Vor zwanzig Jahren raubte ein verheerender Tsunami im Indischen Ozean einer Viertelmillion Menschen das Leben. Daraufhin errichteten Forscher ein Frühwarnsystem, das immer weiter ausgebaut wurde. Es hat aber noch Schwachstellen.
Es ist der zweite Weihnachtsfeiertag 2004, morgens gegen acht, als der Meeresboden vor der indonesischen Insel Sumatra ungewohnt stark bebt. Die indisch-australische Platte schiebt sich dort unter die eurasische, auf fast 1200 Kilometern Länge reisst die verhakte Plattengrenze auf, knirschen die Gesteine aneinander vorbei. Mit einer Magnitude von 9,1 ist es eines der stärksten je gemessenen Beben.
Der Meeresboden wird mit einem Ruck angehoben und stösst mehrere spezielle Wellen an, sogenannte Tsunamis, die unaufhaltsam aufs Land zujagen. Meterhoch schiessen die Wassermassen durch Siedlungen an der Küste, teilweise kilometerweit ins Landesinnere.
Viele Menschen treffen die Fluten unvorbereitet, gewarnt werden sie – falls überhaupt – zu spät. Allein in Indonesien sterben rund 165 000, zählt man die Opfer in Thailand, Sri Lanka und weiteren Ländern bis nach Afrika hinzu, sind es 230 000 Tote.
Messgeräte erkennen, wenn ein Tsunami naht
Beim nächsten Mal, das es sehr sicher geben wird, soll Indonesien besser vorbereitet sein. Mit dieser Motivation entwickelten Fachleute unter Leitung des Deutschen Geoforschungszentrums in Potsdam (GFZ) ein Tsunami-Frühwarnsystem. Es besteht aus verschiedenen Messgeräten, die möglichst rasch eine solche Welle erkennen, bevor sie die Küste erreicht.
Da sind erstens Seismometer, um Erdbebenwellen vom Meeresgrund zu erfassen. Weil die seismischen Signale das Gestein viel schneller durchqueren als eine Wasserwelle den Ozean, gewinnt das System Zeit. Anhand der seismischen Wellen erkennt es die Stärke des Bebens und ob es einen gefährlichen, vertikalen Versatz des Meeresbodens gab oder einen horizontalen, der keinen Tsunami auslöst.
Da sind zweitens GPS-Stationen, deren Position mithilfe von Satelliten fortwährend genau beobachtet wird. Ändert sich die Position, etwa durch ein Beben, kann ein Computer berechnen, wie stark sich der Meeresboden vor der Küste gehoben oder gesenkt hat.
Und drittens gibt es Pegelstationen, die tatsächliche Änderungen des Meeresspiegels – untrügliche Hinweise auf Tsunamis – registrieren. Zum Beispiel sinkt der Pegelstand oft kurz vor Eintreffen der Wellen. Idealerweise stehen die Stationen auf Inseln, die der Küste vorgelagert sind.
Bei einem Alarm wissen die meisten Menschen, was zu tun ist
Anhand dieser Messungen erkennt das System, ob ein Tsunami droht. Es sucht dann in einer Datenbank mit vorab modellierten Szenarien nach demjenigen, welches am ehesten zu den realen Werten passt – und gibt Warnungen für die betroffenen Regionen aus. Diese müssen dann über Lautsprecher, SMS-Dienste, aber auch traditionelle Trommeln und weitere Kanäle zu den Menschen vor Ort gebracht werden. Damit diese wissen, was zu tun ist, finden regelmässig Übungen statt, wurden Beschilderungen für Fluchtwege montiert, teilweise sogar erhöhte Plattformen gebaut.
Freilich erreicht man mit solchen Massnahmen nur einen Teil der Bevölkerung. Umso schwerer ist das bei Touristen, die nur zeitweise da sind – und sich bestenfalls eigenverantwortlich über Gefahren und Rettungswege am Ferienort informieren sollten.
Die Tsunami-Gefahr ist in Indonesien und angrenzenden Ländern gross, wie historische Überlieferungen und geologische Belege zeigen. Zwar gibt es Megabeben wie das von 2004 nur alle paar Jahrhunderte, doch können auch schwächere Erdstösse, die häufiger auftreten, verheerende Tsunamis auslösen.
Rund ein Dutzend Mal hat das Indonesia Tsunami Early Warning System (Inatews) bereits angeschlagen und gewarnt. Einen absoluten Schutz bietet eine solche Einrichtung jedoch nicht, wie im März 2011 beim Mega-Tsunami in Japan zu sehen war. Obwohl das Land am Pazifik sehr gut vorbereitet war, hatte es infolge von Flut und Starkbeben rund 18 000 Tote zu beklagen. Zudem führten die Fluten zu schweren Schäden im Kernkraftwerk Fukushima.
Seit der Übergabe des Systems sind Stationen ergänzt worden
Das indonesische Frühwarnsystem sei 2011 übergeben, aber seitdem weiter ausgebaut worden, sagt Jörn Lauterjung, der für das GFZ den Aufbau leitete und bis heute engen Kontakt mit den Fachleuten vor Ort hält. «Es sind Messstationen dazugekommen, und durch verbesserte Rechentechnik ist es nicht allein auf gespeicherte Szenarien in der Datenbank angewiesen, sondern kann auch in Echtzeit Berechnungen ausführen.» Seiner Einschätzung nach ist es fast so gut wie das japanische, das als bestes Tsunami-Frühwarnsystem der Welt gilt, allerdings auch teurer ist.
Das System in Japan verfügt beispielsweise über ein Netz aus Glasfaserkabeln, die mit 150 Seismometern und Drucksensoren versehen sind und auf dem Meeresgrund liegen. Dieses Messnetz hilft, Tsunamis schneller und zuverlässiger zu erkennen. Künftig soll die Technologie auch in Indonesien eingesetzt werden. Doch wann es so weit sein wird, ist offen. Bis jetzt gibt es lediglich erste Versuche.
Die Technologie mit den Kabeln könnte helfen, eine Lücke bei Inatews zu schliessen. Es ist nämlich auf Tsunamis ausgerichtet, die durch Erdbeben hervorgerufen werden. Die tödlichen Wellen können aber auch andere Ursachen haben: Hangrutschungen, etwa wenn eine Vulkanflanke ins Meer gleitet und ruckartig das Wasser verdrängt. So geschehen im Dezember 2018 beim Ausbruch des Anak Krakatau, zwischen Sumatra und Java gelegen. Der folgende Tsunami traf die Küsten unvorbereitet, 430 Menschen starben.
Vulkane können ebenfalls einen Tsunami auslösen
Die Gefahr durch Anak Krakatau ist bekannt, wiederholt wurden von der Vulkaninsel tödliche Fluten ausgelöst. 1883 etwa erreichten die Wellen mehrere Dutzend Meter Höhe und kosteten mehr als 36 000 Menschen das Leben.
Es gibt noch weitere Kandidaten. In einer Risikoanalyse für Indonesien und Südostasien hätten Wissenschafter um Edgar Zorn vom GFZ neunzehn Vulkane gefunden, die grosses «tsunamogenes» Gefährdungspotenzial hätten, schreiben sie im Fachmagazin «Natural Hazards and Earth System Sciences». Dabei sind mit jedem einzelnen spezifische Bedrohungen verbunden: Teils befinden sie sich so nah an Siedlungen, dass Tsunamis binnen wenigen Minuten eintreffen, teils ist die Geometrie der Meere so beschaffen, dass selbst Küsten in Tausenden Kilometern Entfernung von Überflutungen bedroht sind.
Frühwarnungen sind dennoch möglich; Forscher setzen hierfür auf verschiedene Stränge. Dazu gehört es, den Vulkan mit Messinstrumenten genau zu überwachen. Seismometer und satellitengestützte Vermessung können einen drohenden Ausbruch erkennen. Zudem ist es sinnvoll, mögliche Absturzzonen der Hänge vorab zu ermitteln und Tsunami-Szenarien zu berechnen. Sollte der Ernstfall eintreten, sind die bereits erwähnten Geräte wie Pegelmesser und Drucksensoren am Meeresboden sehr hilfreich, um rasch den Tsunami und seine Eigenschaften zu erkennen – und die richtigen Warnungen auszugeben.
Was auf dem Papier so einfach klingt, erfordert viel Forschungsarbeit sowie zahlreiche Messgeräte. Das ist teuer, die Behörden müssen Prioritäten setzen. Ein indonesisch-deutsches Team um Herry Yogaswara empfahl vor kurzem, zumindest die gefährlichen Vulkane besser zu erkunden und mit Instrumenten auszustatten. Um Kosten zu senken, ist es aus ihrer Sicht sinnvoll, für die nötigen Technologien eine Industriefertigung aufzubauen, anstatt auf teure Einzellösungen zu setzen.
Auch weiter südlich sind Megabeben möglich
Hinzu kommt, dass die Gefahr durch die Plattengrenze südlich der Insel Java unterschätzt worden sein könnte. Bisher wurde dort kein Megabeben dokumentiert, aus Sicht von Fachleuten wäre ein solches aber denkbar, wie etwa Sri Widiyantoro vom Institut Teknologi Bandung und Kollegen im Fachmagazin «Scientific Reports» berichteten. Gemäss ihren Modellierungen drohen dann Tsunami-Wellen von bis zu zwanzig Metern Höhe. Sie plädieren dafür, Inatews in der betreffenden Region mit zusätzlichen Messgeräten zu erweitern, um die dichtbesiedelte Küste besser zu schützen.
Mit derlei Fragen sind Katastrophenschützer weltweit konfrontiert. Der Tsunami vor zwanzig Jahren animierte die Verantwortlichen in vielen Ländern, diese Bedrohung wichtiger zu nehmen. Frühwarnsysteme wurden auf- oder ausgebaut, etwa in Indien und Australien, die mit Indonesien ihre Daten den übrigen Anrainern des Indischen Ozeans zur Verfügung stellen. Auch im Mittelmeer wurde die Frühwarnung vorangetrieben.
Es mag zynisch klingen: Je mehr Zeit nach einem verheerenden Ereignis vergeht, umso mehr verblasst es in der kollektiven Erinnerung und damit die Bereitschaft, in Verbesserungen zu investieren. Neue Ansätze wie die besagten Glasfaserkabel versprechen zwar, Datenlücken zu schliessen. Die Kosten dafür gehen aber rasch in die Millionen. Das Problem: Niemand weiss, ob sie sich schon bald bezahlt machen – oder über Jahre kaum genutzt im Meeressand herumliegen. Wann der nächste Tsunami kommt, vermag die Wissenschaft weiterhin nicht zu sagen.
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