Alle Pensionierten erhalten ab 2026 höhere Renten. Wie sie finanziert werden, ist umstritten: höhere Steuern, höhere Lohnabzüge – oder doch ein höheres Rentenalter? Die Fronten sind verhärtet.
Paukenschlag, Sensation, Zeitenwende: An grossen Worten fehlte es nicht am Sonntag. Zum ersten Mal findet eine linke Initiative für den Ausbau des Sozialstaats in einer Volksabstimmung eine Mehrheit. Nach einer intensiven bis gehässigen Debatte setzen sich die Gewerkschaften durch. Dass ausgerechnet das Schweizervolk, das in Geldfragen bisher als vernünftig bis vorsichtig gilt, Leistungen bestellt, die nicht finanziert sind, ist ein Novum. Mit 58 Prozent ist die Zustimmung zur Einführung einer 13. Monatsrente in der AHV erst noch sehr deutlich ausgefallen. Doch damit ist das Thema nicht erledigt.
Fast sicher wird das Volk in dieser Sache bald noch einmal an die Urne gerufen. Die Initiative äussert sich zwar zu den Renten, nicht aber zur Finanzierung. Klar ist, dass alle Pensionierten im In- und Ausland ab 2026 Anspruch auf höhere Leistungen haben. Voraussichtlich erhalten sie aus technischen Gründen allerdings keine 13. Rente Ende Jahr, sondern einen fixen Zuschlag von 8,3 Prozent auf den regulären zwölf Monatsrenten. Der Initiativtext lässt dies zu, die 13. Rente kam nur im Titel vor.
Aber woher soll das Geld kommen? Darüber müssen Bundesrat und Parlament entscheiden – und zwar rasch. Der Ausbau verschärft die Finanzierungsprobleme der AHV von Anfang an: Laut den amtlichen Projektionen schreibt das Sozialwerk 2026 eine «schwarze Null», bereits 2030 fehlen aber drei Milliarden Franken, 2033 sieben Milliarden. Die Regel, dass der AHV-Fonds 100 Prozent der jährlichen Rentensumme umfassen muss, wird ab 2027 verletzt.
Doch egal, wie die Politik vorgeht: Mit einer erneuten Abstimmung ist zu rechnen. Die denkbaren Varianten führen obligatorisch zu einem Volksentscheid oder dürften ein Referendum provozieren. Im Zentrum stehen drei Optionen: höhere Steuern, höhere Lohnbeiträge – oder eben doch ein höheres Rentenalter.
Sollen die Jungen alles allein bezahlen?
Allerdings hat die Idee, das ordentliche Rentenalter zu erhöhen, mit der massiven Ablehnung der Renteninitiative der Jungfreisinnigen einen Dämpfer erlitten. Die Linke frohlockt bereits, dieser Ansatz sei nun vom Tisch. Was die Gewerkschaften stattdessen vorschlagen, lassen sie in ihren Stellungnahmen offen. Im Abstimmungskampf haben sie sich für höhere Lohnbeiträge ausgesprochen.
Will heissen: Die jüngeren Generationen, die noch im Erwerbsleben stehen, sollen den Sozialausbau alleine finanzieren. Ihre verfügbaren Einkommen würden sinken. Die monatlichen Lohnabzüge müssten bis 2033 voraussichtlich von 8,7 auf gut 10 Prozent erhöht werden. Die Pensionierten bekämen höhere Renten, müssten sich aber nicht an den Kosten beteiligen.
Früher argumentierten die Gewerkschaften, man könne das benötigte Geld bei der Nationalbank (SNB) holen. Sie hatten dazu sogar eine Initiative lanciert, die sie aber bald unauffällig schubladisierten. Nach den grossen Verlusten der SNB wird diese Option heute kaum mehr diskutiert.
Baume-Schneider unter Druck
Zwei andere Ideen sind am Sonntag wieder aufgetaucht: eine nationale Erbschaftssteuer auf grossen Vermögen oder eine Steuer auf Finanzmarkttransaktionen. Beide Ansätze waren bislang nicht mehrheitsfähig, doch das muss nichts heissen: Bisher war auch ein AHV-Ausbau nicht mehrheitsfähig. Fraglich ist allerdings, ob es überhaupt schnell genug möglich wäre, eine neue Steuer zu kreieren und einzuführen – oder ob die Politik bestehende Geldquellen wie die Mehrwertsteuer, die Bundessteuer oder die Lohnabzüge stärker anzapfen will.
Den nächsten Zug muss Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider machen. Die Sozialdemokratin war in derselben unangenehmen Situation wie letztes Jahr der SVP-Bundesrat Albert Rösti: Im ersten Abstimmungskampf als Innenministerin musste sie gegen die eigene Partei antreten. Im Gegensatz zu Rösti hat sie verloren. Nun steht sie unter Druck. Die anderen Bundesräte – allen voran die Finanzministerin Karin Keller-Sutter – werden Baume-Schneider wenig Zeit lassen, um einen Plan zu präsentieren.
Denn nicht nur die AHV hat ein Problem, sondern auch der Bund selbst. Er muss rund ein Fünftel der AHV-Ausgaben bezahlen, dieser Betrag wächst bis 2033 von 10 auf 14 Milliarden Franken pro Jahr. Bereits ohne die 13. Rente wusste der Bundesrat nicht, wie er die Budgets in den nächsten Jahren im Lot halten kann.
Vorgehen in zwei Etappen?
Im Gegensatz zur AHV gibt es jedoch beim Bund eine Schuldenbremse. Sie verbietet Budgets mit strukturellen Defiziten. Das erhöht den Handlungsdruck massiv. Nun kursiert in Bern die Idee, in zwei Etappen vorzugehen: Der erste schnelle Schritt brächte eine reine Finanzierungsvorlage, am ehesten wohl eine Erhöhung der Mehrwertsteuer. Sie müsste die Probleme des Bundes lösen und einen ersten Beitrag zur Stabilisierung der AHV liefern.
Für den zweiten Schritt hätte die Politik mehr Zeit: Er bestünde aus der umfassenden AHV-Revision, die ohnehin schon geplant ist. Diese Vorlage soll allenfalls weitere Mehreinnahmen umfassen, daneben aber auch strukturelle Massnahmen: zum Beispiel bei den Leistungen für Witwen oder für Rentner mit Kindern – und wer weiss, vielleicht kann mit zeitlichem Abstand auch wieder über das Rentenalter diskutiert werden.
Falls Baume-Schneider einen Plan hat, wollte sie am Sonntag vor den Medien nichts dazu sagen. In den nächsten Wochen werde sie dem Bundesrat Vorschläge präsentieren. Festgelegt haben sich hingegen einige Abstimmungsverlierer: SVP, FDP und Gewerbeverband lehnen höhere Steuern und Abgaben ab. Der Arbeitgeberverband hingegen schreibt, eine Zusatzfinanzierung sei notwendig, wobei Lohnabgaben und Mehrwertsteuer im Zentrum stünden.
Den Ausschlag dürfte die Mitte-Partei geben. Sie schliesst «zum jetzigen Zeitpunkt» ein höheres Rentenalter aus, will aber gleichzeitig die Belastung für den Mittelstand klein halten – und obendrein die Renten für Ehepaare um ein paar Milliarden erhöhen. Wie dieses Kunstwerk gelingen soll, lässt die Partei offen.