Die ZSC Lions werden vermutlich erstmals seit 2020 als Qualifikationssieger feststehen und als grosser Favorit ins Play-off steigen. Neben den starken Torhüterleistungen ist der junge Stürmer Vinzenz Rohrer eine der Entdeckungen.
Marc Crawford müht sich nach Kräften, Bescheidenheit zu demonstrieren. Es sei eine harte Qualifikation gewesen, sein Team sei stark gefordert worden und habe verschiedene Tiefs durchschreiten müssen, sagt der Trainer der ZSC Lions. «Wir mussten viele Prüfungen bestehen.» Einmal mehr würde sich der Rest der National League diese Sorgen des Branchenprimus wünschen.
Denn der ZSC stellt das beste, breiteste Kader der Meisterschaft. Keine andere Mannschaft kriegt weniger Gegentore. Die Special Teams funktionieren. Crawford konnte sich bei der Zusammenstellung der Linien austoben. Der Stürmer Denis Malgin befindet sich in Spiellaune, und Simon Hrubec ist nicht nur statistisch der beste Torhüter der Liga. Der Durchschnitt der Gegentore des Tschechen liegt bei 1,88. Es ist ein irrwitziger Wert, nicht einmal die ZSC-Legende Ari Sulander hat ihn je nur annähernd erreicht.
Die Mitfavoriten Zug und Genf/Servette schwächeln
Der Vorsprung der Lions auf Platz 7 und die erste Pre-Play-off-Equipe beträgt dreissig Punkte. Drei Runden vor Schluss ist den Zürchern mit einer Reserve von sieben Zählern auf Freiburg der erste Qualifikationssieg seit 2020 kaum noch zu nehmen. Platz 1 berechtigt in der nächsten Saison zur Teilnahme an der Champions Hockey League, einem Format, in dem der ZSC bisher bitter enttäuscht hat; seit 2014 und der Neuauflage des Wettbewerbs schaffte er es nie weiter als bis in die Viertelfinals.
Vor allem aber untermauert die Klassierung die Qualität und die Ansprüche dieser Organisation, die in den letzten neun Jahren trotz enormen finanziellen Anstrengungen nur einen Titel feiern konnte. In den nächsten zwei Monaten nun soll der Erfolgshunger wieder gestillt werden. Und da ist es ein gutes Omen, dass der ZSC die beste Regular Season seiner Geschichte spielt; der Punktedurchschnitt liegt bei 2,12 pro Match. So gut war er nur 2013/14, ebenfalls mit dem Trainer Crawford, als der ZSC dank 4:0 Siegen im Final gegen Kloten souverän das Play-off gewann. Es ist der bisher einzige Meistertitel in fünf Anläufen mit dem ehemaligen Stanley-Cup-Champion Crawford.
Die Play-offs werden darüber entscheiden, wie diese ZSC-Saison in die Annalen eingeht – und womöglich auch, ob der bis 2025 unter Vertrag stehende Crawford seinen Job behält. Alles andere als der zehnte Titel der Klubgeschichte wäre eine herbe Enttäuschung, zumal die Konkurrenz Schwächen offenbart.
Der als Mitfavorit gestartete EV Zug befindet sich in einer Krise und kämpft mit Verletzungssorgen. Der Vorjahresfinalist Biel muss sogar um die Teilnahme an den Pre-Play-offs bangen und stellte am Sonntag den Trainer Petri Matikainen frei. Das viertplatzierte Lausanne war, als es am Samstag bei den ZSC Lions mit 1:3 unterlag, mit 12:39 Schüssen hoffnungslos überfordert. Und der Titelhalter Genf/Servette kriegt seine defensiven Probleme nicht in den Griff.
Beziehungen in den notorisch überdrehten Kosmos der Montréal Canadiens
Aus dem Team des ZSC hat die Qualifikation bereits jetzt Gewinner hervorgebracht. Zu ihnen gehört Vinzenz Rohrer, ein neunzehn Jahre alter Österreicher, der in der ZSC-Organisation ausgebildet worden ist, das Ausländerkontingent nicht belastet und 2022 von den Montréal Canadiens in der dritten Runde gedraftet wurde. Am Freitag führte der polyvalente Angreifer den ZSC bei Ajoie mit zwei Penaltytreffern zum Sieg, und er traf auch gegen Lausanne.
Rohrer ist ein tempofester, schmächtiger Stürmer, der in seiner ersten Profi-Saison bereits 17 Skorerpunkte gesammelt hat und mit einer bemerkenswerten Reife auffällt. Er sagt, er verzichte bewusst darauf, die sozialen Netzwerke zu nutzen, um sich nicht den Kopf verdrehen zu lassen.
Im notorisch überdrehten Kosmos der Montréal Canadiens ist das vermutlich ein weiser Entscheid. Gerade lernt Rohrer Französisch, was ankommen wird in der zweisprachigen Provinz Quebec, in der es ein ungeschriebenes Gesetz ist, dass der Coach der Canadiens Französisch parlieren muss. Daneben nutzt Rohrer die Freizeit dazu, sich das Klavierspiel beizubringen.
Rohrer, Sohn des ehemaligen Tennisprofis Stefan Lochbihler, steht vor einer aufregenden Zukunft. Crawford sagt, dass es für ihn ausser Frage stehe, dass Rohrer mittelfristig den Sprung in die NHL schaffe: «Seine Entwicklung ist sehr erfreulich.» Crawford setzt ihn inzwischen auch im Unterzahlspiel und am Bully ein. Unter den Stürmern erhält Rohrer deutlich mehr Eiszeit als Routiniers wie Chris Baltisberger, Reto Schäppi oder der oft überzählige frühere Nationalspieler Simon Bodenmann.
Und Rohrer dürfte dem ZSC sogar nächste Saison erhalten bleiben, er sagt: «Ich habe hier einen Zweijahresvertrag unterschrieben. Die Optionen sind ein Verbleib in Zürich oder ein Wechsel in die NHL. Die Chance ist sehr klein, dass ich es im Herbst direkt in die NHL schaffe.»
💪Erstes NL-Spiel, erstes NL-Tor! Kann man mal machen Vinzenz Rohrer!
zsclions I #NationalLeague I #IchbinFan pic.twitter.com/qu3jKZ8TaQ— MySports (@MySports_CH) September 15, 2023
«Die Mission ist klar: Für uns zählt nur der Meistertitel»
Rohrer sagt, es gebe viele Facetten in seinem Spiel, an denen er arbeiten müsse, unter anderem die Physis. Mit seiner Postur von 1 Meter 80 und 78 Kilogramm werden die Play-offs mit dem ZSC für ihn zu einem ersten echten Härtetest. «Die Mission ist klar: Für uns zählt nur der Meistertitel.» Rohrer hat das Anspruchsdenken in Zürich schnell verinnerlicht.
Die Lions, die ihre Qualifikation am nächsten Montag gegen die SCL Tigers abschliessen, werden ihren ersten Play-off-Widersacher erst nach den Pre-Play-offs kennen. Dann wird sich zeigen, ob Crawford mit der Einschätzung recht hatte, dass die Seinen in diesem Winter genug gefordert worden seien.