Johan Utterman, Head of Swiss Equities bei Lombard Odier Investment Managers, spricht über Einstiegsgelegenheiten bei Schweizer Aktien und verrät, wer die Gewinner dieses schwierigen Jahres sein könnten.
An der Börse eröffnen sich in Krisenzeiten ganz neue Investitionschancen. «Der Ausverkauf war bei einigen Aktien nachvollziehbar und bei anderen überhaupt nicht gerechtfertigt», sagt Johan Utterman im Gespräch mit The Market. Der Fondsmanager von Lombard Odier setzt jetzt auf Titel wie Lindt & Sprüngli, Sandoz und Temenos und hat Alcon, Skan sowie Lonza auf der Beobachtungsliste.
Zudem sei es an der Zeit, auf Schweizer Unternehmen zu achten, die ein grosses Exposure in Deutschland haben. Das Infrastrukturprogramm, zusammen mit den geplanten Rüstungsausgaben für ganz Europa, kann jetzt Kräfte freisetzen. Unternehmen mit einem hohen Geschäftsanteil in Deutschland könnten die Gewinner dieses schwierigen Jahres werden, so Utterman.
Herr Utterman, die Unsicherheit an den Märkten bleibt enorm hoch. Wie gehen Sie mit dieser Situation um?
Wir hatten zwei Jahre amerikanischen Exzeptionalismus, dann kamen die Trump Trades, und US-Aktien handelten mit einer Bewertungsprämie von 20%. Die meisten Marktteilnehmer dachten Ende 2024, es gehe so weiter, die Zeit unter US-Präsident Donald Trump werde dank Deregulierung und Steuersenkungen sehr positiv für die Märkte. Doch stattdessen fokussierte Trump sich hauptsächlich auf die Zölle. Wir fingen daraufhin im Februar an, die Risiken in unseren Portfolios zu reduzieren. Einige Finanztitel mit hohem Beta haben wir verkauft und uns in defensiven Sektoren positioniert.
Können Sie Beispiele nennen?
Wir haben den Bereich Basiskonsumgüter ausgebaut, ebenso den Gesundheitsbereich und Immobilien. Mit dieser Strategie haben wir im März weitergemacht.
Doch Trump blieb unberechenbar.
Ja. Im April kamen die reziproken Zölle, und sie waren schlimmer als befürchtet. Die Konsumenten- und die Geschäftsstimmung brachen ein.
Haben Sie eine Cash-Position aufgebaut?
Wenn man in einem derart unsicheren Umfeld zu viel Cash hält, kann man schnell auf dem falschen Fuss erwischt werden. Speziell, wenn die Märkte sich unerwartet über Nacht erholen. Das möchte kein Fondsmanager verpassen.
Erinnern Sie sich an eine ähnliche Situation?
Nein. Der Morgan Stanley Global Risk Demand Index, der die Risikobereitschaft der Anleger anzeigt, ist so tief wie seit fünfzig Jahren nicht. Das ist wirklich bemerkenswert. Mit Blick auf die Fund Flows war zudem erkennbar, dass sogar die Schweizer Versicherer verkauft wurden. Das war schon sehr speziell. Eigentlich gelten Versicherer als defensiv, und Zölle sollten keinen Einfluss auf das Geschäft haben.
Wie erklären Sie diesen Abverkauf?
Grosse US-Investoren sind schon länger dabei, Geld nach Europa zu verschieben. Zuerst kauften sie Bankaktien, und in den letzten Monaten kamen die Versicherer hinzu. Als sie jetzt Positionen abbauen mussten, waren die Versicherer einfacher zu handeln, da diese Titel sehr liquide sind. Deshalb wurden auch sie abgestossen. Ebenso verringerten Hedge Funds ihr Exposure in Wachstumsaktien, sie verkauften ihre Long-Positionen und deckten ihre Short-Positionen.
Was sind gerade jetzt die Vorteile eines reinen Schweiz-Fonds?
Schweizer Aktien gelten generell als sicherer Hafen. Mit Blick auf die Kapitalrenditen der Unternehmen schlagen Schweizer Titel die europäischen sehr deutlich, wenn man beide in derselben Währung vergleicht.
Zu den Titeln, von denen Sie sich getrennt haben, zählt der Vermögensverwalter Partners Group. Warum genau?
Partners Group ist ein tolles Unternehmen und gut positioniert. Noch vor wenigen Wochen konnte sie am Kapitalmarkttag die Investoren überzeugen, das war grossartig. Doch die Volatilität ist nicht gut für das Geschäft. Es sah im vergangenen Jahr noch danach aus, dass die Volumen für Fusionen und Übernahmen zunehmen werden. Die Marktteilnehmer erwarteten Deals in den Bereichen Infrastruktur und Immobilien. Normalerweise fliessen dann Performance Fees, und das Geld geht an die Investoren zurück, die dann wieder investieren. Doch dieser Kreislauf ist nun durchbrochen. Es gibt keine Exits. Das ist nicht gut für Partners Group und bremst die Aktien aus.
Stattdessen setzen Sie auf Temenos, eine der grössten zehn Positionen im Fonds. Woher die Zuversicht?
Das Unternehmen hatte eine schwere Zeit, wird nun seit einem Jahr von einen neuen CEO geführt. Die Restrukturierung läuft, und gleichzeitig investiert die Gesellschaft in Forschung und Entwicklung. In Florida wird gerade ein grosses Innovationszentrum gebaut. Die Aufmerksamkeit der Investoren kehrt zurück. Aus Bewertungssicht sind die Aktien attraktiv. Wir sehen ein Upside von mindestens 40%, wenn die Erwartungen erfüllt werden.
Die grösste Position im Fonds ist Lindt & Sprüngli. Was spricht für ein Engagement?
Wir sind indexgebunden und müssen daher Lindt & Sprüngli entsprechend gewichten. Das Unternehmen erwartet im gegenwärtig schwierigen Umfeld ein organisches Wachstum von 7 bis 9% und will die Betriebsgewinnmarge ausweiten. Das ist im jetzigen Umfeld eine tolle Leistung und macht die Titel als defensives Investment sehr attraktiv. Der Aktienkurs beweist es.
Mitbewerber Barry Callebaut geht es dagegen nicht gut. Woran liegt es?
Der Unterschied zwischen dem Massenmarkt und dem Premiumsegment für Schokolade wird gerade sehr deutlich. Lindt & Sprüngli gewinnt in allen Regionen weiter Marktanteile, Barry dagegen nicht. Auch sind die Kunden von Barry Callebaut nicht in der Lage, die hohen Kakaopreise zu kompensieren. Das hat Folgen für die Preisgestaltung. Lindt & Sprüngli hingegen kann die Preise immer noch erhöhen. Vor ein paar Jahren hätte ich nicht gedacht, dass beide Unternehmen sich so unterschiedlich entwickeln würden.
Sie haben in Ihrem Portfolio auch Gesellschaften der Gesundheitsbranche, darunter Straumann und Sandoz. Wie sind ihre Aussichten?
Vergangenes Jahr hat Sandoz jedes Ziel erreicht und die Umsatzprognosen zwei Mal angehoben. Alle Biosimilars aus der Pipeline wurden zugelassen. Das zeigte sich auch im guten Lauf der Aktien. Daher haben wir Gewinne mitgenommen, sind aber weiter vom Unternehmen überzeugt.
Wie sieht die Lage bei Straumann aus? Die Titel kommen nicht richtig aus dem Tal heraus, warum?
Bei Straumann spielt das Konsumentenvertrauen eine entscheidende Rolle. Zahnimplantate und kieferorthopädische Schienen müssen von den Patienten selbst bezahlt werden. Im Januar war alles noch gut, und es hiess, dass Zahnärzte wegen der guten Geschäftsentwicklung weiter in ihre Praxen investieren wollen. Doch das änderte sich sehr schnell. Da der US-Markt riesig ist und intensiv beobachtet wird, haben Investoren eine gute Einsicht in das Geschäft. Etwa über die Kreditkartendaten von Bank of America. Sie zeigten einen deutlichen Ausgabenrückgang im Februar an. Die Konsumenten hielten sich bei Out-of-Pocket- und Luxusprodukten plötzlich zurück. Das zeigte sich dann auch in den Zahlen von Straumann.
Von den Zöllen ist das Unternehmen weniger betroffen?
Straumann stellt ihre Premium-Implantate für den US-Markt vor Ort her. Doch die weniger teuren Implantate kommen aus Brasilien von der Tochter Neodent. Hier werden dann Zölle fällig. Das Gleiche gilt für China, eigentlich ein extremer Wachstumsmarkt für Straumann. Doch hier blicken nun alle auf das Konsumentenvertrauen, das bereits leicht zurückgeht.
Halten Sie noch andere Medtech-Titel im Blick?
Wir finden Skan, die auf Isolationstechnologie für Pharmaunternehmen spezialisiert ist, interessant. Sie ist Marktführer, ihre Isolatoren werden überall in der Medikamentenherstellung benötigt und machen sie sicherer beziehungsweise weniger anfällig für Produktionsausfälle. Das schafft einen deutlichen Mehrwert für die Biotech- und die Pharmaindustrie.
In Krisenzeiten an der Börse eröffnen sich oft ganz neue Investitionschancen. Wo sehen Sie solche im Moment?
Für Anleger ist es in der Krise wichtig, flexibel zu sein. Der Ausverkauf war bei einigen Titeln nachvollziehbar und bei anderen überhaupt nicht gerechtfertigt. Das liefert immer Einstiegsgelegenheiten.
Woran denken Sie da genau?
Nehmen wir Alcon. Das Unternehmen fertigt alle Produkte für den US-Markt vor Ort. Hinzu kommt der schwächere Dollar, und Alcon weist ihre Zahlen in Dollar aus. Das müsste eigentlich für Rückenwind sorgen, was aber für Investoren keine Rolle spielte. Unverständlich aus meiner Sicht. Ein ähnliches Beispiel ist Lonza. Nach der grossen Übernahme in den USA hat sie dort riesige Produktionskapazitäten, die nun genutzt werden könnten von Unternehmen, die ihre Produktion in die USA verlegen möchten. Lonza könnte das Momentum wunderbar nutzen und das Produktionstempo dort hochfahren.
Mit Blick auf alle Unsicherheiten, die uns gerade beschäftigen: Wer wird am Ende der Gewinner sein und gestärkt aus der Krise hervorgehen?
Es ist an der Zeit, auf Schweizer Unternehmen zu achten, die ein grosses Exposure nach Deutschland haben. Was in Deutschland gerade passiert, verändert vieles grundlegend. Das Umfeld dort war wegen der dichten Regulierung nicht wirtschaftsfreundlich. Das Infrastrukturprogramm, zusammen mit den geplanten Rüstungsausgaben für ganz Europa, kann jetzt Kräfte freisetzen. Unternehmen mit einem hohen Geschäftsanteil in Deutschland könnten die Gewinner dieses schwierigen Jahres werden.
Können Sie zwei Titel nennen?
Sollte die Bautätigkeit in Deutschland wieder anziehen, würden davon zwei Schweizer Small- und Mid-Cap-Unternehmen profitieren: Georg Fischer und SFS Group. Sowohl der Geschäftsbereich Piping Systems als auch der Geschäftsbereich Building Flow Solutions von Georg Fischer würden von einer höheren Aktivität profitieren. Der Geschäftsbereich Distribution & Logistics von SFS Group ist in Deutschland stark vertreten, besonders nach der Übernahme von Hoffmann im Jahr 2022.
Zur Person
Johan Utterman, Head of Swiss Equities bei Lombard Odier Investment Managers, verwaltet den LO IM Swiss Small & Mid Caps Fund. Utterman ist gebürtiger Schwede und stiess 2008 zu Lombard Odier. Zuvor war er Senior-Medtech-Analyst bei HBK Investments in New York und Analyst für Gesundheitswesen bei Hunter Global Investors in New York. Er hatte zudem verschiedene Positionen bei Fidelity Investments in London, Salomon Brothers sowie bei Morgan Stanley. Er absolvierte einen Bachelor of Science in Wirtschaftswissenschaften an der Wharton School der University of Pennsylvania.