Die Ziele der deutschen Regierung im Wohnungsbau sind in weite Ferne gerückt, doch über die Abhilfe wird gestritten. Die Branche fordert Subventionen, die «Ampel» riskiert mit der Verlängerung der Mietpreisbremse eine Verfassungsklage.
Den Bau von 400 000 neuen Wohnungen pro Jahr, davon 100 000 Sozialwohnungen, hatte die deutsche Ampel-Regierung bei ihrem Amtsantritt Ende 2020 als politisches Ziel formuliert. Damit wird sie krachend scheitern: Knapp 300 000 waren es laut dem Statistischen Bundesamt 2021 und 2022. Für das letzte Jahr werden erst im Mai offizielle Zahlen erwartet, doch erwartet der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes einen Rückgang auf 271 000.
Tatsächlich deuten diverse Indikatoren auf einen weiteren Rückgang in der nahen Zukunft hin. So ist die Zahl der Baugenehmigungen für Wohnungen letztes Jahr gegenüber dem Vorjahr um 27 Prozent auf 260 100 Wohnungen gesunken, womit sie den tiefsten Stand seit 2012 erreicht hat. Zugleich aber steigt die Nachfrage nach Wohnraum, da die Bevölkerung Deutschlands infolge Zuwanderung auch 2023 leicht zugenommen hat.
Wohnungen als Nadelöhr
In vielen relevanten Regionen wachse die Bevölkerung deutlich schneller als die Zahl der Wohnungen, erklärte Dietmar Walberg, Leiter des Wohnungsbau- und Bauforschungsinstituts ARGE am Donnerstag am Wohnungsbau-Tag, den ein Bündnis aus diversen Branchenverbänden, dem Deutschen Mieterbund und der Industriegewerkschaft Bau einmal jährlich in Berlin veranstalten. Die von Walberg präsentierte Studie geht davon aus, dass das Wohnungsdefizit in Deutschland letztes Jahr um 100 000 auf 800 000 Einheiten gestiegen sei und und 9,3 Millionen Menschen in «überbelegten» Wohnungen leben würden.
Solche Daten sind zwar mit Vorsicht zu interpretieren, zudem gibt es laut der Studie auch weiterhin rund 300 000 leerstehende Wohnungen, nur stehen diese oft am «falschen» Ort, etwa in Ostdeutschland. Unbestritten ist, dass der Markt in Metropolen wie Berlin, Frankfurt oder München angespannt ist.
Das ist nicht nur ein soziales, sondern zunehmend auch ein wirtschaftliches Problem: Wohnungsbau könne dazu beitragen, Zuwanderung in grosse Städte und Wachstumszentren zu ermöglichen und damit die Arbeitskräfteknappheit zu lindern, erklärte Martin Gornig, der an der Veranstaltung eine Studie des DIW Econ, die Beratungsunternehmens des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, über die volkswirtschaftliche Bedeutung der Wohnungsbaubranche präsentierte. Danach ist die Branche gemessen an der Bruttowertschöpfung und den Arbeitsplätzen ähnlich wichtig wie die Automobilbranche. Zugleich erwartet das Papier, dass das Wohnungsbauvolumen im laufenden Jahr nominal um 5,4 Prozent schrumpfen wird.
Geywitz winkt ab
Den Hintergrund des Rückgangs bildet vor allem der starke Anstieg der Baukosten und der rasche Anstieg der Zinsen. Unter den aktuellen Bedingungen seien Neubauten weder für die Bauherren noch für die künftigen Mieter bezahlbar, lautet der Tenor der Branche. Zwar wiesen Bauministerin Klara Geywitz und Wirtschaftsminister Robert Habeck auf positive Signale hin, darunter der Rückgang der Inflation und wieder sinkende Bauzinsen. Doch mehrere Branchenvertreter entgegneten, die Talsohle sei noch nicht erreicht.
In solchen Situationen folgt in Deutschland unfehlbar der Ruf nach Subventionen. Zwar gibt es bereits Fördermassnahmen für den Wohnungsbau, zudem wurden kürzlich im Rahmen des «Wachstumschancengesetzes» günstigere Abschreibungsbedingungen für neue Wohnungen und Wohngebäude eingeführt.
Doch darüber hinaus braucht es aus Sicht des Verbändebündnisses eine «sofortige Sonderförderung» des Wohnungsneubaus von jährlich 23 Milliarden Euro, davon 15 Milliarden für 100 000 neue Sozialwohnungen pro Jahr und 8 Milliarden für «bezahlbare» Wohnungen. Doch die Sozialdemokratin Geywitz erteilte bei ihrem Auftritt an der Veranstaltung dem Ansinnen indirekt eine Absage: Eine Dauersubventionierung einer so grossen Branche in der Breite sei nicht möglich, sagte sie. Deshalb müsse man sehen, wie der frei finanzierten Wohnungsbau wieder rentabel werden könne.
Einfacher und billiger bauen
Zumindest im Grundsatz einig sind sich Wirtschafts- und Regierungsvertreter hingegen in einem zweiten Ansatzpunkt: Es soll wieder einfacher und damit billiger gebaut werden – und gebaut werden dürfen. Im Bürokratie- und Regel-verliebten Deutschland wird auch das Bauen gebremst durch überlange Genehmigungsverfahren und strenge Standards – von halbleeren Tiefgaragen für Sozialwohnungen über hohe Energieeffizienz-Standards bis zu maximalem Schallschutz. Auch die Förderung von Projekten ist oft an die Erreichung hoher Standards gebunden. Doch der Staat sollte «nicht Zuckerguss fördern, sondern bezahlbares Schwarzbrot», brachte es Axel Gedaschko, Präsident des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, auf den Punkt.
Geywitz verwies auf eine Reihe von Massnahmen zu Vereinfachungen und Beschleunigungen, die eingeleitet oder geplant sind. Helfen könnte zudem ein vermehrter Rückgriff auf serielles und modulares Bauen. Dabei werden Wohngebäue nicht mehr vollständig auf der Baustelle nach massgeschneiderten Plänen errichtet, sondern machen Teile werden in einem Werk industriell vorgefertigt. Das könnte Zeit und Geld sparen.
Mietpreisbremse soll bleiben
Besonders umstritten ist ein dritter Bereich: Aus sozialpolitischen Gründen greift der Staat in vielfältiger Weise in den Wohnungsmarkt ein, nicht nur mit den erwähnten Fördermassnahmen, sondern auch mit Regulierung. So hat sich die Ampel-Koalition am Mittwoch darauf geeinigt, die 2015 als temporäres Instrument eingeführte Mietpreisbremse bis 2029 zu verlängern. Sie ermöglicht den Bundesländern eine Regulierung von Neuvertragsmieten: Im Kern darf dann bei der Wiedervermietung einer bestehenden Wohnung in Gebieten mit angespannterm Wohnungsmarkt die Miete nicht mehr als 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete. Ausgenommen sind unter anderem Neubauwohnungen, die nach dem 1. Oktober 2014 erstmals genutzt worden sind.
Die Verlängerung, ohne die die Bremse nächstes Jahr auslaufen würde, entspricht einer Vereinbarung im Koalitionsvertrag der «Ampel». Eine der drei Koalitionsparteien, die FDP, ist zwar darüber nicht begeistert, aber sie hat im Rahmen eines Kompromisspakets mit einem sachfremden Thema (Vorratsdatenspeicherung) zugestimmt und ist froh, dass die Mietpreisbremse zumindest nicht verschärft wird.
Denn solche Eingriffe in den Marktmechanismus haben eine aus liberaler Sicht problematische Nebenwirkung: Sie senken die Anreize für Neubauten. Gemildert wird dies im Falle der Mietpreisbremse nur dadurch, dass sie laut diversen Studien nur begrenzt wirkt. Denn in Ballungsräumen sind viele Mieter in Ignorierung der Bremse auch zur Zahlung höherer Mieten bereit, wenn sie überhaupt eine Wohnung finden.
Wiedersehen vor Gericht?
Das letzte Wort ist aber wohl noch nicht gesprochen: Der Hauseigentümerverbandes Haus & Grund, hat bereits angekündigt, die Verlängerung vor dem Bundesverfassungsgericht anzufechten. «Das Bundesverfassungsgericht hat schon die erste Mietpreisbremse nur akzeptiert, weil sie auf fünf Jahre befristet war», sagte Verbandspräsident Kai Warnecke der «Bild»-Zeitung. «Mit der zweiten Verlängerung läuft die Ampelregierung sehenden Auges in den Verfassungsbruch. »
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