Nicht die Konsumenten brauchen KI made in Europa, sondern Wirtschaft und Zivilgesellschaft, sagt der Gründer des Startups Aleph Alpha.
Sie haben einen Top-Job als Manager bei Apple aufgegeben, um in Deutschland ein KI-Startup zu gründen. Warum?
Wir befinden uns in einer industriellen Revolution, und mit Aleph Alpha sind wir an der Speerspitze mit dabei. Wir haben eine Mission, es geht uns um den Tech-Standort und die Souveränität von Deutschland und Europa. Jetzt sind wir in einer Situation, die ich mir beim Start nicht hätte träumen lassen: Wir hatten die grösste Finanzierungsrunde überhaupt in dem Bereich in Europa, unsere Partner sind die besten Unternehmen Deutschlands und der Welt.
Bosch, SAP und andere investieren eine halbe Milliarde Euro, rekordverdächtig für ein KI-Startup in Europa. Aber im Vergleich zu den 10 Milliarden von Microsoft für Open AI ist es wenig. Können Sie die grossen Tech-Firmen trotzdem einholen?
Das ist alles eine Frage der Perspektive. Natürlich haben diese Firmen die grösseren KI-Modelle, weil sie mehr Geld in Chips für das KI-Training investieren können. Aber wir waren schneller als Open AI mit KI, die Bilder und Texte verarbeiten kann. Und zurzeit haben wir als Einzige erklärbare Ergebnisse.
Jonas Andrulis und Aleph Alpha
«Ganz Europa sollte hoffen, dass Jonas Andrulis Erfolg hat», titelte das Handelsblatt, als der Tech-Unternehmer es schaffte, 500 Millionen Investorengeld für Aleph Alpha einzusammeln. Mit etwa 70 Mitarbeitern entwickelt das Startup KI-Sprachmodelle ähnlich wie Chat-GPT und darauf basierende Anwendungen für Unternehmen.
Jonas Andrulis hat litauische Wurzeln und ist 1981 in Westberlin geboren. Er gründete bereits das KI-Startup Pallas Ludens, das 2016 von Apple aufgekauft wurde.
Wie funktioniert das?
Unser Modell macht transparent, woher seine Antworten kommen, und zeigt, wo es widersprüchliche Daten gibt. Ich gebe ein Beispiel: Ich sage, Jan ist der neue Star-Basketballspieler der NBA, und seine Eltern waren Hobbits aus dem Auenland. Und dann frage ich das Modell, wie gross Jan wahrscheinlich ist. Dann sagt das Modell: «Ich habe dazu zwei Beobachtungen. Seine Basketball-Karriere spricht dafür, dass er sehr gross ist. Dass seine Eltern Hobbits sind, spricht dagegen.»
Sind solche Features das, wodurch KI-Firmen sich jetzt gegenseitig Konkurrenz machen?
Es geht darum, mit KI Mehrwert zu schaffen. Da steckt die Branche noch am Anfang. Eine Sprach-KI allein ist kein Businessmodell. Die Zahlungsbereitschaft von Konsumenten für den Zugang zu Modellen wie Chat-GPT ist gering, zu gering. Damit kann man keine Gewinne machen. Wir setzen auf Firmenkunden. Die fragen, wie kann ich mein Unternehmen transformieren, mit konkreten Anwendungen. Was für ein Sprachmodell dahintersteckt, ist ihnen egal.
Bisher lief ja schon ein Wettlauf um das beste Sprachmodell, GPT4 contra die anderen. Stagniert jetzt die Qualität und verlagert sich der Wettlauf in andere Bereiche?
Wir haben schon jetzt viel weniger Halluzinationen (falsche Aussagen von KI-Modellen, Anm. d. R.) als noch vor einem Jahr. Weiteres Potenzial zur Verbesserung steckt darin, um Sprachmodelle herum Strukturen zu bauen, wie Erinnerungsvermögen. Innovation wird es aber auch bei der Mensch-Maschine-Zusammenarbeit geben: Wie könnte die aussehen, abgesehen von dem Prompten von Chatbots?
Sie haben von industrieller Revolution gesprochen. Werden Computer und Roboter unsere Jobs übernehmen?
Arbeit, wie wir sie jetzt kennen, wird sich verändern. Wie bei der industriellen Revolution Muskelkraft ersetzt wurde, wird jetzt der monotone Teil der Wissensarbeit von Maschinen ersetzt. Das schafft mehr Spielraum für Kreativität und Komplexität. Wenn man sich die Demografie anschaut, wird die Frage nicht sein, ob wir genug Jobs für alle haben, sondern umgekehrt, wie wir mit weniger Menschen überhaupt handlungsfähig bleiben.
Wir machen also dank KI-Assistenten in Zukunft allein den Job von mehreren Personen?
Ja. Man kann es sich so vorstellen, als hätte man unendlich viele Praktikanten. Die können Dinge heraussuchen, vorformulieren, umschreiben. Solche Detailarbeit wird in Zukunft nicht mehr der Mensch machen. Den Menschen sehe ich als Koordinator, der Komplexität versteht, Verantwortung übernimmt und dafür sorgt, dass die KI das Richtige tut.
Zur Mission von Aleph Alpha gehört technologische Souveränität und Europa als KI-Standort. Warum sollte es Konsumenten interessieren, woher ihre KI kommt?
Die Konsumenten braucht es nicht zu interessieren. Auch unsere Firmenkunden nicht. Bei Aleph Alpha ist auch nicht unsere Postanschrift unser Alleinstellungsmerkmal. Es geht bei Technologiesouveränität nicht darum, sich lokal abzuschotten, sondern darum, dass wir auch als Zivilgesellschaft selber bestimmen können, wie die Welt aussieht, die von KI erschaffen wird, und dass Unternehmen und Regierungen in Sachen Technologie transparent und selbstbestimmt agieren können.
Und dazu muss man Sprach-KI im eigenen Land machen?
In der Vergangenheit konnte man sagen: Na gut, dann gibt es kein soziales Netzwerk aus Europa, keine Halbleiterbranche in Europa. Doch diese neue Technologie ist anders, weil sie entscheidend in unser Denken eingreift. Die breite Masse interagiert mit KI. Ich finde problematisch, dass Tech-Firmen entscheiden, was richtiges Gedankengut ist, wie kontroverse Probleme dargestellt werden. Solche Fragen sollte die Zivilgesellschaft entscheiden, im Moment entscheiden es die Anbieter der Technologie.
Und Sie hatten das Gefühl, wenn Sie das Problem nicht angehen, macht das keiner?
Natürlich könnte das auch ein amerikanisches Unternehmen machen. Aber die grossen Tech-Firmen setzen eher auf eine Cloud-Monopolstrategie . . .
Das heisst, sie wollen mit KI ihre Cloud attraktiver machen und so Geld verdienen.
Der Cloudmarkt ist lukrativ, mit einer Gewinnmarge von 50 Prozent vor Steuern. Wir selbst könnten so eine Strategie sowieso nicht fahren, weil wir nicht die Ressourcen haben, eine Cloud anzubieten. Also entwickeln wir Open-Source-Technologie, die Kunden bei sich einbauen können – und selbst aussuchen, welches Sprachmodell sie verwenden und wo sie es betreiben. Das ist im Sinne der Kunden. Ihnen bleibt mehr Wertschöpfung und Handlungsspielraum, zum Beispiel, um zu wechseln, wenn eine andere Sprach-KI besser wird.
Open Source bedeutet offener Quellcode – Software, die für alle sichtbar und nutzbar im Internet steht. Wie wird ein Geschäft daraus?
Unser Prinzip ist: Wir teilen unser Wissen und publizieren unsere Forschung. Aber wir bieten nicht einfach alles kostenlos an. Bei Open Source gibt es verschiedene Modelle, die es erlauben, offen und transparent zu sein und zugleich durch intellektuelles Eigentum Geld zu verdienen, zum Beispiel Premium-Funktionen, oder dass nur grosse Firmen Lizenzen bezahlen müssen. Solche Wege nutzen auch wir.
Zu Ihren Investoren gehört die Stiftung des Lidl-Gründers Dieter Schwarz, die nun auch der ETH eine Menge Geld gespendet hat, um in seiner Heimatstadt Heilbronn einen Standort für KI mit aufzubauen. Werden auch Sie die Infrastruktur in Heilbronn in Zukunft nutzen?
Dort entsteht der Innovation Park Artificial Intelligence (Ipai). Wir sind nur eine Stunde entfernt und beteiligen uns als Technologiepartner. Ich gehe davon aus, dass dort in den nächsten Jahren ein führendes KI-Zentrum in Europa entstehen wird. Mit der ETH und der TU München sind sehr gute Hochschulen vertreten.
In Frankreich hat Mistral, ebenso ein KI-Startup, das auf Open Source setzt, viel Geld einsammeln können. Ist das Ihre grösste Konkurrenz?
Es muss sich noch zeigen, was Mistral genau machen wird. Das Unternehmen ist ja noch sehr jung. Ich freue mich erst einmal, dass es in Europa noch ein weiteres starkes Team gibt. Und ich hoffe, wir werden uns so koordinieren, dass wir nicht genau das Gleiche machen. Das Feld ist breit genug dafür.
Wie steht es insgesamt um die KI-Startup-Szene in Europa?
Was wir mit Aleph Alpha geschafft haben, ist einzigartig für Europa. Als ich gestartet bin, hiess es noch, das kannst du mit deutschen, mit europäischen Investoren nicht aufziehen, die können nur E-Commerce. Hier bekäme man keine Finanzierung für Hightech. Unser Erfolg zeigt: Viele erkennen, dass jetzt ein besonderer Moment ist und es notwendig ist, mutig zu agieren. Auf der anderen Seite verlieren wir gegenüber den USA seit Jahrzehnten in Sachen Innovation eher, und dieser Trend besteht weiterhin. Europa ist träge, doch man spürt auch den Willen, sich zu transformieren.
Die EU hat weltweit das erste breite Regelwerk zu KI verfasst – bremst die AI Act die Entwicklung?
Es hätte schlimmer kommen können. Dennoch ist es so, dass wir in Europa bei der KI-Umsetzung hinten dran sind, bei der Regulierung aber an erster Stelle stehen. Für uns bedeuten diese Regeln, dass viel von unserer Energie, von unseren Ressourcen nicht mehr für Innovation genutzt wird, sondern für das Einhalten der Vorschriften.
Man liest, Sie hätten schon als Jugendlicher gerne an Geräten gebastelt.
Ja, als Teenager habe ich für den Amateurfunk Geräte gelötet und mit 16 dann angefangen, kommerzielle Softwareentwicklung zu machen. Ich hab auch schon mit dem BBS, dem Bulletin Board System, Nachrichten verschickt, das war der Vorläufer vom Internet, das hatte noch keine grafische Oberfläche, nur Buchstaben auf schwarzem Grund.
Seitdem ist viel passiert. Glauben Sie, in den nächsten 25, 30 Jahren ändert sich wieder so viel?
Die Entwicklung geht sogar immer schneller. Vor fünfhundert Jahren hat sich innerhalb eines Lebens nicht so viel verändert. Ein Schmied war einfach ein Schmied, in seiner Lebenszeit gab es ein, zwei neue Ideen. Das ist heute komplett vorbei wegen der Technologie. Das ist der Katalysator, der alle Prozesse beschleunigt. Wir sind dasselbe Säugetier, das wir vor 10 000 Jahren waren. Das birgt schon Risiken. Zugleich ist schnelle Veränderung etwas, für das wir als Menschen eigentlich gebaut sind.