Der CEO von Breitling war ein wichtiger Geldgeber der GLP. Jetzt ist er ausgetreten. Die Partei war ihm zu wenig wirtschaftsfreundlich.
Herr Kern, Sie trennen sich von der GLP. Sie verlassen nach vier Jahren nicht nur den Vorstand der Zürcher Sektion, sondern gleich auch die Partei. Warum?
Es ist anspruchsvoll, sich als langjähriger CEO und Entscheidungsträger in eine Partei einzureihen. In der Politik sind Prozesse sehr langwierig, schwerfällig und teilweise ineffizient. Klassische Führung und Management kann man in einer Partei nicht umsetzen. Und als Unternehmer ist man auch weniger durch Idealismus als durch Pragmatismus getrieben. So gesehen war ich sicherlich ein Fremdkörper in der Partei.
Es war Ihnen zuvor nicht klar gewesen, wie eine Partei funktioniert?
Freunde hatten mich zwar gewarnt, aber ich habe mich trotzdem bewusst darauf eingelassen. Ich bin immer politisch interessiert gewesen und wollte einerseits in Echtzeit lernen, wie eine Partei und das politische Leben funktionieren, und mich andererseits auch in die Wirtschaftspolitik einbringen. Irgendwann gelangte ich aber an einen Punkt, an dem ich einsehen musste, dass ich kaum etwas bewegen konnte. Eine lehrreiche Erfahrung war es trotzdem.
Das erklärt, warum Sie nicht mehr im Vorstand mitarbeiten wollten, nicht aber, warum Sie aus der GLP ausgetreten sind. Sie hätten ein gewöhnliches Mitglied bleiben können.
Nein. Entweder engagiere ich mich vollkommen oder gar nicht.
Sie waren ein wichtiger Geldgeber der GLP. Nur schon für Tiana Mosers Ständeratswahlkampf spendeten Sie 40 000 Franken. Wie viel war es insgesamt?
Ich habe viele Kandidatinnen und Kandidaten finanziell signifikant unterstützt, bei Regierungsrats-, Nationalrats- und Ständeratswahlen. Tiana Moser war die beste Kandidatin, und ihre Wahl war ein Lichtblick in einem für die GLP sehr komplizierten Wahljahr. Ich bin sehr froh, dass sie Zürcher Ständerätin geworden ist.
Woran ist Ihre Beziehung mit der GLP letztlich zerbrochen?
In die Brüche ist sie nicht gegangen. Ich hatte ein sehr gutes Einvernehmen mit vielen smarten Menschen in der Parteileitung. Aber natürlich bin ich immer wieder mal bei den Linken in der Partei angeeckt, was allerdings nie ein wirkliches Problem war. Jetzt ist einfach ein Zyklus vorbei. Es ist der beste Zeitpunkt, um sich zu verabschieden.
Sie haben sich immer wieder über den Kurs der GLP geärgert. In einem Interview nach den verlorenen Wahlen rieten Sie der Partei, das «Grün» im Namen fallenzulassen und mit der Mitte zu fusionieren. Sehr loyal war diese öffentliche Kritik nicht.
Natürlich hatte ich mich im Vorfeld dieses Interviews mit der Parteileitung ausgetauscht. Das verlangt der politische Anstand. Und ich habe auch von der GLP viele positive Rückmeldungen erhalten. Es ging damals um Lösungsansätze nach den enttäuschenden Nationalratswahlen.
Wo erkennen Sie diese?
Mein Blick auf die GLP war immer auch der eines Unternehmers. Wenn sich ein Produkt oder eine Marke nicht gut genug verkaufen, ist es logisch, dass man sich fragt, wie man diese verbessern kann. Ich glaube mehr denn je, dass es absolut Sinn macht, eine wirklich starke Zentrumspartei zu bilden. Das politische Zentrum in der Schweiz ist mit drei Parteien zu wenig vereint, und das hilft nur den linken und rechten Parteien.
War das «Grün» der GLP der Hauptgrund für die Wahlniederlage?
Seit über dreissig Jahren entwickle ich Marken. Auch für eine Partei gilt, dass sie zuerst einmal eine Programmatik braucht, welche die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger anspricht. Die Themen, die die Leute bewegen, sind Gesundheitskosten, Wohnungsmangel, Immigration, Bildung sowie Natur- und Klimaschutz. Und da müssen gute Lösungen in einfacher Form kommuniziert werden. Dann braucht es ein gutes, zeitgemässes Branding. Das Rebranding der CVP zur Mitte hat gezeigt, wie sinnvoll das sein kann.
Was ist mit den Köpfen?
Die Politik lebt von volksnahen, charismatischen Figuren wie früher einem Toni Brunner bei der SVP oder heute einem Pierre-Yves Maillard bei der SP. Solche Menschenfänger helfen in jeder Partei. Und schliesslich braucht es die richtige Kommunikation, um die Themen auch emotional hinüberzubringen.
Wo ist das der GLP zu wenig gelungen?
Wir fuhren damals eine «Power-to-X»-Kampagne . . .
. . . es ging also um die Umwandlung von Sommerstrom in Speichermedien für den Winter. Eigentlich eine gute Idee.
Energetisch gesehen schon. Aber welche Nicht-Energiespezialisten wollten wir mit dieser Kampagne ansprechen? Gute Werbung muss über das Herz unser Hirn erreichen. Neben sachlicher Wahlwerbung braucht es auch in der Politik ein gewisses Mass an positiven Emotionen.
Wie halten Sie es mit dem zweiten Buchstaben im GLP-Kürzel, L wie liberal?
Ich bin grün, und ich bin liberal, wegen dieser Kombination und wegen des Gründers Martin Bäumle war ich ursprünglich auch der GLP beigetreten. Aber liberal heisst für mich in allererster Linie wirtschaftsliberal. Ich glaube an den Grundsatz, dass man gleichzeitig nachhaltig und wirtschaftlich erfolgreich sein kann. Das L bei der GLP widerspiegelt heute jedoch vor allem gesellschaftspolitische Themen. Mir fehlt nach wie vor eine ausreichende wirtschaftspolitische Programmatik.
Das sagten Sie von Anfang an. Hofften Sie, die Partei von innen heraus auf Kurs zu bringen?
Ich persönlich will immer erfolgreich sein und siegen, ob mit einem Unternehmen, beim Tischtennis oder mit einer Partei. Wenn eine Partei bei 30 Prozent steht und diesen Anteil halten kann, dann kann ich nur gratulieren. Wenn Sie aber eine Startup-Partei sind, müssen Sie mit Mut, Pragmatismus und Agilität Anpassungen vornehmen, um zu wachsen und dann tatsächlich politische Verantwortung zu übernehmen. Die GLP kann mehr gewinnen.
Stören Sie sich am gesellschaftsliberalen Fokus der GLP? Ist sie Ihnen schlicht zu links?
Ich habe nichts dagegen, dass eine Partei offen ist für neue Strömungen. Nur reicht das programmatisch nicht, um eine grosse Partei zu werden. Und es reicht auch nicht, um die heutigen Herausforderungen zu bewältigen. Die meisten Menschen interessieren sich weniger für das Gendern als für die Gesundheitskosten oder dafür, ob sie noch eine bezahlbare Wohnung finden. Das sind wirtschaftliche Fragen, für die es pragmatische wirtschaftspolitische Antworten einer Volkspartei braucht.
Sie sind ein Stratege und Marketingspezialist und haben schon mehrere schwächelnde Marken wieder auf Kurs gebracht. Hat die GLP-Zentrale in Bern Sie je um Ihren Rat gefragt?
Nein.
Warum nicht?
Keine Ahnung.
Hat der ausgebliebene Anruf Ihr Ego verletzt?
Nein. Solange man Mitglied einer Partei ist, muss man Entscheide und Vorgehensweisen der Parteileitung auch professionell mittragen. Oder eben gehen.
Sie haben auch die FDP immer wieder kritisiert, Sie sprachen von der «Blackberry»-Partei, also von einer Organisation, die den Anschluss an die Moderne verpasst hat. Gleichzeitig betonten Sie immer wieder, dass Sie im Herzen ein Freisinniger seien. Schon andere Grünliberale sind zur FDP gewechselt. Ist das auch ein denkbarer Schritt für Sie?
Nein, ein Parteiwechsel steht nicht an, obwohl ich effektiv im Herzen ein Freisinniger bin. Auch die FDP hat inhaltliche Herausforderungen zu bewältigen, um wieder zu einer 30-Prozent-Partei zu werden. Da braucht es gute und breite Politikinhalte, die dem Schweizer Sonderweg und Erfolgsmodell entsprechen. Insbesondere muss sie klar Position beziehen zu Themen wie Immigration, Europapolitik und Umweltpolitik.
War es das für Sie also mit der Politik? Findet man Sie künftig nur noch auf der Zuschauertribüne?
Ich halte es da wie Jürgen Klopp. Als er seinen Abschied als Trainer von Liverpool bekanntgab, sagte er, er werde nun eine Pause einlegen und sowieso nie wieder einen anderen englischen Klub trainieren. Daher: Ich werde mich für eine Weile von der Parteipolitik zurückziehen und gegebenenfalls danach sicher keiner anderen grünen Partei beitreten. Alles andere werde ich dann sehen.
Ein lauwarmer Abschied
zge. Der Vorstand der Zürcher GLP hat am Donnerstagabend an einer Mitgliederversammlung in Oerlikon über den Austritt von Georges Kern informiert. Der CEO und Mitbesitzer der Uhrenmarke Breitling war nicht anwesend, weil er auf Geschäftsreise in Asien ist. Nicola Forster, der abtretende Präsident der Partei, sagte, die GLP sei Kern extrem dankbar. Er habe sich mit pointierten Voten und mit seinen Ideen eingebracht. «Aber er hat auch gemerkt, dass er vermehrt eine überparteiliche Rolle wahrnehmen will, und das ist schwierig mit dem Label GLP.»
Bemerkenswert war, dass es keinerlei Wortmeldungen zu Kerns Abgang gab. Obwohl mit ihm einer der profiliertesten Wirtschaftsführer der Schweiz und ein wichtiger Geldgeber der Partei seinen Austritt gab, stellte niemand unter den rund hundert anwesenden Grünliberalen die Frage, wie es dazu hatte kommen können oder was das für die ins Schlingern geratene Partei bedeuten könnte. Kern wurde ohne grosses Aufheben mit lauwarmem Applaus verabschiedet.