Ein Positionspapier der Uni Zürich legt Zoos nahe, mehr Zootiere zu verfüttern. Nun könnte sich auch die Praxis im Zoo Zürich verändern.
An einem Montagmorgen Ende September betäuben Angestellte des Zoos Zürich drei Erdmännchen mit einem Bolzenschuss. Sie schneiden den Tieren die Kehle durch, lassen sie ausbluten, dann verfüttern sie sie an die Hyänen.
Der Akt ist Teil des Artenmanagements des Zoos und sorgt in den sozialen Netzwerken und auf Online-Plattformen der Medien für Diskussionen. Darf ein Zoo das?, so lautet die Frage.
Nun fordert ein Positionspapier der Universität Zürich, dass solche Tötungen zu einer rechtlich akzeptierten Praxis in Zoos weltweit werden. Die Forschenden schreiben, Zoos sollten das Töten von Tieren öfter in Kauf nehmen. Es diene dem Naturschutz und der Bildung der Öffentlichkeit.
Marcus Clauss vom Universitären Tierspital Zürich ist Erstautor des Artikels und sagt: «Selbst wer Milch konsumiert, nimmt den Tod von Tieren in Kauf, weil Kälber und Kühe letztlich getötet werden. Doch wenn man einen Cappuccino trinkt, ist man sich dessen kaum bewusst.» Wenn Zoos nur alte Tiere verenden liessen, würden sie dieses Wegschauen fördern. «Wir können aus Zoos keine Altersheime machen», sagt Clauss weiter.
Zoos hätten die Pflicht, die Tierpopulation zu erhalten, schreiben die Forschenden. Sie leisteten damit einen wichtigen Beitrag zum Artenschutz. Es sei daher entscheidend, dass die Zoos fortpflanzungsfähige Populationen und das Wissen über die Aufzucht von Jungtieren erhielten.
Zudem sei es wichtig, dass Zoos darüber informierten, dass Ressourcen wie etwa der Platz beschränkt seien und dass Tod sowie Fortpflanzung ein Teil der Biologie seien. Clauss sagt: «Verantwortungsvolles Populationsmanagement gehört überall dazu. Nicht nur beim Wolf, sondern auch im Zoo.»
Unfruchtbare und überalterte Zootiere
Viele Zoos schrecken bisher vor Zootier-Tötungen zurück – auch aus Angst vor Kritik der Öffentlichkeit. Zahlreiche Zoos beschränken die Populationen, indem sie den Tieren Empfängnisverhütungsmittel verabreichen. Das sei nicht zielführend, sagt Clauss. Häufig seien die Tiere nach Absetzung der Kontrazeptiva unfruchtbar, und es entstünden überalterte Populationen.
Er sagt: «Fortpflanzung ist ein Grundbedürfnis von Tieren. Ohne Reproduktion wird ihnen einer ihrer wichtigsten evolutionären Antriebe genommen.» Sinnvoller sei es daher, Fortpflanzung zuzulassen und Tiere, für die der Platz nicht ausreiche, respektvoll zu töten und als Futter zu nutzen.
Entscheidend dafür, wie die Vorschläge der Forscher umgesetzt werden können, ist die Gesetzgebung in den jeweiligen Ländern. In der Schweiz sei es einfacher, Tiere zu töten, als etwa in Deutschland, sagt Clauss. «In der Schweiz darf ich rechtlich einen gesunden Hund, der mir gehört, von einer Fachperson töten lassen. In Deutschland hingegen brauche ich dazu einen sogenannten ‹vernünftigen Grund›, zum Beispiel, dass die Lebensqualität des Hundes durch eine Krankheit stark eingeschränkt ist.»
In der Praxis entscheiden die Zoos selbst, welche Tiere sie wann töten. Ausser den Gesetzen des jeweiligen Landes bestehe keine übergeordnete Struktur, die das vorschreiben könne, sagt Clauss. In der Schweiz etwa schreibt das Tierschutzgesetz vor, dass Wirbeltiere nicht lebend verfüttert werden dürfen. Deshalb mussten die Zoomitarbeiter die Erdmännchen töten, bevor diese an die Hyänen verfüttert wurden.
Clauss sagt, bisher hätten Zoos vor allem typische Beutetiere getötet und verfüttert – also etwa Antilopen oder Zebras. «Da wundern sich die Leute weniger», sagt Clauss. Aber wenn ein Zoo nun einen Panther töten und verfüttern würde, könne das für mehr Aufsehen sorgen.
Clauss ist aber auch überzeugt, dass das Verständnis in der Gesellschaft grösser ist, als manche Zoos denken. In der Studie konnten die Forschenden Folgendes darlegen: 78 Prozent der Zoobesucher in Deutschland, Österreich und der Schweiz zeigten keine negativen Reaktionen, wenn sie dabei zusahen, wie zooeigene Tiere an Raubtiere verfüttert wurden. «Wichtig ist einfach, dass die Zoos transparent kommunizieren», sagt Clauss.
Eine Erfahrung, die auch der Zürcher Zoodirektor Severin Dressen gemacht hat. Die Tötung der drei Erdmännchen im September wurde auf der Website des Zoos Zürich publik gemacht und als Medienmitteilung breit gestreut. Mehr als zwei Drittel der Online-Kommentare bei Artikeln zum Thema seien wohlgesinnt gewesen, so Dressen.
Er sagt: «Wenn wir transparent kommunizieren, ist das Verständnis in der Schweiz gross.» In anderen westlichen Ländern sei das aber anders, dort sei der Gegenwind stärker.
«Wir züchten nicht, um Futter für die Raubtiere zu produzieren»
Unter den Zoos ist das Thema umstritten. Einige verzichten bewusst darauf, überzählige Tiere zu töten. Bei anderen sind die Tötungen bereits eine gängige Praxis. Ein Zoo in Deutschland etwa ist in der Lage, bis zu 30 Prozent des Fleischbedarfs seiner Raubtiere mit Fleisch von Tieren aus der eigenen Einrichtung zu decken.
In Zürich gibt es gelegentlich Tötungen wie jene der Erdmännchen, aber einen entscheidenden Anteil des Futters der Raubtiere macht solches Fleisch nicht aus. Zoodirektor Dressen sagt: «Wir züchten nicht primär, um Futter für die Raubtiere zu produzieren, sondern um gesunde Populationen zu erhalten.» Getötet würden Tiere, für die man weder im Zoo noch in einer anderen guten Haltung dauerhaft Platz finde. Verfüttert würden sie, damit man sie nicht entsorgen müsse.
Trotzdem unterstützt Dressen die Einschätzung der Forschenden: «Wenn ich eine Zoo-Antilope an einen Tiger verfüttere, weiss ich: Sie hatte eine bessere Lebensqualität als die meisten Nutztiere.» Zudem könne er sicher sein, dass die Antilope keine Medikamente bekommen habe und daher einwandfreies Futter für den Fresser sei. Deshalb, sagt Dressen, sei es gut möglich, dass der Zoo das Verfüttern in Zukunft verstärke. Aber man werde wahrscheinlich nie alle Futtertiere aus eigenen Beständen beziehen können.
Zoo Zürich: Vor 100 Jahren fing alles an
clr. Vor 100 Jahren begann im Restaurant Du Pont beim Hauptbahnhof die Geschichte des Zürcher Zoos. Am 14. Januar 1925, es war ein Mittwoch, trafen sich im Restaurant Zürcherinnen und Zürcher zum Zweck, einen Tiergarten zu gründen. Der Initiator des Anlasses war der Zoologe Hans Steiner, der später der erste Direktor des Zoos Zürich werden sollte. Gemeinsam mit Tierfreunden hatte er über Inserate in den Zürcher Tageszeitungen die Bevölkerung aufgerufen, am Anlass teilzunehmen. Die Anwesenden bestimmten schliesslich ein Initiativkomitee, das herausfinden sollte, wo und unter welchen Umständen in Zürich ein Zoo entstehen könnte. Vier Jahre später, am 1. September 1929, wurde der Zoo am heutigen Standort im Quartier Fluntern eröffnet.