Es war eine der umstrittenen Reformen der letzten Jahre: die Revision des Sexualstrafrechts, die im vergangenen Juli in Kraft trat. Seither gilt bei Sexualdelikten die Maxime «Nein heisst Nein». Wer sich bei einer sexuellen Handlung über die Ablehnung seines Gegenübers hinwegsetzt, muss mit einer harten Strafe rechnen.
Neu gilt auch ein plötzlicher Schockzustand, das sogenannte «Freezing», als Ablehnung. Rohe Gewalt und Drohung müssen nicht mehr bewiesen werden, um jemanden wegen eines sexuellen Übergriffs zu verurteilen.
Opfer von Sexualdelikten – mehrheitlich weiblich – sollen dadurch besser geschützt, die Täter – mehrheitlich männlich – besser zur Rechenschaft gezogen werden können. Damit wollte das nationale Parlament gegen ein Problem vorgehen, das fast 60 Prozent aller Schweizerinnen betrifft. So viele haben gemäss Befragungen bereits ungewollte sexuelle Avancen wie Berührungen, Küsse oder anzügliche Sprüche erlebt.
Um die 5000 entsprechende Delikte verzeichnet die polizeiliche Kriminalstatistik schweizweit jedes Jahr, Tendenz leicht steigend. Am häufigsten sind dabei sexuelle Belästigungen, sexuelle Handlungen mit Kindern und Vergewaltigungen.
Nun, bei der Umsetzung der Reform, stellt ein bisher kaum beachteter Passus die Kantone vor schwierige Fragen. Neu können Gerichte und Staatsanwaltschaften nämlich Täter zur Teilnahme an «Lernprogrammen» verpflichten, als Teil der Probezeit bei einer bedingten oder teilbedingten Strafe.
Vergewaltiger, Pädophile und Belästiger auf der Schulbank – kann das funktionieren?
Rückfälle verhindern
Ja, glaubt der Kanton Zürich, der seit Anfang Jahr als einer der ersten ein solches Programm betreibt. Mirjam Schlup, Leiterin des Amts für Justizvollzug und Wiedereingliederung, sagt es so: «Sie sind kein Ersatz für eine Strafe, aber sie können Rückfälle verhindern.»
Die Täter sollten die Konsequenzen ihrer Tat tragen und dafür bestraft werden, sagt die Chefbeamtin. Doch danach sei es im Interesse aller, sie nicht einfach in Richtung nächste Straftat spazieren zu lassen. «Viele wollen nicht rückfällig werden, tun es aber trotzdem.»
Diese Gruppe gelte es nun mit gezielten Schulungen zu erreichen. «Sie sollen ihr Delikt reflektieren, Selbstkontrolle üben und neue Gewohnheiten entwickeln», sagt Schlup. Da Zürich seit rund zwanzig Jahren Lernprogramme in anderen Bereichen wie etwa häuslicher Gewalt anbiete, wisse man: «Diese Programme wirken.»
Wer daran teilnimmt, hat gemäss Kanton eine 80 Prozent geringere Rückfallquote als vergleichbare Täter, die keine Schulung absolvieren.
Nicht jeder Täter eigne sich dabei für eine Teilnahme, sagt der Sozialarbeiter Martin Schiesser, der selbst solche Kurse leitet. So müsse eine minimale Bereitschaft da sein, das eigene Tun kritisch zu hinterfragen. Personen mit schweren psychischen Störungen oder Suchtproblemen kämen deshalb nicht infrage.
«Wir müssen ablehnendes Verhalten in Motivation umwandeln können», sagt Schiesser. «Das ist nicht einfach und klappt auch nicht immer.»
Vermittelt wird den zum Lernen verknurrten Tätern dabei Banales, das für sie aber offenbar so banal nicht ist: etwa dass ein rückwärtsgewandtes Frauenbild, übermässiger Alkoholkonsum oder ein von Macho-Sprüchen geprägtes Umfeld zu ihrer Enthemmung beitragen kann. Und dass sie – egal wie sehr sie sich von ihren Opfern «provoziert» oder «gedemütigt» fühlen mögen – selbst für ihre Handlungen verantwortlich sind.
Bisher wenige Teilnehmer
Um die hundert Täter im Jahr will der Kanton so betreuen können. Die Kurse werden je nach Fall einzeln oder in geschlechtergetrennten Gruppen durchgeführt und dauern insgesamt zwischen 15 und 20 Stunden. Darauf folgen Kontrollgespräche im Dreimonatstakt.
Das ist deutlich kürzer als die Dauer einer psychiatrischen Therapie. Und es ist, zumindest in der Darstellung des Kantons, auch kosteneffizient. Zwischen 3200 und 4100 Franken pro Person koste die Teilnahme den Steuerzahler. Ein Rückfall in die Delinquenz sei demgegenüber ungleich teurer.
Jeder dergestalt in Prävention investierte Franken spare sechs weitere, die sonst für die Strafverfolgung anfallen würden, rechnete ein Beamter an der Medienkonferenz zum Thema vor.
Ob man dieser Rechnung nun folgen will oder nicht, ist jedoch in gewisser Hinsicht unerheblich. Da sie nun einmal im Gesetz vorgesehen sind, wird mittelfristig wohl kein Justizvollzug der Schweiz um Lernprogramme wie jenes in Zürich herumkommen. Der Kanton will das Angebot dennoch wissenschaftlich begleiten und umfassend überprüfen lassen.
Die grösste Herausforderung ist dabei aus harzigen Erfahrungen mit früheren Programmen bereits bekannt: die Gerichte und die Strafverfolger dazu zu bringen, das Angebot auch zu nutzen – sprich, entsprechende Verpflichtungen in Urteile und Strafbefehle aufzunehmen.
Dafür will der Kanton bei den Justizbehörden eine Informationsoffensive starten, inklusive Flyern und interner Schulungen. Momentan ist die Anzahl Sexualtäter in einem Lernprogramm nämlich noch überschaubar. Es sind deren zwei.