Bäume, Sträucher, Kieswege: Die Pestalozzianlage erhält ein neues Gesicht. Aber erst im Herbst. Bis es so weit ist, dürfen sich Zürcherinnen und Zürcher an blühenden Pflanzen freuen.
«Uff! Ich würde gerne wissen, wie viele Tonnen wir hier schleppen!»
Andrew Katumba gibt alles. Der Kantonsrat, der auch ein Pop-up-Café neben dem Globus betreibt, trägt Bergschuhe, Arbeitshosen, Leuchtweste und Gartenhandschuhe, als er am Freitagvormittag bei der Pestalozziwiese in der Zürcher Innenstadt einen etwa 30 Meter langen und 6 Meter breiten Erdwall rauf- und runterstapft. Katumba und die anderen Freiwilligen aus den Reihen der Vereinigung Zürcher Bahnhofstrasse und der City-Vereinigung haben alle Hände voll zu tun: Der braune Streifen zu ihren Füssen will schliesslich begrünt werden.
Das bedeutet: Die 360 Blumenziegel, die in ebenso vielen Kisten geliefert wurden, müssen ausgepackt, bereitgemacht und auf dem Erdwall verteilt werden. In so einem 40 mal 60 Zentimeter grossen Ziegel stecken mehrere Setzlinge: Schafgarben, Leimkraut, Sauerampfer, Schneckenklee, Hornklee und weitere Pflänzchen recken sich in die Frühlingssonne. Margeritchen und rosarote Kuckuckslichtnelken blühen bereits.
Ein Stück Blumenwiese wiegt ungefähr 10 Kilogramm. Also tragen Katumba und seine Mitstreiter – uff! – insgesamt 3,6 Tonnen herum. Schwer zu sagen, was anstrengender ist: Am Donnerstag haben sie schon 40 Kubikmeter Erde verteilt. Mit Rechen, Schaufeln, von Hand. «Das war Millimeter-Arbeit», sagt Katumba und zeigt auf den Randstein der Wiese. Die Blumen daneben ragen exakt auf der gleichen Höhe aus dem Boden. Beim Erde-Verteilen half ein Bagger mit einem Profi im Führerstand. Sonst wären die Laien-Gartenbauer um Katumba womöglich nicht rechtzeitig fertig geworden.
Eine Blumenwiese mitten in der Stadt, auf der einzigen Grünfläche der City, der teuersten Wiese von ganz Zürich?
Fröhlichkeit statt Strenge
Die Aktion ist erst der Anfang. Ab September wird die gesamte Pestalozzianlage umgestaltet, wie das Tiefbauamt mitteilt. Statt Steinplatten und Asphalt werden Kieswege über die Wiese führen. Die Eibenhecken, Zwergmispeln und der – vom Bundesamt für Umwelt als Fremdling geächtete – Kirschlorbeer werden durch einheimische Sträucher wie Holunder, Zimt- oder Hundsrosen ersetzt. Das Flair der 1970er Jahre, das der Pestalozziwiese ihre heutige Form gegeben hat, soll etwas Neuem weichen.
Vielfalt statt Einfalt, Fröhlichkeit statt Strenge. Die Stadt Zürich will auch hier beweisen, dass sie gut gelaunt und locker sein kann.
Was Johann Heinrich Pestalozzi wohl davon halten würde? Wir können ihn nicht fragen. Sein Denkmal indes scheint neuen Ideen nicht abgeneigt zu sein. Die Statue des Volksbildners trägt seit kurzem einen grauen Rock, warum auch immer. Und wir wollen hoffen, dass ihr das blumige Treiben zur Rechten besser gefällt als jene Szenen, die bis Mitte des 19. Jahrhunderts hier stattgefunden haben sollen: auf der Hinrichtungsstätte der Stadt Zürich.
Zurück in die Gegenwart. Die Bäume auf der Wiese dürfen stehen bleiben. Das gilt auch für die Schwarzkiefer hinter dem Pestalozzi-Denkmal. Ihr schiefer Stamm prägt das Erscheinungsbild des Pärkleins. Aber dem Baum geht es nicht gut. Die Hitzesommer der vergangenen Jahre dürften ihm zugesetzt haben. Dem will die Stadt Rechnung tragen. Geplant ist, dass sieben weitere Bäume gepflanzt werden, die die steigenden Temperaturen in der Stadt besser vertragen – und mehr Schatten spenden.
Ein Mini-Central-Park?
Die Blumenwiese markiert eine erste Etappe in diesem Projekt. Bevor die Frauen und Männer der Vereinigung Bahnhofstrasse und der City-Vereinigung am Donnerstag zur Tat schritten, war dieser Streifen eine öde Fläche – ein Relikt der Baustelle, als das angrenzende Brannhof-Gebäude saniert wurde. Begrünt hätte das Tiefbauamt diesen Streifen sowieso. «Als wir davon gehört haben, wollten wir mitmachen», sagt Katumba.
Das Tiefbauamt war einverstanden, die Vereinigung Zürcher Bahnhofstrasse bemühte sich darum, das Ganze bekanntzumachen. Der Titel der Aktion: «Zürichs Mini-Central-Park – Wir packen’s an!»
Andrew Katumba kann zwar nur wenige Blumenarten benennen, die er und die anderen Helfer am Freitag auf Händen tragen. Mit Aktionen für mehr Grün in der Innenstadt kennt er sich trotzdem aus. Begeistert erzählt der SP-Kantonsrat vom «Stadtpark» auf dem Münsterplatz, der im Sommer 2019 über Nacht erblühte. «Das war eine super Sache!» Die dortige Blumenwiese indes war eine vorübergehende Erscheinung – ein Kunstwerk, das nach drei Wochen wieder verschwand.
Die Margeritchen, Schafgarben und anderen Setzlinge bei der Pestalozziwiese können etwas länger bleiben. Bis im September dürfen sich Passanten an dem grünen, wilden Streifen freuen. Die Blumenziegel decken rund die Hälfte des Erdwalls ab. Über der anderen Hälfte wurden Samen verteilt: Malven, Lupinen, Sonnenblumen . . . Blumen also, die sich im Frühling etwas Zeit nehmen im Boden und dann in den Sommermonaten ihre ganze Pracht entfalten sollen – sofern ihre Samen von gefrässigen Tauben nicht weggepickt werden, wie am Freitag geschehen.
Doch im Herbst ist Schluss mit Blumenwiese. Dann kommen hier laut Tiefbauamt eine Zerreiche, eine ungarische Eiche und ein Kirschapfel in die Erde. Ebenso ausdauernde Stauden sowie Zwiebeln von Tulpen und Narzissen – die dann im Frühling 2025 wachsen und blühen werden.
Immerhin: Vielleicht nimmt sich die Vereinigung Bahnhofstrasse den «Stadtpark» auf dem Münsterhof zum Vorbild. Die dortige Wiese wurde ebenfalls in Ziegelform verlegt. Am Ende der Aktion wurden die Wiesenstücke an die Bevölkerung verteilt. Andrew Katumba kann sich vorstellen, dass man das mit der Blumenwiese beim Pestalozzi-Denkmal genauso machen werde. «Das wäre eine schöne Idee», sagt er.