An den US-Börsen wird die Performance von Einzelaktien gegen Ende Jahr oft von zwei technischen Sonderfaktoren beeinflusst: Window Dressing und Tax-loss Harvesting. Wie Investoren davon profitieren können – und welche Namen auf die Watchlist gehören.
Wer auf lange Sicht an den Aktienmärkten investiert, braucht sich um das Timing eigentlich nicht gross zu kümmern. Den perfekten Zeitpunkt zu treffen, gelingt ohnehin praktisch nie. Dennoch kann es sich empfehlen, auf saisonale Kursmuster zu spekulieren, wenn man Positionen eröffnet oder ausbaut.
Eine gute Gelegenheit dafür eröffnet sich in den kommenden Wochen. An den US-Börsen notiert der Leitindex S&P 500 seit Anfang Jahr gut 28% fester. Der Nasdaq 100 mit populären Aktien aus dem Tech-Sektor wie Nvidia, Apple oder Meta Platforms verbucht ebenso satte Kursgewinne. Mit Blick nach ergibt sich dadurch eine spannende Konstellation, um auf Titel zu wetten, die von der grossen Masse vernachlässigt werden.
Möglich machen das zwei markttechnische Faktoren, die bisherige Trends bei Einzelaktien verstärken können: Sie geben Aktien, die sich im Jahresverlauf erfreulich entwickelt haben, oft zusätzlichen Auftrieb. Umgekehrt geraten die Verlierer gegen Ende Jahr noch stärker unter Druck.
Beim ersten der beiden Faktoren handelt es sich um Window Dressing. Bezeichnet wird damit die Praktik von Fondsmanagern, noch kurz vor dem Stichtag per Ende Dezember diejenigen Aktien zu kaufen, die im Jahresverlauf am besten performt haben. Zugleich werden die Titel mit der schwächsten Kursentwicklung aus dem Portfolio geworfen.
Mit diesem Vorgehen wird versucht, in der Schlussbilanz des Jahres bei Kunden den Eindruck zu erwecken, dass die Aktienauswahl besonders clever war: Der Fonds hat auf die richtigen Namen gesetzt und Verlierer vermieden. Natürlich ändert sich dadurch an der tatsächlichen Performance aber nichts – alles nur für die Galerie.
Beim zweiten Faktor geht es um die Optimierung von Steuern. Er wird als Tax-Loss Harvesting bezeichnet, wobei Aktien mit einer negativen Performance bis Ende Jahr aus dem Depot verkauft werden. Die dadurch realisierten Verluste können in den USA dann von der Kapitalgewinnsteuer abgezogen werden, um die Steuerlast zu verringern.
Die Gewinner im Depot werden demgegenüber vorzugsweise über den Jahreswechsel gehalten und erst im Januar verkauft. Der Grund dafür: Wird mit einem Rebalancing bis dahin gewartet, müssen Steuern auf realisierte Kapitalgewinne erst im folgenden Jahr gezahlt werden; im aktuellen Fall 2026. Ausserdem können die Titel, die für Verlustvorträge veräussert worden sind, nach einer Frist von dreissig Tagen zurückgekauft werden, ohne dass die Steuerbehörden etwas dagegen einwenden.
Chancen für Contrarian-Strategien
In Jahren, in denen grosse Börsenbarometer wie der S&P 500 und der Nasdaq 100 deutliche Gewinne verzeichnen, machen sich diese beiden Faktoren in der Regel besonders stark bemerkbar. Die Chancen stehen gut, dass dies auch für 2024 gilt. Darauf deuten zumindest erste Anhaltspunkte zum Verhalten institutioneller Investoren hin.
Für Anlagefonds gilt bezüglich Strategien für das Tax-loss Harvesting bereits der 31. Oktober als Stichtag zur Realisierung von Kapitalgewinnen bzw. Verlusten. Für Privatanleger ist es der 31. Dezember. Wie die untenstehende Grafik von Bank of America auf Basis von Kundentransaktionen veranschaulicht, lässt sich in diesen beiden Monaten jeweils das grösste Volumen an Verkäufen von Einzelaktien beobachten.
Institutionelle Investoren (dunkelblaue Balken) werfen im Oktober am meisten Material auf den Markt, Privatanleger (hellblaue Balken) im Dezember:
Das übliche Muster trifft bislang auch für dieses Jahr zu. Gemäss der US-Grossbank waren «institutionelle Kunden grosse Nettoverkäufer im Oktober». Es würde daher nicht überraschen, wenn Aktienveräusserungen zur Steueroptimierungen bei Privatanlegern in den nächsten Wochen ebenfalls besonders ausgeprägt ausfallen.
Interessant ist hierbei vor allem, dass der Doppeleffekt aus Window Dressing und Tax-loss Harvesting ab Januar dann nicht selten in die entgegengesetzte Richtung wirkt: Die schwachen Valoren aus dem alten Jahr werden zurückgekauft und verspüren Auftrieb, wogegen bisherige Gewinner unter Druck geraten können. Zudem investieren Retail-Investoren oft zu Beginn des neuen Jahres am meisten neues Geld, wobei abgeschlagene Titel gerne bevorzugt werden.
Wie immer an der Börse lässt sich natürlich nicht garantieren, dass dieses Muster auch in den nächsten auftritt. Beim letzten Jahreswechsel beispielsweise hielt der Grundtrend an den Aktienmärkten praktisch ungebrochen an. Heisse Tech-Aktien wie Nvidia, AMD oder Broadcom, die in den letzten Monaten des Jahres 2023 vom Hype um künstliche Intelligenz und der Hoffnung auf baldige Zinssenkungen besonders stark profitierten, setzten ihre Avancen im folgenden Januar unbeirrt fort. Derweil hinkten Verlierer weiter hinterher.
Mehr Erfolg verspricht eine Spekulation auf die Verstärkungseffekte von Window Dressing und Tax-loss Harvesting hingegen, wenn an den Börsen mit dem Beginn des neuen Jahres ein – zumindest temporärer – Stimmungswechsel einsetzt. Historisch betrachtet ist das nicht selten der Fall, wie die folgende Auflistung illustriert.
Aktien für die Watchlist
Es empfiehlt sich daher, ein spezielles Auge auf Aktien zu halten, die im bisherigen Jahresverlauf eine schwache Performance ausweisen und in den nächsten Wochen ohne spezifische Unternehmensnachrichten nochmals unter Druck geraten. Beim Durchkämmen des S&P 500 fällt rund ein Dutzend Titel auf, die auf der Seite der Verlierer stehen und sich für eine Comeback-Wette zum Jahreswechsel anbieten.
Zu den Kandidaten auf der Watchlist zählen zum Beispiel Unternehmen aus der Agrarindustrie wie der Getreidehändler Archer-Daniels-Midland und der Düngemittelhersteller Mosaic. Auf Basis der Analystenschätzungen für die kommenden zwölf Monate sind beide Unternehmen zum Kurs-Gewinn-Verhältnis von 11 nicht teuer bewertet. Der Vergleichswert für den breiten Gesamtmarkt beläuft sich auf 23. Bei Archer-Daniels-Midland kann man zudem mit einer stattlichen Dividendenrendite von 4% rechnen.
Eine gute Ausgangslage, um auf eine Trendwende im Januar zu setzen, ergibt sich im Gesundheitssektor. Die Biotech-Konzerne Regeneron und Biogen beispielsweise haben ein schwieriges Jahr hinter sich. Sie könnten davon profitieren, wenn sich Befürchtungen vor Eingriffen der Trump-Administration im US-Gesundheitswesen als übertrieben erweisen. Trump selbst dürfte kaum vergessen haben, dass ihm ein Antikörper-Cocktail von Regeneron bei seiner Covid-Erkrankung in der Pandemie wahrscheinlich das Leben rettete.
Weitere Namen für ein Comeback sind der Discounter Dollar General, der Chemiekonzern Dow, die Logistikgruppe UPS und der Werkzeughersteller Stanley Black & Decker. Wer den Mut aufbringt, kann sich an Boeing heranwagen. Der Luft- und Raumfahrtkonzern hat 2024 immer wieder für negative Schlagzeilen gesorgt und musste zuletzt hart mit den Gewerkschaften verhandeln. Seit Januar hat der Kurs fast 40% verloren und notiert mehr als 60% unter dem Allzeithoch von 2019. Da braucht es für eine Gegenbewegung nicht viel.
Für die Watchlist empfehlen sich ebenso Aktien aus dem Energiesektor. Wohin sich der Ölpreis nächstes Jahr bewegt, weiss niemand. Ein qualitativ ausgezeichnetes Unternehmen wie ConocoPhillips kann aber so gut wie jedes Umfeld meistern. Zum Besten, was die amerikanische Öl- und Gasbranche zu bieten hat, gehört ebenso Schlumberger. Die Titel der weltgrössten Servicegesellschaft sind enorm volatil, versprechen aber reichlich Potenzial, wenn die US-Behörden gegenüber dem Abbau von Bodenressourcen fortan eine freundlichere Haltung einnehmen.