Der Lausanne HC besiegt die ZSC Lions im dritten Anlauf erstmals. Matchwinner ist der junge Stürmer Théo Rochette mit einem Hattrick – sein Weg in die NHL scheint vorgezeichnet.
Es hätte einen nicht gewundert, wenn plötzlich Thomas Gottschalk übers Eis geglitten wäre mit Samtjacket, Silberblick und dem ihm eigenen überheblichen Chauvinismus, denn es war ja Samstagabend. Und er in der Vaudvoise-Aréna vor der hereinbrechenden Nacht zum krönenden Abschluss eine Saalwette angekündigt hätte: Derek Grant, 34, aus Abbotsford, Alberta, Kanada, eine Eiche von einem Mann, 1,90 Meter gross und 93 Kilo schwer, wettet, dass er mit voller Wucht in eine Glasfront boxen kann. Ohne dass das ihm oder der Glasscheibe etwas anhaben wird.
Grant tat das, zwei Minuten vor Schluss in Spiel 3 in dieser Play-off-Finalserie. Er wurde wegen Spielverzögerung mit einer Zweiminutenstrafe belangt und verlor darob gänzlich die Contenance. Erst brüllte er den Schiedsrichter an, zertrümmerte anschliessend seinen Stock und boxte dann in das dicke Spezialglas vor dem Spielerausgang.
Es ist unklar, ob Grant diesen Frustabbau unverletzt überstanden hat – der ZSC-Medienchef Sandro Frei macht seinen Job zu umsichtig als dass er den Stürmer nach diesen Ereignissen zu den wartenden Journalisten geschickt hätte. Aber wenn ja, dann hat Grant das der Evolution des Eishockeys zu verdanken. Als dieser Sport vor ziemlich exakt 150 Jahren in Kanada erdacht und erstmals ausgeübt wurde, trugen die Spieler Handschuhe als Schutz vor der Kälte. Heute tragen sie aufwendig konstruierte, dick gepolsterte Handschuhe, die pro Paar mehr als 200 Franken kosten. Und die Finger vor Stockschlägen schützen, vor mit gegen 180 Stundenkilometern abgegeben Schüssen – und auch vor der Kanalisierung des Frusts wie im Fall von Grant.
55 Sekunden nach dem Ausbruch des Kanadiers traf Lausanne in doppelter Überzahl zum 4:2, es war der Schlusspunkt eines launigen, aufregenden Play-off-Abends. Nach dem sich sagen lässt, dass diese Serie doch noch lanciert ist. Es wurden 92 Strafminuten ausgesprochen, die Atmosphäre hatte etwas Knisterndes. Beide Teams landeten ihre Nackenschläge, wiederholt kochten die Emotionen über; der Aussenseiter Lausanne verkürzte trotz gewichtigen personellen Absenzen auf 1:2.
Vor 150 Jahren dienten die Hockey-Handschuhe nur dem Schutz vor der Kälte
Es gibt im Eishockey nicht nur punkto Ausrüstung konstante Innovation, auch das eigentliche Spiel verändert sich laufend. Es wird schneller, intensiver, körperlich anspruchsvoller. Und befindet sich in guten Händen, wenn man sich vor Augen führt, welch hoch veranlagte Jünglinge hervorgebracht werden. In Schweden, in Kanada, in den USA. Und in der Schweiz. Der wandelnde Beweis für Letzteres ist Théo Rochette. Rochette, 23, erzielte am Samstag einen Hattrick und schaffte das seltene Kunststück, sowohl bei numerischen Gleichstand wie auch in Über- und Unterzahl zu treffen.
Der junge Romand befindet sich auf historischem Terrain. Seit 39 Jahren existiert hierzulande das Play-off-Format. In diesen 40 Jahren hat es einen einzigen Schweizer Play-off-Torschützenkönig gegeben, der mehr als zehn Treffer erzielt hat. Grégory Hofmann war das, der in der Saison 2017/18 14-mal traf – und mit Lugano trotzdem nicht Meister wurde.
Es ist ein Schicksal, das Rochette mit ihm teilen könnte, das würde nicht überraschen. Vor allem aber ist Hofmann einer der wenigen Spieler, denen der Sprung in die NHL über die National League gelungen ist. Die NHL, das ist der grosse Traum von Rochette, der in 17 Spielen elf Tore erzielt hat und sich zu Lausannes unwiderstehlichstem Einzelspieler aufgeschwungen hat. Nach heutigem Stand ist Rochette der Nachfolger des letztjährigen Play-off-Torschützenkönigs… Derek Grant.
Trotz ansprechenden Leistungen in der kanadischen Juniorenliga QMJHL (Québec Major Junior Hockey League) ist Rochette im NHL-Draft stets übergangen worden. Das war ein kleiner Weltuntergang für den Sohn des ehemaligen Spitzenschiedsrichters Stéphane Rochette; die Nichtberücksichtigung warf Wellen. Patrick Roy, Rochettes Coach in Québec und inzwischen Cheftrainer in der NHL, sagte: «Théo hat sich so sehr verbessert. Wenn ich mir Spieler anschaue, die gedraftet wurden, finde ich es entsetzlich, dass er nicht ausgewählt wurde.»
In diesem Jahr wird Patrick Fischer ihn nicht mehr übergehen können
Inzwischen aber könnte Rochette das noch zum Vorteil erwachsen: Er ist in der NHL niemandem verpflichtet und kann seinen Arbeitgeber frei auswählen. In der aktuellen Verfassung würde es nicht überraschen, sollte Rochette eine Chance erhalten: Er kostet wenig und wäre für die 32 NHL-Organisationen eine Transferversuchung mit überschaubarem Risiko und potenziell grosser Wirkung. Die an Lausanne zu entrichtende Transferentschädigung von 260 000 Dollar können die allesamt schwerreichen Teambesitzer aus der Portokasse entrichten.
Rochettes Darbietungen in diesem Play-off sind jedenfalls ein Bewerbungsschreiben für eine Zukunft in der besten Liga der Welt. Eine Nomination für die WM in Dänemark dürfte ihm diesem Ziel noch ein bisschen näher bringen. Im Vorjahr war er vom Nationaltrainer Patrick Fischer nach dem Play-off-Final nicht berücksichtigt worden. In diesem Frühjahr dürfte Fischer schwerlich um ein Aufgebot Rochettes herumkommen.
Vorerst steht für Rochette etwas anderes im Fokus: Wenn der Sieg vom Samstag mehr als Strohfeuer gewesen sein soll, muss Lausanne am Dienstag in der Swiss-Life-Arena die unheimliche ZSC-Serie von 15 Play-off-Heimsiegen in Folge beenden. Zuträglich wäre diesem Unterfangen, wenn es Rochette mit seiner famosen Darbietung gelungen ist, seine ausländischen Offensivkollegen wachzurütteln: Die hoch bezahlten Stars Dominik Kahun und Antti Suomela haben beide erst drei Play-off-Treffer erzielt.