Eine Gesetzesänderung sieht vor, Zivildienstpflichtige für einen Teil ihres Dienstes im Zivilschutz einzusetzen. National- und Ständerat stimmten ihr zu. Dass Freiwilligkeit nicht ausreicht, zeigte ein Pilotprojekt im Kanton Graubünden.
Die Verfassung verlangt: Alle Schweizer Männer müssen Militärdienst leisten. Jene, die tauglich sind, tun dies in der Armee. Wer aus medizinischen Gründen nicht militär-, dafür schutzdiensttauglich ist, leistet Dienst im Zivilschutz. Untaugliche zahlen einen Wehrpflichtersatz. Wer zwar tauglich ist, aber (wegen Gewissenskonflikten) keinen Militärdienst leisten will, kann in den Zivildienst, der dafür anderthalb mal so lange dauert.
So weit, so klar. Doch die Aufteilung auf die Dienste ist aus dem Lot – zumindest nach Meinung einer Mehrheit des Parlaments und des Bundesrates.
Vor allem der Zivilschutz hat ein Problem. Die landesweite Zielgrösse liegt bei 72 000 Zivilschützern. Anfang 2025 lag der Bestand bei 57 000. Bis 2030 könnten es laut der abtretenden Verteidigungsministerin Viola Amherd noch rund 50 000 sein. Es fehlen also schon heute Zivilschützer, dies, weil die Dienstdauer 2021 verkürzt worden war. Diese Lücke im Zivilschutz sollen unter anderem Zivildienstpflichtige, kurz Zivis, füllen.
Am Montag stimmte der Ständerat einer entsprechenden Änderung des Bevölkerungs- und Zivilschutzgesetzes (BZG) zu. Er folgt damit dem Nationalrat, der die Vorlage hitzig debattiert hatte.
Zivildienstpflichtige sollen Einsätze zugunsten des Zivilschutzes leisten
Die Änderung des Gesetzes sieht vor, dass Zivis für einen Teil ihres Dienstes «zu ordentlichen Zivildienstleistungen in einer Zivilschutzorganisation verpflichtet», heisst, dazu gezwungen werden können. Dies nicht erst, wenn sich eine Katastrophe ereignet, sondern schon vorher: wenn ein Kanton zu wenig Zivilschützer hat und erst, wenn sich keine Zivilschützer aus anderen Kantonen finden lassen. Maximal 80 Tage könnten die Zivis so im Zivilschutz eingesetzt werden.
In der Debatte im Nationalrat letzten Dienstag versuchten SP und Grüne die Gesetzesänderung zu verhindern. Die Gegner sprachen von einem «Angriff auf den Zivildienst» und «höchst unfairen Zwangseingriffen». Tausende Zivis würden im Gesundheitswesen oder im Umweltschutz fehlen. Der Protest scheiterte. Der grosse Rat nahm die Änderung an und entschied sogar, das Dienstpflichtalter von 38 auf 40 Jahre zu erhöhen, weshalb die Vorlage nochmals in den Ständerat musste. Dieser stimmte der Erhöhung am Montag zu.
Befürworter der Vorlage verwiesen während der Debatte auch auf ein Pilotprojekt aus dem Kanton Graubünden. Das Projekt spricht für den Zwang, zeigt aber Herausforderungen bei der Umsetzung auf.
Freiwillig melden sich zu wenig Zivildienstpflichtige
Das Pilotprojekt hat seine Ursprünge in der Covid-Pandemie. Zivis hatten damals insgesamt 2000 Diensttage zugunsten des Kantons Graubünden geleistet und so zur Bewältigung der Krise beigetragen. Aus der positiven Erfahrung entstand die Idee für eine weitere Zusammenarbeit von Zivildienst und Zivilschutz, zwei grundsätzlich verschiedenen Organisationen.
«Im Unterschied zum Zivilschutz gibt es beim Zivildienst keine Führungsstrukturen, Logistik oder Ausrüstung für die Zivildienstleistenden», sagt Regula Zürcher, Stellvertretende Direktorin des Bundesamtes für Zivildienst (ZIVI). In Notlagen könne das Bundesamt die Zivis nur einzeln aufbieten und mit den Einsatzbetrieben zusammenbringen, sagt Zürcher, ein Einsatz als Formation ginge nicht. Die Einsatzbetriebe seien dann für die Führung, Ausbildung und Ausrüstung der Zivis zuständig. Zudem funktionierten die Aufgebote, Diensttage-Anrechnungen oder Spesen beim Zivildienst anders als beim Zivilschutz.
Das Pilotprojekt sollte diese Differenzen beleuchten und Lösungen bieten. Das Ziel war, vierundzwanzig Zivis von 2022 bis 2025 auch beim Zivilschutz auszubilden und in einem sogenannten Schnellen Sanitätszug (SSZ) einzusetzen. Ein SSZ kommt bei gravierenden Katastrophen mit mehreren Toten und Verletzten zum Einsatz. Doch das Projekt scheiterte in einem zentralen Punkt. Nur zehn statt vierundzwanzig Zivis nahmen teil. Der Grund: Die Teilnahme war freiwillig.
Bei konkreten Notlagen, wie bei der Covid-Pandemie oder nach dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs, sei es leicht gewesen, ausreichend Zivis zu finden, die sich für länger dauernde Einsätze in Spitälern oder Bundesasylzentren meldeten, sagt Zürcher vom ZIVI. Das Bundesamt informierte die Zivis mit einer aufwendigen Kampagne über das Pilotprojekt, um sie dafür zu gewinnen. Was sich als schwierig herausstellte, weil Einsätze unvorhergesehen hätten stattfinden können. Im Falle einer Notlage oder Katastrophe hätten die Zivis mit sieben Tagen Vorlauf in den Einsatz gebracht werden sollen. Doch Katastrophen lassen sich schlecht planen. «Die mangelnde Planbarkeit der Einsätze und Unvereinbarkeit mit dem Privatleben, also Ausbildung, Beruf oder Ferien, waren die meistgenannten Gründe für eine Nicht-Teilnahme», erklärt Zürcher.
Fazit des Pilotprojekts: Freiwilligkeit funktioniert nicht. Es braucht mehr Verbindlichkeit.
Ein Referendum bleibt möglich
Mit der Zustimmung des Ständerats ist die Politik dieser Verbindlichkeit näher gekommen. Bleibt noch die Schlussabstimmung diesen Freitag und, sollte es ergriffen werden, ein fakultatives Referendum.
Doch selbst wenn die Gesetzesänderung durchkommt – was anzunehmen ist –, für jene Kantone, die Lücken beim Zivilschutz befürchten, ist die Lösung mit den Zivis nur ein Zwischenschritt. Langfristig braucht es aus ihrer Sicht eine umfassende Neuordnung des Dienstpflichtsystems. Dieses auszuarbeiten, obliegt dann dem frisch gewählten Bundesrat und zukünftigen VBS-Chef Martin Pfister. Seine Vorgängerin war mit ihrem Vorschlag im Bundesrat gescheitert.