Mit dem «Rentenpaket II» will die deutsche «Ampel» die Altersbezüge stabilisieren. Doch es dürfte unter dem Strich mehr Schaden als Nutzen stiften.
Sie lesen einen Auszug aus dem werktäglichen Newsletter «Der andere Blick», heute von René Höltschi, Wirtschaftskorrespondent der NZZ in Berlin. Abonnieren Sie den Newsletter kostenlos. Nicht in Deutschland wohnhaft? Hier profitieren.
Nach einigem Ruckeln hat es die deutsche Regierung am Mittwoch ohne nennenswerte Änderungen verabschiedet und ans Parlament überwiesen: das im März angekündigte Rentenpaket II. Es ist ein Paket der verpassten Gelegenheiten, schlimmer noch: des Rückschritts. Auf die deutsche Altersvorsorge kommen enorme Probleme zu, weil in den nächsten 15 Jahren der grösste Pensionierungsschub ansteht und deshalb immer weniger Berufstätige die Renten von immer mehr Rentnern finanzieren müssen. Denn die Versicherung funktioniert nach dem Umlageverfahren: Die Renten der heutigen Bezüger werden durch Beiträge der heutigen Erwerbstätigen finanziert.
Fetisch Rentenniveau
Und was tut die Regierung? Sie friert das Rentenniveau bis mindestens 2039 bei den derzeit geltenden 48 Prozent ein. Gemeint ist, dass eine Standardrente eines Rentenbezügers, der während 45 Jahren Beiträge auf Basis eines durchschnittlichen Einkommens bezahlt hat, 48 Prozent eines durchschnittlichen Einkommens eines Arbeitnehmers betragen soll. Damit hebelt die «Ampel» den bisherigen Nachhaltigkeitsfaktor aus. Dieser dämpft die jährliche Rentenerhöhung, wenn die Zahl der Rentner schneller steigt als die Zahl der Beitragszahler.
Die Idee dahinter war, die Lasten der Alterung auf beide Gruppen aufzuteilen, die aktive Bevölkerung und die Rentner. Künftig werden die Erwerbstätigen alleine dafür geradestehen müssen: Während das Rentenniveau stabil bleibt, werden die Beiträge, die derzeit bei 18,6 Prozent des beitragspflichtigen Arbeitseinkommens liegen und je hälftig vom Arbeitgeber und vom Arbeitnehmer bezahlt werden, laut offiziellen Schätzungen bis 2035 auf über 22 Prozent steigen, deutlich mehr als ohne Rentenpaket.
Das ist nicht nur eine schlechte Nachricht für die Jungen, sondern auch für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Zugleich reichen diese Beiträge schon heute bei weitem nicht aus, um die Renten zu finanzieren. Deshalb fliessen derzeit über 110 Milliarden Euro pro Jahr aus dem Bundeshaushalt als Subvention in die Rentenversicherung. Auch hierfür kommen über ihre Steuern vor allem die aktiven Generationen auf, auch dieser Betrag dürfte steigen.
Feigenblatt Kapitaldeckung
In dieser Gemengelage ist es ein schwacher Trost, dass – vor allem auf Druck des liberalen Finanzministers Christian Lindner – mit dem Rentenpaket II eine dritte Finanzierungsquelle neben Beiträgen und Subventionen hinzukommen soll: Unter dem euphemistischen Namen «Generationenkapital» wird ein staatlicher Fonds aufgebaut, dessen Mittel auf dem Kapitalmarkt angelegt werden. Aus den Nettoerträgen sollen ab Mitte der 2030er Jahre Zuschüsse an die gesetzliche Rentenversicherung gezahlt werden.
Damit wird zwar das erwähnte Umlageverfahren der Altersvorsorge durch eine kapitalgedeckte Komponente ergänzt, was im Grundsatz sinnvoll ist. Aber in der vorgesehenen Variante wird der Aufbau des Fonds durch öffentliche Schulden finanziert, und der Beitrag an die Rentenfinanzierung wird über lange Zeit gering bleiben.
Was zu tun wäre
Besser wäre es, als Ergänzung zur umlagefinanzierten gesetzlichen Rente eine neue Form einer ergänzenden privaten Altersvorsorge nach dem Kapitaldeckungsverfahren aufzubauen, bei der Erwerbstätige Beiträge auf ein individuelles Konto einzahlen. Das könnte Teil einer umfassenden Rentenreform sein, nach der viele Ökonomen, darunter die «Wirtschaftsweisen», seit langem mit gutem Grund rufen.
Zentrales Element einer solchen Reform müsste eine Bindung des gesetzlichen Renteneintrittsalters an die durchschnittliche Lebenserwartung sein: Leben die Menschen länger, würde ein Teil der zusätzlichen Zeit dem Arbeitsleben und ein Teil dem Ruhestand zugeschlagen. Ergänzend sollten Anreize dazukommen, freiwillig länger zu arbeiten.
Bereits kurzfristig Entlastung bringen würde zudem eine Bindung der Erhöhung von Bestandsrenten an die Inflation statt an die Lohnentwicklung. Eingeschränkt werden müsste der Zugang zur abschlagsfreien Frührente («Rente mit 63») für Menschen mit mindestens 45 Beitragsjahren. Untersuchungen zeigen, dass die Regel insbesondere von Personen mit mittlerem Einkommen und überdurchschnittlicher Gesundheit in Anspruch genommen wird. Eine Beschränkung auf Menschen mit dauerhaft geringem Einkommen oder gesundheitlichen Problemen wäre zumutbar.
Vor den meisten dieser Ideen schreckt die «Ampel» wie schon die Vorgängerregierung zurück. Den Preis für diesen Mangel an politischem Mut werden die heutigen jungen Generationen und deren Kinder bezahlen.
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