Der Inlandgeheimdienst hat gegenüber dem Kölner Verwaltungsgericht eine Stillhaltezusage abgegeben. Das belastende Gutachten hält er weiterhin unter Verschluss. Geleakte Ausschnitte zeigen aber, in welche Richtung die Kritik der Behörde an der Partei geht.
Der deutsche Inlandgeheimdienst hat die Einstufung der AfD als «gesichert rechtsextremistisch» vorerst ausgesetzt. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat gegenüber dem Kölner Verwaltungsgericht an diesem Donnerstag eine Stillhaltezusage abgegeben. Daher müssen die Verfassungsschützer vorerst bis zu einem Gerichtsurteil über die Hochstufung der AfD als «gesichert rechtsextremistische» Bestrebung schweigen. Die Pressemitteilung vom 2. Mai bezüglich der Einstufung wurde von der Website des Verfassungsschutzes entfernt. Ein Zurückweichen in der Sache bedeutet dies freilich nicht. Vielmehr handelt es sich um einen üblichen Vorgang in einem Eilverfahren.
Die AfD ist seit der vorgezogenen Parlamentswahl vom Februar zweitgrösste politische Kraft im deutschen Parlament. Sie hatte gegen die Einstufung als «gesichert rechtsextremistische Bestrebung» Klage eingereicht. Das Bundesamt für Verfassungsschutz wollte sich «mit Blick auf das laufende Verfahren und aus Respekt vor dem Gericht» in dieser Angelegenheit nicht öffentlich äussern.
Vorläufig wieder ein Verdachtsfall
++EIL++ #Verfassungsschutz nimmt Hochstufung zurück: Das @BfV_Bund hat soeben gegenüber dem Verwaltungsgericht in #Köln mittels der angeforderten Stillhaltezusage erklärt, dass es die @AfD vorerst nicht mehr als gesichert extremistische Bestrebung einstuft: pic.twitter.com/UWRVKWYJWv
— Christian Conrad (@RA_Conrad) May 8, 2025
Die Stillhaltezusage bedeutet auch, dass der Verfassungsschutz die AfD bis zu einem Gerichtsfall nur noch als rechtsextremistischen Verdachtsfall beobachten darf. Die in der vergangenen Woche bekanntgegebene und nun ausgesetzte Einstufung als «gesichert rechtsextremistisch» hätte es dem Verfassungsschutz erlaubt, die Überwachung der AfD zu verstärken, zum Beispiel durch die Anwerbung von Informanten und das Abhören der Parteikommunikation.
Die AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla und Alice Weidel teilten auf X mit: «Das ist ein erster wichtiger Schritt hin zu unserer eigentlichen Entlastung und damit dem Vorwurf des Rechtsextremismus zu begegnen.»
Es ist nicht das erste Mal, dass der Verfassungsschutz eine solche Zusage macht. Er hatte dies etwa auch im Januar 2021 getan, nachdem die AfD gegen ihre damalige Einstufung als «Verdachtsfall» geklagt hatte. Die damalige Klage blieb für die Partei in zwei Instanzen erfolglos. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster ist jedoch noch nicht rechtskräftig.
Gutachten weiter nicht öffentlich
Derweil liegt das 1100 Seiten lange Gutachten, auf dessen Grundlage der Verfassungsschutz die AfD zur «gesichert extremistischen Bestrebung» erklärte, noch immer nicht öffentlich vor. Das Magazin «Der Spiegel» behauptet, es erhalten zu haben, was freilich Fragen aufwirft. Denn mit der Weitergabe des Dokuments hätten Mitarbeiter des Inlandgeheimdienstes einen Gesetzesverstoss begangen. Sollte dies zudem mit Wissen oder gar auf Anordnung der Behördenleitung erfolgt sein, würde es sich um eine massive Beeinflussung der Öffentlichkeit zulasten der AfD handeln. Für letztere Annahme gibt es bislang aber keine Hinweise.
Öffentlich kursiert seit einigen Tagen nur ein 17-seitiger Auszug aus dem Gutachten. Es handelt sich dabei um eine Sammlung von «besonders relevanten Aussagen des AfD-Bundesverbands bzw. AfD-
Bundesvorstands», wie es in der Überschrift heisst. Diese beziehen sich auf den Zeitraum von 2021 bis 2025. Während dieser Zeit beobachtete der Verfassungsschutz die AfD als sogenannten extremistischen Verdachtsfall. Die angeführten Zitate sollen offenbar belegen, dass sich der Verdacht inzwischen zur Gewissheit erhärtet hat. In dem Zusammenhang werden nur führende Vertreter und nationale Gremien angeführt. Nach einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster dürfen deren Aussagen der Gesamtpartei angerechnet werden.
Im ersten Teil des geleakten Berichts werden «ethnisch-abstammungsmässige Aussagen und Positionen» aufgeführt, die das völkische Denken der Partei belegen sollen. Darin wird etwa der heutige Bundestagsabgeordnete Maximilian Krah zitiert. Dieser kommentierte eine Aussage der Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt 2023 wie folgt: «12 Millionen will sie ins Land holen. Und ja: Dieser grüne Generalplan bedeutet Umvolkung! Zudem gibt sie zu, dass es nicht um Asyl, sondern Bevölkerungspolitik geht.» Die These vom sogenannten Bevölkerungsaustausch sieht der Verfassungsschutz generell als Beleg für eine rechtsextreme Gesinnung an.
Unterscheidet die AfD Deutsche erster und zweiter Klasse?
Der Parteichefin Alice Weidel wird zur Last gelegt, dass sie 2023 mit Blick auf von Migranten ausgeführte Messerangriffe sagte: «Das Phänomen gibt es bei uns nicht. Das gibt es in den Kulturkreisen in Afrika und im Nahen Osten, um es mal ganz klar zu sagen.» Offenbar galt das als pauschalierende und Gruppen herabwürdigende Aussage. Der Beisitzer im AfD-Bundesvorstand Hannes Gnauck wird mit Aussagen zitiert, die er 2024 während einer Wahlkampfveranstaltung machte. «Und wir müssen auch wieder entscheiden dürfen, wer überhaupt zu diesem Volk gehört und wer nicht. Es gehört mehr dazu, Deutscher zu sein, als einfach nur ’ne Staatsbürgerurkunde in der Hand zu haben», sagte er.
Der Verfassungsschutz dürfte dies als Beleg dafür werten, dass die AfD deutsche Staatsbürger in solche erster und zweiter Klasse einteilt. Dabei handelt es sich aus Sicht der Behörde um einen zentralen Vorwurf. Sie sieht dies als Verstoss gegen die Menschenwürde-Garantie des Grundgesetzes an. Die AfD hat den Vorwurf indes wiederholt zurückgewiesen und versichert, dass alle Mitglieder des Staatsvolks aus ihrer Sicht gleich behandelt werden sollten.
Im Kapitel über Fremdenfeindlichkeit werden im Gutachten auch Aussagen des AfD-Bundesverbands aufgeführt. So sprach die AfD im vergangenen Jahr auf X von einem «Höllensommer». «Der ‹Höllensommer›, den wir derzeit in Deutschland erleben, hat nichts mit dem Klima zu tun. Freibäder sind zu Angsträumen geworden, Messerattacken an der Tagesordnung, während die etablierten Parteien wegschauen.» Darunter veröffentlichte sie ein Bild, auf welchem der Arm eines nichtweissen Mannes mit einem blutverschmierten Messer dargestellt ist.
Die Behörde führt nicht bei jedem Zitat aus, warum sie es als Beleg für die Verfassungsfeindlichkeit der Partei ansieht. Teilweise tut sie es doch. Moniert wurden etwa im Sommer 2024 auf dem Youtube-Kanal des AfD-Bundesverbands gezeigte Videos. Diese seien in ihrer Bildsprache geeignet, Angst und Ablehnung gegen nichtweisse Menschen zu schüren. In einem Video ist mutmasslich eine Schülerin abgebildet, welche von in schwarzer Farbe dargestellten Personen im Hintergrund beobachtet und bedroht wird.
Als in verfassungsfeindlicher Weise islamfeindlich gilt eine Veröffentlichung des AfD-Bundesverbands auf Facebook im vergangenen Jahr, in der vor der Übernahme Deutschlands durch den Islam gewarnt wurde. «Kalifat Deutschland: Wenn wir jetzt nicht handeln, gibt es kein Zurück mehr!», hiess es darin.
Weidel wird Islamfeindlichkeit vorgeworfen
Auch der Parteichefin Weidel werden islamfeindliche Äusserungen vorgeworfen. Als Beleg gilt dem Inlandgeheimdienst, dass sie «Gruppenvergewaltigungen» als «ein Phänomen» bezeichnete, «was man nur aus muslimischen Kulturen gegenüber Ungläubigen kennt». Dass es sich dabei angesichts von Fällen ohne islamischen Kontext um eine sachlich falsche Aussage handelt, springt ins Auge. Wie dadurch Verfassungsprinzipien verletzt werden, führt der Verfassungsschutz aber nicht weiter aus.
Im letzten Kapitel führt die Behörde Belege auf, die als Verstoss gegen das Demokratieprinzip des deutschen Grundgesetzes gelten sollen. Darin wird etwa der Parteichef Tino Chrupalla zitiert, der die Bundesrepublik als nicht souveränes Land bezeichnet. «Was haben wir alles erlebt nach dem Anschlag auf Nord Stream», sagte er 2024. «Unsere Infrastruktur wird von sogenannten Freunden zerstört und wir, unsere Bundesregierung, steht da und zuckt mit den Achseln. Daran sieht man, dass dieses Land nicht souverän sein kann. Denn so reagiert man nicht, wenn man angegriffen wird, wenn unsere Infrastruktur zerstört wird.»
An anderer Stelle wird als Beleg für Chrupallas Demokratiefeindlichkeit angeführt, dass er Bundespolitiker verunglimpft habe. «Das ist Baerbock, das ist Merz, das ist Röttgen. Das sind die Vasallen Amerikas, die munter weitermachen, und das wird uns ins Verderben führen.» Als Beleg für die antidemokratische Haltung der AfD gilt auch eine Aussage des Vorstandsmitglieds Stephan Brandner: «Die Verfassungsfeinde sitzen in den Altparteien.» Brandner bezieht sich mit dem in der AfD gebräuchlichen Begriff auf die etablierten deutschen Parteien.
Da die AfD Klage eingereicht hat, wird ein Gericht zu entscheiden haben, ob die der Partei zur Last gelegten Äusserungen wirklich eine Hochstufung zur extremistischen Bestrebung rechtfertigen – oder ob es sich bei den bekannt gewordenen Belegen nicht um polemische, aber zulässige Äusserungen im politischen Meinungskampf handelt.