Das Wachstum bei den Online-Einkäufen kommt fast nur noch von ausländischen Anbietern. Nach Ansicht des Schweizer Handels tut Bern noch zu wenig dafür, dass sich die chinesischen Plattformen an die Spielregeln halten.
Es ist ein Vorgeschmack dessen, was in den nächsten Jahren auf Schweizer Online-Händler zukommt. Zwar sind es meist kleine Beträge, aber in der Summe fallen sie dennoch ins Gewicht: Die rund 15 Millionen Pakete von chinesischen Plattformen wie Temu oder Shein machten 2024 den grössten Teil des Wachstums im Online-Handel aus.
So hat die Schweizer Kundschaft 18 Prozent mehr Geld bei ausländischen Anbietern ausgegeben als im Vorjahr (in dem das Plus bereits 10 Prozent betragen hatte). Bei hiesigen Online-Händlern lag der Zuwachs nur gerade bei 1 Prozent, wie aus den jüngsten Zahlen der Marktforscher von NiQ und GfK hervorgeht.
Noch fliesst mit 12,3 Milliarden Franken der grösste Teil der Ausgaben an inländische Händler – dies im Vergleich zu den 2,6 Milliarden Franken, welche Schweizer Online-Kunden im Ausland ausgeben.
Wenn sich die unterschiedlichen Wachstumsraten – zweistellig bei den Einkäufen im Ausland und 1 Prozent im Inland – fortsetzt, wird sich das Verhältnis jedoch bald spürbar verändern.
Rückgang im Modegeschäft
Unter Druck ist bei inländischen Händlern insbesondere die Kategorie Mode, die insgesamt wie schon im Vorjahr erneut 7 Prozent Umsatz verloren hat. Doch die Geschäftslage bei den Anbietern ist höchst unterschiedlich.
So haben etwa die Verkäufe über Zalando.ch, die in den obigen Zahlen dem Inland zugeschlagen werden, 2024 stark zugelegt. Die deutsche Firma ist hierzulande unterdessen der grösste Online-Kleiderhändler. Wenn Zalando gewachsen ist, bedeutet das jedoch auch, dass es bei anderen Schweizer Modehändlern Umsatzrückgänge im zweistelligen Bereich gegeben haben muss.
Und eine Aussicht auf Entspannung gibt es für die Branche nicht. Im Gegenteil. Die geschätzten 900 Millionen Franken Umsatz der chinesischen Plattformen in der Schweiz dürften erst der Anfang sein.
Beschwerden beim Seco
Die Schweizer Detailhändler ärgern sich schon länger über die Geschäftspraktiken von Temu. Entsprechend ist die Branche in Bern vorstellig geworden. Vor rund einem Jahr hat die Swiss Retail Federation beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) eine Beschwerde wegen unlauteren Wettbewerbs eingereicht. Der Vorwurf: Temu werbe mit Angeboten unter dem Einstandspreis und gaukle eine begrenzte Verfügbarkeit von Produkten vor.
Auch der Handelsverband.Swiss ist ans Seco gelangt. Als weiteren Kritikpunkt an Temu nennt Bernhard Egger, Geschäftsführer des Verbands, die Produktehaftpflicht. Hier bestehe die Gefahr, dass diese auf die Kunden abgewälzt werde. Dies, weil sich Temu laut seinem Geschäftsmodell nur als Vermittler sehe und der Kunde die Ware direkt vom chinesischen Hersteller importiere.
Seit den Vorstössen hat sich etwas bewegt. Vertreter des Seco haben sich im Herbst mit einer Delegation von Temu getroffen. Das Unternehmen hat seine Website überarbeitet. Zum Beispiel sind bei einem Produkt neu Name, Adresse und E-Mail des Verkäufers angegeben. Auch Hinweise wie «Beeile Dich!», welche die Kunden zum Kauf drängen, oder Glücksräder seien verschwunden, heisst es beim Seco.
Was sich zudem geändert hat, ist die steuerliche Situation. So rechnet Temu aufgrund einer Gesetzesänderung seit Anfang Jahr die Mehrwertsteuer auf den Online-Verkäufen ab. Zu diesem Zweck haben die Chinesen in Basel die Gesellschaft Whaleco gegründet.
Doch noch sind nicht alle Punkte geklärt. Offen ist zum Beispiel, was in Sachen Produktehaftpflicht, Sicherheit oder vorgezogene Recyclinggebühr passiert. Mehr Klarheit gibt es möglicherweise schon in den nächsten Wochen. So will das Seco den Austausch mit Temu bis Ende März abschliessen.
Aber selbst wenn Temu seine Geschäftspraktiken anpasst, bleiben die Aussichten für das Online-Geschäft der Schweizer Händler angespannt. «Temu ist hier, um zu bleiben», sagt Egger vom Handelsverband.Swiss.
Unterschiedliche Strategien von Coop und Migros
Unbequem ist die Lage insbesondere für Detailhändler, die sowohl ein Filialnetz als auch einen Online-Shop haben. Denn einerseits würden sie gerne möglichst viel in ihren Läden verkaufen, weil dort die Kundschaft tendenziell weniger auf den Preis schaut. Andererseits kann es sich gerade im Non-Food-Handel niemand mehr erlauben, keinen Online-Verkaufskanal zu haben.
Mit dieser Situation muss sich etwa Coop arrangieren und ihre Elektronik-Aktivitäten von Interdiscount und Fust bezüglich Läden, Logistik und Online-Auftritt effizienter gestalten.
Die Migros hat sich in dieser Hinsicht freigespielt, indem sie sämtliche Fachmärkte abgestossen oder geschlossen hat. Der Detailhändler kann sich jetzt beim Non-Food ganz auf die Online-Plattform Digitec Galaxus konzentrieren. Diese hat sich als eine Art «Schweizer Amazon» etabliert und ist im vergangenen Jahr 18 Prozent gewachsen.
Um sich gegenüber dem amerikanischen Original zu behaupten, orientiert sich die Migros-Tochter preislich an Amazon Deutschland, wo auch zunehmend Schweizer Kunden einkaufen. Die Folge dieser Politik ist, dass Galaxus aufgrund seines breiten Sortiments auch automatisch Druck auf das Preisniveau der übrigen Schweizer Online-Händler macht.
Um die Schlagkraft noch zu erhöhen, hat Galaxus im süddeutschen Neuenburg ein Logistikzentrum gebaut. Von diesem Standort rund 30 Kilometer nördlich von Basel aus sollen auch Kunden in der Schweiz beliefert werden.
Solche Investitionen können – oder wollen – sich nicht alle Händler leisten. Doch auch Temu hat angekündigt, künftig einen grossen Teil seiner Ware aus europäischen Lagerhäusern zu verschicken, um die Lieferzeiten zu verkürzen.