Medienberichte über angeblich verheerende Mängel bei deutschen Systemen sorgen für Aufregung. Nüchtern betrachtet, überwiegen aber die Vorteile. Und die meisten Probleme wären lösbar.
Deutschland liefert Waffen an die Ukraine, und diese bewähren sich unterschiedlich gut auf dem Schlachtfeld. Dies ist die Grundaussage des Berichts eines Militärattachés. Doch weil die Medien in Berlin in einem ständigen Zustand der Erregung zu leben scheinen, werden die Artikel darüber zum dramatischen Warnsignal: Die Schlussfolgerungen läsen sich «in weiten Teilen verheerend», schreibt «Der Spiegel». Die «Süddeutsche Zeitung» will ein alarmierendes Zeugnis für die deutschen Waffenlieferanten erkennen.
Dem Vortrag des Militärdiplomaten vor Angehörigen der Bundeswehr im Januar sind diese Aussagen nicht zu entnehmen. Der Experte analysiert in dem an die Öffentlichkeit gelangten Bericht knapp und relativ oberflächlich die Vor- und Nachteile der einzelnen Systeme. «Uneingeschränkt kriegstauglich ist kaum ein deutsches Grossgerät», lautet sein vages Fazit. Die Gründe dafür sind aber so unterschiedlich, dass sie eine differenzierte Betrachtung verdienen.
Deutschland ist zweitgrösste Unterstützerin der Ukraine
Deutschland liefert verschiedene Waffensysteme in grosser Zahl an die Ukraine und ist der zweitwichtigste Partner nach den USA. Berlin kommt bis Mitte März 2025 auf 28 Milliarden Euro an geleisteter und geplanter Militärhilfe.
Für den Schutz des Himmels über der Ukraine sorgen 6 Iris-T-Luftverteidigungssysteme und 3 Patriot-Batterien aus Deutschland. Dazu kommen laut der Bundesregierung 60 Flakpanzer des Typs Gepard. Am Boden gehören die 25 Panzerhaubitzen 2000 zu den neusten Waffensystemen aus deutscher Produktion. Dazu kommen mehrere Dutzend Kampfpanzer des Typs Leopard 1 sowie 18 moderne Leopard-2-Panzer. Auch hat Berlin ungefähr eine halbe Million Schuss Artilleriemunition geliefert.
Ältere, technisch weniger komplexe Systeme haben den Vorteil, dass sie relativ leicht zu bedienen und wartungsarm sind. So stammen der Gepard oder auch der Schützenpanzer Marder aus den siebziger Jahren. Beide sind bei den Ukrainern beliebt, weil sie robust und doch effektiver sind als ihre eigenen Waffen, die meist noch aus sowjetischen Beständen stammen.
Die Geparde dienen primär zur Bekämpfung von russischen Angriffsdrohnen wie den Shaheds. Ihre beiden Kanonen lassen sich in alle Richtungen drehen und rasch abfeuern. Gleichzeitig ist die 35-Millimeter-Munition in grosser Zahl verfügbar. Der Flakpanzer ist technisch deutlich ausgeklügelter als die improvisierten Abwehrsysteme aus Maschinengewehren, die auf Pick-ups stehen.
Alte Leopard-Panzer, neue Ausstattung
Beim Marder liegt der Vorteil für die Verteidiger darin, dass die westlichen Schützenpanzer ihre Besatzungen dank dicker Panzerung besonders gut schützen. Doch nicht alle deutschen Systeme verfügen über diesen Vorteil: Zu den bedenklichsten Schlussfolgerungen des Berichts gehört, dass die Ukrainer die Leopard-1-Panzer wegen ihrer dünnen Stahlschicht oft nur als «Behelfsartillerie» einsetzten. Dies bedeutet, dass sie von hinter der Front feuern. Ihre Mobilität und ihre Geschwindigkeit kommen kaum zum Zug.
Dass solche alten Panzer aus den sechziger Jahren keine Wunderwaffe darstellen, ist allerdings seit der ersten Lieferung 2023 bekannt. Ein ukrainischer Militärexperte bezeichnet sie gar als obsolet. Die deutsche Armee hat die Leopard 1 A5 ausgemustert und dennoch bisher 58 Stück an die Ukraine überstellt. Nutzlos sind sie nicht: Die Ukrainer haben sie teilweise mit einer zusätzlichen Panzerung versehen und die Türme mit Käfigen gegen Drohnenangriffe ausgestattet. Solche abenteuerlich anmutenden Gefährte kommen an der Donbass-Front zum Einsatz.
Leopard-1A5V of the 425th Separate Assault Regiment pic.twitter.com/Eq2iZsZenD
— 𝔗𝔥𝔢 𝕯𝔢𝔞𝔡 𝕯𝔦𝔰𝔱𝔯𝔦𝔠𝔱△ 🇬🇪🇺🇦🇺🇲🇬🇷 (@TheDeadDistrict) January 13, 2025
Laut der Plattform «Oryx» wurden bisher 13 dieser Panzer zerstört. Ihre Nachfolger, die deutlich moderneren Leopard 2, verfügen über einen höheren Kampfwert. Ihr Problem liegt anderswo: Die Logistikkette für die Panzer ist lang, eine Reparatur oft komplex. Ersatzteile müssen in Deutschland bestellt werden, die Instandsetzung wird in Polen und Litauen durchgeführt. In der Ukraine selbst plant der Rüstungskonzern Rheinmetall den Bau ähnlicher Zentren. Bisher sind diese inländischen «Repair Hubs» aber nur für Marder-Schützenpanzer ausgerüstet.
Die um die Jahrtausendwende erstmals ausgelieferte Panzerhaubitze 2000 ist noch moderner. Unter ukrainischen Militärexperten gilt sie aber als anspruchsvoll. Bereits 2023 gab es Berichte darüber, dass der 50-Tonnen-Koloss häufig im Schlamm steckenbleibt. Die Elektronik der Zielsysteme versage, wenn sie mit Schmutz oder Feuchtigkeit in Berührung komme, die Rohre überhitzten leicht, klagten Angehörige der 43. Artillerie-Brigade. Sie machten sich auch darüber lustig, dass ein Staubsauger aus Deutschland mitgeliefert worden sei. Als Vorteile sahen sie das hohe Schiesstempo und die automatisierte Zielerkennung.
Kiew will mehr Flugabwehr und Taurus-Marschflugkörper
Somit ist weniger die Qualität der deutschen Waffen das Problem, sondern vielmehr deren Instandhaltung und Versorgung. Alle Systeme wurden in einem Land entwickelt, das seit 1945 in Frieden lebt, mit einer eng verzahnten industriellen Produktionskette. Nun stehen sie an einer umkämpften Front im Dauereinsatz, bedient von oft nur kurz geschulten Mannschaften. Dazu müssen die Ukrainer Waffensysteme aus unterschiedlichen Ländern kampftüchtig halten. Das bedeutet viel Improvisation und eine nicht immer korrekte Verwendung. Probleme sind so unvermeidlich, zumal die Lieferungen aus Europa regelmässig verspätet und in zu kleiner Zahl erfolgen.
Dennoch bleiben die Ukrainer stark interessiert an deutschen Systemen, umso mehr, seit die Zukunft der Militärhilfe aus den USA ungewiss geworden ist. Am dringendsten ist der Bedarf bei der Luftverteidigung, wie zuletzt die verheerenden russischen Angriffe auf die Städte Sumi und Kriwi Rih zeigten. Kiew schätzt vor allem das Iris-T-System. Es kommt primär gegen Marschflugkörper zum Einsatz und verzeichnet eine hohe Trefferquote. Dass die Abwehrraketen zu rar und teuer sind, wie der Bericht des Verteidigungsattachés vermerkt, bleibt ein Problem. Es wäre mit genügend politischem Willen aber leicht lösbar.
Die Ukraine hofft nun, dass der wahrscheinliche neue Kanzler Merz die relative Zurückhaltung seines Vorgängers Scholz ablegt. Schritte in diese Richtung sind erfolgt: Anfang März unterzeichneten der Iris-T-Hersteller Diehl Defence und das Verteidigungsministerium in Kiew ein Abkommen, das eine Verdreifachung der Lieferungen vorsieht. Und letzte Woche kündigte die Bundesregierung die rasche Bereitstellung von vier zusätzlichen Abwehrsystemen dieses Typs an. Gesamthaft wären dann zehn davon in der Ukraine im Einsatz.
Bewegung gibt es auch bei der seit Jahren umstrittenen Lieferung von deutschen Taurus-Marschflugkörpern: Diese verfügen über eine Reichweite von über 500 Kilometern und könnten somit gegen Ziele weit im russischen Hinterland zum Einsatz kommen. Als Oppositionsführer hatte Merz stets gefordert, der Ukraine Taurus zur Verfügung zu stellen. Am Sonntagabend bekräftigte der Kanzler, dass er es befürworte, wenn Berlin diese Waffen in Absprache mit Verbündeten an Kiew liefere.