuerbaren Energien als notwendigen Zwischenschritt, der die Gefahr einer Mangellage abwendet und die Schweiz unabhängig von der EU macht.
Martullo dagegen findet die Vorlage teuer und nutzlos, da sie nur unzuverlässigen «Flatterstrom» herstelle und die Landschaft mit bis zu 9000 Windturbinen oder Solaranlagen zupflastere. Die Zahl ist nicht verifiziert: Bundesrat Rösti spricht von höchstens 200 Windrädern. Auch bleibt Martullo-Blocher eine mittelfristige Lösung für eine sichere Stromversorgung in den nächsten Jahren schuldig. Bis tatsächlich neue Kernkraftwerke gebaut werden können, dauert es Jahrzehnte – wenn überhaupt. Dafür müsste zuerst das Neubauverbot aufgehoben werden.
Und genau deswegen macht sich Imark gegenwärtig Sorgen. Zwar liegt derzeit die Blackout-Initiative beim Bundesrat. Sie verlangt, dass sämtliche umwelt- und klimaschonenden Arten der Stromerzeugung zulässig sind, also auch die Kernenergie. Doch im Initiativtext gibt es einen Knackpunkt: Die Aufhebung des Neubauverbots wird nicht explizit formuliert. Daher hoffen Rechte auf einen Gegenvorschlag in der nationalrätlichen Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie (Urek).
Diesen Gegenvorschlag sieht Imark nun in Gefahr. Derzeit herrsche in der Urek eine «konstruktive bürgerliche Dynamik», sagt der Nationalrat und lobt sich damit auch selbst – seit Januar präsidiert er die Kommission. Doch «einzelne Urek-Mitglieder fragen sich mittlerweile, ob sie überhaupt noch mit der SVP arbeiten wollten».
So schlimm kann es aber nicht sein, wenn man mit dem Freisinnigen Christian Wasserfallen spricht. Es sei zwar «speziell», dass die SVP ihre Meinung zum Stromgesetz geändert habe, sagt der Energiepolitiker. Aber «wenn es um den Gegenvorschlag zur Blackout-Initiative geht, arbeiten wir gerne wieder mit der SVP zusammen». Dort brauche es dann vor allem auch die Mitte.
Monopol statt Kompromiss
Dennoch ist der Widerstand von Martullo-Blocher gegen ihren eigenen Stromgeneral Albert Rösti auf den ersten Blick bemerkenswert. Schliesslich gäbe es im Juni auch Vorlagen zu bekämpfen, die eindeutiger links sind, beispielsweise die Prämienverbilligungs-Initiative. Andererseits gefällt sich die SVP selten als Teil eines breiten Kompromisses. Erfolgreich wurde sie als Monopolpartei. Ueli Maurer, damals noch Parteipräsident, sagte einmal: «Sobald wir differenzierter argumentieren, heisst es: Ihr seid nicht mehr die SVP.»
Klare Linie statt Grautöne: Das macht die SVP zur wählerstärksten Partei. Der Preis sind – im Vergleich zu den anderen bürgerlichen Parteien – Misserfolge an der Urne. So hat die SVP zwischen den Jahren 2000 und 2023 mehr Abstimmungen verloren (40 Prozent) als die Mitte oder die FDP (je 20 Prozent), wie Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen. Und es könnte auch jetzt eine Niederlage geben. Die erste SRG-Umfrage Mitte April sagt dem Stromgesetz einen hohen Ja-Anteil von 75 Prozent voraus. Eine Tamedia-Umfrage kam auf 65 Prozent für die Befürworter.
Die Zustimmung dürfte erfahrungsgemäss noch sinken. Aber sogar wenn das Stromgesetz angenommen wird: Gross schaden dürfte das der SVP nicht, da ihre Basis bei den erneuerbaren Energien ohnehin gespalten ist. Wichtiger sind die Kernthemen Europa und Migration. Dort wird die Volkspartei aufgrund der laufenden Diskussionen über ein Abkommen mit der EU und der hohen Flüchtlingszahlen reihenweise Möglichkeiten haben, klare Kante zu zeigen. Ebenso wie bei den erwähnten Verhandlungen über die Kernenergie. Kompromisslos und ohne Grabenkämpfe, wie man sich das gewohnt ist.
Schadet Imark sich selbst?
Die Frage ist vielmehr, welche Rolle Imark in Zukunft in der Partei spielen wird, etwa bei den Kampagnen zur Kernenergie – er sitzt im Komitee für die Blackout-Initiative. Seit seinem erfolgreichen Engagement gegen das Co2-Gesetz ist der Nationalrat als Energiepolitiker respektiert, Wasserfallen nennt ihn einen «effizienten» Urek-Präsidenten mit klarer Linie.
Wer sich innerhalb der Partei allerdings gegen die straffe Zentralorganisation der SVP auflehnt, bekommt das in der Regel zu spüren. Sogar eigene Bundesräte, die als Mitglieder einer Kollegialregierung zu einem moderateren Ton verpflichtet sind. Man denke etwa an Samuel Schmid, der von SVPlern als «halber Bundesrat» bezeichnet wurde. Imark fürchtet offenbar nicht um seine Position in der Partei: «Darüber denke ich nicht nach», sagt er, «mir geht es um die Sache.» Ob das klug ist, wird sich zeigen.