Jason Gulley / Wildlife Photographer of the Year
Die besten Natur- und Tierfotos des Wildlife-Photographer-of-the-Year-Wettbewerbs sind derzeit in Basel ausgestellt. Zu sehen gibt es Löwen-Sex, Überlebenskämpfe, haarige Insekten im Grossformat und mittendrin: ein Foto aus Basel.
Es sind die Oscars für Naturfotografie. Was 1965 als kleiner Magazin-Wettbewerb mit 361 eingereichten Fotos begann, wurde zu einem der wichtigsten Fotowettbewerbe der Welt. Die diesjährige, sechzigste Ausgabe des Wildlife-Photography-of-the-Year-Wettbewerbs verzeichnete knapp 60 000 eingereichte Fotografien aus 117 Ländern.
Die hundert besten eingereichten Fotos werden weltweit in Museen ausgestellt. Dieses Jahr zum ersten Mal auch in der Schweiz, im Naturhistorischen Museum in Basel.
Die Fotografinnen und Fotografen kämpfen in 13 Hauptkategorien um das Preisgeld in Höhe von 1250 Pfund, umgerechnet 1400 Franken. Wer als Sieger des Gesamtwettbewerbs auserkoren wird, gewinnt 10 000 Pfund, umgerechnet 11 200 Franken. Allen Teilnehmenden winken aber vor allem zwei Dinge: Prestige und Anerkennung.
Ziel des Wettbewerbs ist es, die Schönheit und Vielfalt, aber auch die Verletzlichkeit der Natur zu zeigen und zu thematisieren. Die siebenköpfige Jury bewertet deshalb nicht nur die Fotos an sich, sondern auch die Geschichte, die dahintersteckt. Gingen dem Foto wochenlange Vorbereitungen voraus? Macht es auf eine bestimmte Problematik aufmerksam? Zeigt es Momente und Tiere, die vom menschlichen Auge kaum wahrnehmbar sind?
Zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein
Eine klassische Wildlife-Photography-Aufnahme zeigt Bewegung, Aktion, einen Moment, der sich im Bruchteil einer Sekunde abspielt. Das Foto des britischen Fotografen William Fortescue ist ein solches: ein Löwe und eine Löwin, die sich vor wolkenverhangenem Hintergrund eben noch gepaart haben. Offenbar aufgebracht, hat der Löwe vom Rücken des Weibchens abgelassen und befindet sich im Sprung nach vorn. Seine kräftigen Vorderbeine schweben noch in der Luft, das Weibchen schaut über die Schulter, die beiden Tiere fauchen sich an. Zwei Speichelfäden fliegen aus dem Maul des Weibchens, ein Schwarm Fliegen stiebt aus dem Fell des Männchens auf, seine wehende Mähne zeugt von der abrupten Bewegung.
Das Löwenfoto ist in der Kategorie «Tierverhalten: Säugetiere» ausgestellt.
Es gibt insgesamt vier Kategorien, die sich dem Tierverhalten widmen. Bei ihnen dreht sich alles um Momentaufnahmen von ungewöhnlichem, denkwürdigem oder spektakulärem Tierverhalten. Für diese Fotos müssen Fotografinnen und Fotografen genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein – und oft schnell reagieren.
Ein Beispiel dafür ist ein Foto aus der Kategorie «Verhalten: Wirbellose Tiere». Es zeigt eine Orchideen-Wespe, die sich an einem Blatt festhält. Sie schimmert in metallischen Grüntönen, die Facettenaugen glänzen wie Glas, ihr Körper ist mit winzig kleinen Härchen bedeckt. Details, die von Auge kaum sichtbar sind, auf dem Foto hingegen gestochen scharf abgebildet werden. Der Fotograf hatte lediglich wenige Sekunden Zeit, um diesen Moment einzufangen, bevor die Wespe wieder davonflog.
Die Fotos müssen nicht immer schön sein
Andere Kategorien wie «Oceans: The Bigger Picture» sollen die Wichtigkeit der Meere für uns und unseren Planeten veranschaulichen. Dem Gewinner dieser Kategorie ist dies gelungen. Sein Foto zeigt einen toten Meeresvogel, der vor einem schwarzen Hintergrund neben einem Mosaik aus Plastikteilchen liegt. Die Teilchen stammen alle aus dem Körper des Vogels.
Der Gesamtgewinner des Wildlife-Photography-of-the-Year-Wettbewerbs heisst Shane Gross. Der Kanadier hat sein Foto in der Kategorie «Wetlands: The Bigger Picture» eingereicht. Der Fokus in dieser Kategorie liegt auf der lebenswichtigen Rolle von Feuchtgebieten für die Natur und den Menschen. Gross ist als Fotojournalist tätig und dokumentiert den Schutz der Meere. Für das Siegerfoto schnorchelte er mehrere Stunden durch einen dicken Teppich aus Seerosenblättern, bis ihm ein Schwarm von Kaulquappen der Westlichen Kröte entgegenschwamm. Offenbar zielgerichtet bewegen sich die blauen Tierchen durch den Wald aus Seerosen an ihm vorbei. Gross nannte das Foto «Ausschwärmen ins Leben».
Die Mehrheit aller ausgestellten Fotos wurde ausserhalb Europas geschossen. Dass man für Tierfotografie nicht in exotische Gefilde reisen muss, zeigt der Gewinner des Nachwuchspreises Young Wildlife Photographer of the Year 2024. Der 17-jährige Alexis Tinker-Tsavalas schoss das Foto eines winzigen Kugelspringers auf einem Schleimpilz in einem Wald in Berlin. Er hat das kaum zwei Millimeter grosse Insekt entdeckt, nachdem er einen Baumstamm zur Seite gerollt hatte.
Das Basler Foto ist anders als die anderen
Der Sieger der Kategorie «Form und Komposition», Jiří Hřebíček, schoss sein Foto ebenfalls in seiner Nachbarschaft. Der gebürtige Tscheche und Hobbyfotograf lebt in Basel und schoss das Siegerfoto im Park im Grünen – auch bekannt als «Grün 80». Es fällt sofort auf.
Stilistisch hebt es sich von allen anderen Fotos ab, ähnelt eher einem impressionistischen Gemälde als einer Fotografie.
Im Gegensatz zu vielen anderen Natur- und Tierfotografen ist es nicht Hřebíčeks Ziel, die Realität abzubilden. Andere Fotografen warten teilweise stundenlang auf den perfekten Moment. Hřebíček sagt: «Ich kreiere den Moment selber.»
Die Technik, die er dafür anwendet, nennt sich ICM, Intentional Camera Movement. Das bedeutet, dass der Fotograf seine Kamera während der Belichtung absichtlich bewegt. Die Bewegung führe zu mehr Dynamik, Struktur und einem künstlerischen Charakter, so Hřebíček.
Vögel faszinieren Hřebíček am meisten. Er könne die Wesensart der Vögel auf eine Art und Weise festhalten, die nicht von blossem Auge sichtbar sei, sagt er. Und: Er muss dafür nicht weit reisen, muss nicht nach den Tieren suchen oder sich in Gebüschen verstecken und auf den Zufall warten.
Hřebíček ist berufstätig und hat eine Familie mit zwei Kindern. Zeit für intensives Fotografieren hat er nur ein bis zwei Wochen pro Jahr, wenn er auf Fotoreisen geht.
Vor zwei Jahren wurde er allerdings für vier Monate krankgeschrieben. Während jener Zeit entdeckte er die mystische Abendstimmung im Park im Grünen. Der Park liegt nur einen kurzen Fussmarsch von seinem Zuhause entfernt. Dort konnte er sich ganz den Vögeln widmen – und sich für seine Ideen Zeit nehmen. Während vier Monaten sei er abends immer wieder in den Park zurückgekehrt, bis er das gewünschte Motiv nach seinen Vorstellungen habe ablichten können.
«Meine Fotos zeigen eine neue Perspektive auf altbekannte Motive», sagt Hřebíček.
Früher sei er für diesen Stil belächelt worden. Jetzt ist er ein mehrfach prämierter Natur- und Tierfotograf. Er freut sich über diese Preise, ist sich aber bewusst, dass diese Erfolge unter anderem vom Geschmack der Jury abhängig sind. Die beste Form der Anerkennung sei es, wenn seine Handschrift in seinen Fotos erkannt werde. Er befindet sich auf bestem Wege dazu: In der kleinen Gemeinschaft der Wildlife-Fotografen in Tschechien redet man bereits von «Jiřís Stil».
Hřebíčeks Foto sowie die 99 anderen besten Fotos des Wildlife-Photographer-of-the-Year-Wettbewerbs sind vom 8. November 2024 bis zum 29. Juni 2025 im Naturhistorischen Museum in Basel ausgestellt.