40% des Überschusses in der Leistungsbilanz erzielt das Land mit den USA, fast doppelt soviel wie vor der Pandemie. Donald Trump klagt in einem Interview, die EU sei wie China, Europa wäre wohl sein neues Hauptziel im Handelskrieg. Für deutsche Aktien ist das brandgefährlich.
Mittwoch war an der Deutschen Börse der Tag der Chemie. Lanxess hob die Jahresprognose an (Kursplus: mehr als 15%) und beflügelte damit auch BASF (2%), Wacker Chemie (3%) und Brenntag (1%). Doch auf die Branche kommt ein erhebliches Risiko zu, ebenso wie auf die Autohersteller und andere exportstarke Sektoren: der immer wahrscheinlichere Wahlsieg von Donald Trump. Die Wettquoten beziffern seine Siegeschancen mit 70%.
In einem Interview mit «Bloomberg BusinessWeek» vom Dienstag hatte Trump keinen Zweifel daran gelassen, wen er in seiner zweiten Amtszeit zuvorderst in den Blick nehmen würde: Europa, und hier insbesondere Deutschland.
«Wir lieben Schottland und Deutschland… Aber sie behandeln uns brutal», sagte Trump und erklärte, was er damit meinte: «Sie nehmen nicht unsere Autos.» Die USA dagegen würden Millionen an europäischen Fahrzeugen importieren. Das gleiche gelte für Agrarprodukte.
Dann erzählte er noch, dass er Angela Merkel bei einem Treffen in München gefragt habe, wie viele Fords oder Chevrolets durch die dortige Innenstadt führen. Wohl nicht viele, antwortete die damalige Bundeskanzlerin. «Und wie viele Mercedes-Benz, BMWs und Volkswagen haben wir? Nein, sie behandeln uns sehr schlecht», fuhr Trump fort. Er habe in seiner ersten Amtszeit begonnen, diese Verhältnisse zu ändern. Bekanntlich tat er dies besonders in seiner harten Handelspolitik gegen China, mit Strafzöllen. Dann fügte Trump hinzu: «Die Europäische Union ist wie China.»
Trumps Litanei gipfelte in einer Zahl: «Wir haben ein Defizit mit ihnen von mehr als 200 Mrd. $.»
Warum Deutschland heute noch anfälliger für Trump ist
Politiker wie der Fraktionsvize der Unionsfraktion, Jens Spahn, melden sich vom Parteitag der Republikaner in Milwaukee mit dem Rat, das Land auf eine zweite Amtszeit Trumps als US-Präsident vorzubereiten. Die Aussichten dafür stehen jedoch schlecht. Schliesslich hat die Bundesrepublik seit dem Ende seiner ersten Regierungsära die wirtschaftliche Abhängigkeit von den USA nicht etwa reduziert, sondern sogar stark erhöht.
«Die Verwundbarkeit durch Protektionismus in den USA ist grösser als vor der Pandemie», warnt Robin Winkler, Chefvolkswirt Deutschland der Deutschen Bank in einer Analyse vom selben Mittwoch, an dem Anleger die exportlastige Chemiebranche hochleben liessen.
Winkler stützt dieses Urteil auf die Entwicklung der deutschen Leistungsbilanz. Sie zeigt, inwiefern ein Land Ausfuhren und geleistete Übertragungen durch Einfuhren und empfangene Übertragungen finanzieren kann. Deutschland erzielt einen Überschuss von mehr als 6% des Bruttoinlandsprodukts. Seit 2022 stammte zeitweise mehr als die Hälfte davon aus den Wirtschaftsbeziehungen zu den Vereinigten Staaten.
Deutschland erzielt 40% seines Überschusses mit den USA
Deutsche Leistungsbilanz, in % des Bruttoinlandprodukts. Dunkelblau: Anteil USA; hellblau: Anteil Rest der Welt.
Vor seiner ersten Amtszeit sagte Trump mit Bezug auf Europa, dass niemand realisiert habe, «wie schlimm sie uns ausgenutzt haben». Doch dann habe sogar sein Amtsnachfolger Joe Biden die von ihm verhängten Zölle weitgehend aufrechterhalten. Im Interview verteidigte er den Nutzen von Zöllen, auch als Verhandlungsinstrument. Der Ex-Präsident hat angekündigt, einen Zoll von 10% auf alle Importe in die USA zu verhängen.
Trumps Protektionismus würde deutsche Firmen hart treffen
Gemäss Schätzungen des Aktienstrategen Peter Oppenheimer und seiner Kollegen von Goldman Sachs würde Trumps Protektionismus Europas Unternehmen schwer belasten, und besonders stark die deutschen Firmen. Der 10%-Zoll würde das Bruttoinlandsprodukt im Euroraum um einen Prozentpunkt senken, so ihre Annahme. Das würde das gesamte erwartete Wachstum in Deutschland zunichtemachen (die Bundesbank prognostiziert für 2025 ein Plus von 1,1%).
Als weitere Konsequenz würden die Unternehmensgewinne um rund 6 bis 10% sinken. Deutschland wäre stärker betroffen als zum Beispiel Frankreich.
Die Goldman-Sachs-Strategen analysieren auch, welche Branchen besonders stark leiden würden. Die grössten Trump-Verlierer wären demnach Maschinenbau, Pharmaunternehmen, Chemie und Autohersteller.
Wie rasch die Stimmung kippen kann, zeigten in den vergangenen fünf Handelstagen die zuvor so gefragten Chipaktien: Die Kurse von Nvidia, ASML und TSMC verloren mehr als 10%. Der Auslöser war ein Bloomberg-Bericht, wonach die US-Regierung von Amtsinhaber Biden für strengere Exportbeschränkungen von Halbleitern nach China eintrete. Noch dazu säte Trump im bereits genannten Interview Zweifel daran, dass die USA die Insel Taiwan (wo TSMC seinen Stammsitz und den grössten Teil seiner Produktionsanlagen hat) im Notfall verteidigen würden.
Trumps Interview und seine Drohung mit Strafzöllen bieten einen starken Kontrast zum Chemiefeiertag an der deutschen Börse. Das Chemieunternehmen Lanxess etwa (dessen Kurs binnen eines Tages um mehr als 15% stieg) stellt für 2024 ein Wachstum des Ebitda-Gewinns von 10 bis 20% in Aussicht. Strafzölle könnten dieses Wachstum zur Hälfte oder sogar vollständig aufzehren, wenn die Goldman-Sachs-Ökonomen mit dem oberen Rand Ihrer Prognose zu den Auswirkungen der Zölle richtig liegen sollten.
Jens Spahn hat recht: Europa sollte sich auf eine zweite Amtszeit von Donald Trump einstellen. Für die Politik und auch für viele Unternehmen ist das eine grosse Herausforderung.
Anleger sind da zum Glück flexibler. Sie können Zurückhaltung üben bei den Branchen, die besonders arg unter Strafzöllen leiden würden.