Das 500 Mrd. € schwere Paket hat Kurssprünge bei vermeintlichen Gewinnern ausgelöst. Doch die Hoffnungen wirken teils überzogen, Grossaktionäre verkaufen bei einigen Bautiteln bereits massiv. Manche Industrieaktien dagegen haben tatsächlich noch Potenzial.
Die Wende in der deutschen Fiskalpolitik hat die Aktienanleger elektrisiert und die Finanzmärkte stark bewegt. Seit Ankündigung des Infrastrukturfonds von 500 Mrd. € und der Teilaufhebung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben haben Rüstungsaktien wie Rheinmetall ihren Kurs mehr als verdoppelt.
Das Hochtreiben mancher Modeaktien erinnert an die Ereignisse um den Videospielehändler GameStop während der Covid-Pandemie. Um den österreichischen Motorenhersteller Steyr gab es eine Kaufpanik von Privatanlegern, die sich teils auf Internetforen absprachen – mit anschliessendem Kurseinbruch. Auch ThyssenKrupp hat den Aktienkurs binnen Wochen mehr als verdoppelt, obwohl das unter hohen Energiekosten und Überkapazitäten leidende Stahlgeschäft schwierig bleibt und die U-Boot-Tochter und Hoffnungsträgerin Marine Systems 2024 nur 2 der 35 Mrd. € Umsatz einbrachte.
Viel Hype und wenige klare Gewinner
Euphorie ist auch bei Bautiteln zu spüren, mit denen Investoren an den Abermilliarden des Infrastrukturfonds mitverdienen wollen. Das zeigt der Kursanstieg um fast 50% beim deutschen Zementhersteller Heidelberg Materials – dem drittstärksten Dax-Wert seit der Fiskalwende, nach Rheinmetall und Commerzbank. In der Schweiz ist seither der Sanitärtechnikhersteller Geberit Nummer eins im SMI, dahinter folgt der Zementkonzern Holcim.
Es gibt jedoch Warnsignale, die bei den grossen Zementmischern zur Vorsicht mahnen. Auch bei Industrietiteln setzen Anleger vorschnell auf vermeintliche Gewinner des Infrastrukturfonds, obwohl die betroffenen Unternehmen kaum Umsatz in Deutschland erzielen. Wer sinnvoll auf den deutschen Wiederaufbau setzen möchte, sollte zunächst sorgfältig die Deutschlandmarktanteile betrachten und die Zielbranchen, die ein Unternehmen bedient. Diese Analyse fördert auch einige weniger bekannte und immer noch günstige Profiteure zutage.
Die Bewertung gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis liegt beim Zementhersteller Heidelberg Materials inzwischen um mehr als ein Drittel über dem Zehnjahresschnitt von rund 10. Der Schweizer Konkurrent Holcim hat im langfristigen Durchschnitt eine deutlich höhere Bewertung von mehr als 14.
Misstrauisch machen ausser der erhöhten Bewertung vor allem die umfangreichen Aktienverkäufe von Unternehmensinsidern bei Heidelberg Materials. Der Milliardär Ludwig Merckle und seine Familie haben über ihre Holding Spohn Cement seit November vier Mal Verkäufe gemeldet, jedes Mal zweistellige Millionenvolumen. Am 1. März hatte der Clan gemäss der Datenbank der Finanzaufsicht BaFin noch 28,88% der Stimmrechte gehalten.
Die Merckles sind kein Einzelfall. Beim österreichischen Baukonzern Strabag hat die Gründerfamilie Haselsteiner am 18. März für 151 Mio. € einen Anteil von 1,7% verkauft. Ihre Beteiligung sinkt dadurch auf 29%. Der Strabag-Aktienkurs hat sich seit Jahresbeginn fast verdoppelt.
Die besten Kenner der Baubranche reduzieren gerade jetzt ihr Engagement. Insider wie die Merckles und die Haselsteiners kennen ein Problem allzu gut: Bau- und Infrastrukturprojekte haben eine mehrjährige Genehmigungszeit. «Bei der derzeitigen Geschwindigkeit wird es acht Jahre dauern, bis beim ersten Strassenbauprojekt aus dem Infrastrukturfonds die Arbeit beginnt», sagt ein Konzernchef aus der Baubranche.
Goldman-Sachs-Ökonom Niklas Garnadt erwartet wegen der Vorlaufzeit von Projekten, dass der Infrastrukturfonds seine volle Wirkung ab 2028 entfalten wird. Ab dann kalkuliert er zusätzliche Staatsausgaben von 0,8% des Bruttoinlandprodukts pro Jahr. Auch der Baustart vieler Projekte schon nach nur drei Jahren wirkt ehrgeizig. Für den Erfolg des Infrastrukturfonds wird mitentscheidend sein, dass die neue Regierung Bürokratie abbaut und die Genehmigungsverfahren stark beschleunigt, so wie in den frühen Neunzigerjahren, nach der deutschen Wiedervereinigung.
Für Zuversicht sorgen immerhin die beiden Fachpolitikerinnen, die das Thema in den Koalitionsverhandlungen betreuen: die bisherige Bauministerin Klara Geywitz (SPD) und die nordrhein-westfälische Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU). «Beide sind sehr kompetent», lobt der Baumanager. Beide gelten auch als Kandidatinnen für ein Infrastrukturministerium, das aus den bisherigen Ministerien für Bau und für Verkehr entstehen könnte.
Die Vereinfachung der Genehmigungsverfahren stehe weit oben auf der politischen Agenda, sagt Deutsche-Bank-Ökonom Jochen Möberts. «Ich denke, es gibt Anlass zu vorsichtigem Optimismus», urteilt er – auch wegen der personellen Stärkung. Der neue finanzielle Spielraum der Bundesländer dürfte auch genutzt werden, um die Baubehörden mit frischen Mitarbeitern aufzustocken, sagt Möberts.
Allerdings ist für das Prüfen von Bauanträgen teilweise ein Architekturstudium nötig, und Architekten dürften nun in der privaten Wirtschaft gefragter werden – nur ein Beispiel, das die Schwierigkeiten bei der Reform der teils dysfunktionalen Verwaltung zeigt.
Wer trotz aller Schwierigkeiten schon jetzt in potenzielle Gewinner des Infrastrukturfonds investieren möchte, steht vor einem Problem: Viele Bauunternehmen legen nicht offen, welchen Teil ihres Geschäfts sie in Deutschland erzielen. Die Zementkonzerne Holcim und Heidelberg Materials haben in vielen Ländern der Erde eigene Werke. Höher dürfte der Deutschlandanteil bei kleinen und mittelgrossen Bautiteln sein.
Was die Kennzahlen über die Bauwerte aussagen
- Rendite auf das eingesetzte Kapital: Unter den Topwerten mit zweistelliger Rendite (ROIC) fällt der Dienstleister Bilfinger positiv auf durch die vergleichsweise niedrige Bewertung, gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis. Beim Baudienstleister Hochtief, dessen Kennzahlen ansonsten recht ähnlich ausfallen, hat die Fantasie um das Geschäft mit Rechenzentren das KGV klar über den eigenen Zehnjahresschnitt von 15 gehoben. Ausserdem hat Bilfinger eine Netto-Cashposition (erkennbar am negativen Wert bei den Nettoschulden zum Ebitda). Recht renditestark und Cash-positiv ist auch der Baumaterialhersteller Sto.
- Verschuldung: Hohe Schulden sind angesichts der gestiegenen und vielleicht weiter steigenden Zinsen ein Problem. Sowohl der Baustoffhersteller Sika als auch der kleine Dämmstoffhersteller Steico sind mit mehr als dem Zweifachen des Ebitda verschuldet. Gerade das kleine deutsche Unternehmen könnte die steigende Zinslast zu spüren bekommen.
- Bewertung: Der kleine Baumaterialhersteller Uzin Utz ist der günstigste Titel in diesem Branchenvergleich. Ausserdem ist er nur gering verschuldet. Er kann zudem eine zweistellige Ebitda-Marge vorweisen.
Auffällig ist der jüngste Bewertungsanstieg auch beim kleineren deutschen Baumaterialhersteller Sto. Allerdings war das Unternehmen angesichts seiner Qualitäten lange Zeit unterbewertet, urteilen die seit langem dort investierten Fondsmanager von Ennismore Capital aus London. Sie prognostizierten im Januar ein Kurspotenzial von 60% bis Ende 2025.
Die Kalkulation dahinter: Sto ist mit ihren Dämmstoffen in vielen europäischen Ländern Marktführer. Energiewende und Renovierungsbedarf sind mittelfristig starke Geschäftstreiber. 2024 verteuerte der Zinsanstieg jedoch kreditfinanzierte Renovierungen, Sto gab eine Gewinnwarnung heraus und kassierte auch das Mittelfristziel. Durch den erneuten Zinsanstieg seit März dürfte auch die Hoffnung der seit Jahren dort engagierten Investoren von Ennismore Capital auf baldige Besserung dahin sein.
Das Beispiel Sto zeigt, wie schwierig es ist, mit Bauunternehmen auf die positiven Effekte des Infrastrukturfonds zu setzen. Grundsätzlich ist Sto gut geeignet, denn ihr grösster Einzelmarkt ist Deutschland, und die Produkte werden bei vielen Bauprojekten gebraucht. Doch die neuen Projekte könnten wegen der langwierigen Genehmigungen erst mit mehrjähriger Verspätung zu mehr Nachfrage nach Baumaterial führen. Bis dahin belastet der starke Zinsanstieg die Bau- und Renovierungstätigkeit bei Wohnungen.
Anleger sollten daher lieber ausserhalb der Baubranche nach Gewinnern des erhofften deutschen Infrastrukturbooms suchen. Denn sogar an einem der grössten Märkte überhaupt, dem für Staatsanleihen, gab es eine ungewöhnlich heftige Veränderung seit der Ankündigung des deutschen Finanzpakets: Die Rendite der Bundesanleihen mit zehn Jahren Laufzeit ist zeitweise auf 2,945% hochgeschossen, von rund 2,5% Anfang März. Der Renditeanstieg betrug mehr als 15%, hoch verschuldete Wohnungsverwalter wie der Dax-Titel Vonovia gaben ebenso stark nach.
Weil Marktbeobachter wie die Ökonomen der Bank BNP oder des Vermögensverwalters Bantleon wegen der Aufweichung der Schuldenbremse für die kommenden Jahre einen Anstieg der Bundesanleihenrendite auf 3 bis 4% erwarten, droht Vonovia und den anderen Wohnungsverwaltern ein weiterer Kursrutsch. The Market hatte Vonovia empfohlen, als die Aktien Ende August bei 31 € standen, gut 15% höher als heute. Anleger sollten sie aufgrund der deutschen Fiskalwende und des drohenden weiteren Zinsanstiegs verkaufen und auf einen günstigeren Zeitpunkt zum Wiedereinstieg warten. Profiteure der höheren Zinsen sind dagegen Kreditinstitute wie Deutsche Bank und Commerzbank.
Bei Industrieaktien beobachten die Analysten von Barclays eine wilde Jagd, seit Kanzlerkandidat Friedrich Merz die Milliardenpakete angekündigt hat. Bei den 52 Industrieunternehmen in ihrem Blickfeld haben Anleger seitdem insgesamt mehr als 1000 Mrd. € an zusätzlichem Umsatz für die kommenden Jahre eingepreist. Das ergibt sich rechnerisch aus dem Kursanstieg aufgrund des Investorenansturms.
Das Problem dabei: Die hochgejubelten Unternehmen erzielen im Durchschnitt nur 7% ihres Umsatzes in Deutschland. «Die Anleger schiessen aus der Hüfte», warnen die Barclays-Analysten.
Um die Chance auf Volltreffer zu erhöhen, hat das Research-Team die Industrieunternehmen nach dem Umsatzanteil Deutschlands sortiert. Dieses Ranking, ergänzt um eine weitere Liste von JPMorgan, gibt einen wichtigen Hinweis darauf, wer tatsächlich stärker am Infrastrukturfonds verdienen könnte.
Doch ein hoher Deutschlandanteil wie bei Kion (18%) reicht nicht aus, wenn die Produkte des Unternehmens nicht die Chance haben, von den 500 Mrd. € des Friedrich Merz profitieren zu können. Im Fall von Kion ist es unwahrscheinlich, dass Geld aus dem Fonds in Gabelstapler oder Lagerautomatisierung fliessen wird.
Besonders aussichtsreich sind dagegen diejenigen Industriewerte, die das Gros ihres Umsatzes mit den Zielbranchen Bau, Nutzfahrzeuge, Bahn, Stromerzeugung und Stromnetze, Rechenzentren, Telekommunikation und Verteidigung erzielen. Die JPMorgan-Analysten haben sie herausgefiltert.
Belieferer der Zielbranchen des Infrastrukturfonds
Für die eingehendere Analyse hat The Market aus den obigen Übersichten drei Industrieunternehmen ausgewählt, die 25% oder mehr des Umsatzes in Deutschland erzielen und dazu überwiegend an Branchen liefern, deren Geschäfte vom Infrastrukturfonds angeschoben werden dürften. Einer der drei Favoriten ist ein Small Cap und fehlt daher auf der obigen Research-Liste, erfüllt aber die Kriterien.
Knorr-Bremse erfüllt die Kriterien für einen Infrastrukturgewinner beispielhaft: Sie hat mit 25% Deutschlandanteil einen der höchsten Werte unter den grossen Industrieunternehmen. Der Hersteller von Bremssystemen für Nutzfahrzeuge und Züge liefert in Zielmärkte, die beste Chancen haben, vom 500-Mrd.-€-Fonds zu profitieren.
Der Aktienkurs hat bislang nur geringfügig reagiert. Ohnehin ist Knorr-Bremse ein günstig bewertetes Qualitätsunternehmen, wie die regelmässige Suche von The Market nach solchen Titeln seit Juni 2024 mehrfach ergeben hat.
Noch nicht ausgereizt: Knorr-Bremse, NKT und Init
Die dänische NKT ist der weltweit zweitgrösste Hersteller von Hochspannungskabeln, nach der italienischen Prysmian. Der Ausbau der Energienetze fällt eindeutig in das Aufgabengebiet des Infrastrukturfonds. Noch dazu erzielt NKT 28% des Umsatzes in Deutschland.
Das Unternehmen investiert kräftig in den Ausbau der Kapazität, ein neues Werk in Schweden für 1 Mrd. € soll 2026 die Produktion aufnehmen. NKT kann es sich leisten, auch wenn das Investitionsprogramm dafür sorgen dürfte, dass die grosse Nettocashposition in den kommenden Jahren schrumpft. Seit der Ankündigung der deutschen Finanzwende ist der Kurs um rund 10% gestiegen.
Äusserst gut positioniert für den Berliner Geldregen ist Init Innovation in Traffic: Die Karlsruher stellen Systeme für die Steuerung und die Digitalisierung des öffentlichen Nahverkehrs her. Ein Drittel des Umsatzes erzielten sie 2024 in Deutschland.
The Market hatte Init Ende Juni 2024 vorgestellt und empfohlen, damals wie heute lag der Aktienkurs bei 40 €. Nicht nur wegen des Infrastrukturfonds ist das Unternehmen seither noch attraktiver für Anleger geworden: Es hat fleissig Aufträge eingesammelt. Am Donnerstag teilte es bei der Vorstellung des Jahresergebnisses mit, dass es den Auftragsbestand 2024 auf 384 Mio. € mehr als verdoppelt hat. Der Wert entspricht dem Umsatz von 2024. Init hat also schon jetzt reichlich zu tun, lange bevor der erste Euro aus dem Infrastrukturfonds geflossen ist.