Berlin versucht, die Luftverteidigung Kiews zu stärken. Verteidigungsminister Boris Pistorius sprach darüber auch mit Bundespräsidentin Viola Amherd.
Russland hat seine Luftangriffe auf die Ukraine intensiviert. In Wellen greift es mit Drohnen, Marschflugkörpern und Gleitbomben an. Kiew hat Mühe, grosse Städte wie Charkiw in der Ostukraine gegen die Luftangriffe zu verteidigen – und bat eindringlich um westliche Hilfe. Deutschland hat deshalb eine Initiative gestartet, um die ukrainische Luftverteidigung zu stärken. Ein Sprecher des Aussenministeriums sagte im April, die Adressaten seien Nato- und EU-Mitgliedsländer, aber auch Drittstaaten.
Nun zeigt sich, dass sich Berlin im Rahmen der Initiative auch an Bern gewandt hat. Verteidigungsminister Boris Pistorius habe mit seiner Schweizer Amtskollegin Viola Amherd vor kurzem ein Gespräch geführt, in dem es um die Unterstützung der Ukraine gegangen sei, sagt ein Sprecher des deutschen Bundesministeriums für Verteidigung der NZZ. Auch Kaj-Gunnar Sievert, der Sprecher des Bundesamts für Rüstung (Armasuisse), bestätigt den Austausch mit Bundespräsidentin Amherd. «Zu Einzelheiten geben wir keine Auskunft», sagt er.
Streit um Munition
Doch das Gespräch hat offenkundig nicht zu Ergebnissen geführt. Als neutraler Staat gibt die Schweiz kein Kriegsmaterial an Kriegsparteien weiter – auch nicht an die Ukraine. Das musste Berlin bereits im Jahr 2022 erfahren. Mehrmals versuchte es, Bern dazu zu bewegen, die Weitergabe von Munition für den Flugabwehrpanzer Gepard an die Ukraine zu genehmigen.
Doch der Bund konnte die Wiederausfuhr dieser Munition aus Schweizer Produktion nicht erlauben. Die Schweiz musste dafür scharfe Kritik einstecken: Statt über die rund 70 000 Flüchtlinge aus der Ukraine, die sie aufgenommen hat, sprachen westliche Staaten über die verweigerte Weitergabe von 12 400 Schuss Munition.
Denkbar wäre eine Art Ringtausch mit westlichen Ländern, nach dem Vorbild des Leoparden-Handels. Im letzten Jahr stimmte die Schweiz dem Verkauf von 25 Kampfpanzern des Typs Leopard 2 an die deutsche Herstellerfirma zu – unter der Bedingung, dass sie nicht in die Ukraine gelangen. Die Panzer sollen Lücken schliessen, die bei Nato- und EU-Staaten entstanden sind, weil diese Kiew Panzer weitergegeben haben.
Doch bei der Luftverteidigung hat die Schweiz kaum etwas abzugeben, selbst für einen Ringtausch reicht es nicht. Die bestellten amerikanischen Patriot-Systeme sollen frühestens ab dem Jahr 2026 geliefert werden. Die Ukraine braucht die Waffen jedoch jetzt. Die Stinger-Flugabwehrraketen und die Feuereinheiten für die mittlere Flugabwehr benötigt die Schweizer Armee selber, neben den Kampfjets des Typs F/A-18. Im Juni findet auf dem Bürgenstock eine Konferenz für die Ukraine statt, an der hochrangige Politiker aus aller Welt teilnehmen sollen. Der Schutz des Luftraums wird anspruchsvoll.
Veraltetes Rapier-System
Auch eine Weitergabe der Rapier-Systeme ist keine Option. Die «NZZ am Sonntag» hatte letztes Jahr berichtet, die Schweiz sei dabei, die 60 Abwehrsysteme zu verschrotten. Diese könnten in der Ukraine noch gute Dienste leisten, vermuteten Experten. Doch laut der Armasuisse handelt es sich um ein veraltetes System, das seine Wirkung gegen heutige Bedrohungen verloren habe. Die Schweiz hatte das Lenkwaffensystem in den achtziger Jahren beschafft. «Die Rapier-Systeme werden ausser Dienst gestellt», sagt der Armasuisse-Sprecher Sievert. International bestehe danach keine Nachfrage. Ein Ringtausch sei im Gespräch zwischen Amherd und Pistorius kein Thema gewesen.
Die Schweiz ist nicht der einzige europäische Staat, der auch indirekt nichts zur Stärkung der ukrainischen Luftverteidigung beiträgt. Andere Länder haben ebenfalls erhebliche Lücken bei der Abwehr von Bedrohungen aus der Luft. Etliche EU-Staaten zögern, Raketen an Kiew weiterzugeben.
Deutschland geht mit eigenem Beispiel voran und liefert der Ukraine ein drittes Luftabwehrsystem des amerikanischen Typs Patriot. Zudem hat Spanien angekündigt, Raketen für dieses System an Kiew abzugeben.