Ein Parlamentsvorstoss aus der Mitte fordert einen Spezialfonds zur Entlastung der kommenden Generationen bei der AHV. Der Ständerat soll nächste Woche entscheiden.
Da soll noch einer sagen, Politiker seien nicht kreativ. Einen Beleg für die Bundesberner Kreativität liefert die Urner Ständerätin Heidi Z’graggen. In einem Vorstoss mit dem Titel «Generationenvertrag stärken» will sie bis jetzt Undenkbares verwirklichen: dass die Jungen von der AHV profitieren. Der sogenannte Generationenvertrag wird heute im Volk wie in Bundesbern auf simple Art interpretiert: Die Älteren erhalten subventionierte Renten, und die Kosten dieser Subventionen zahlen später der Jüngeren. Z’graggen will dies allem Anschein nach zumindest ein wenig korrigieren und fordert in ihrem Vorstoss die Schaffung eines «AHV Zusatzfonds Generation 2024». Der Staat soll diesen Fonds künftig mit einmalig 514 Franken für jedes neugeborene Kind füttern. 514 Franken entsprechen heuer dem jährlichen Mindestbeitrag von Versicherten für AHV/IV/EO.
Der Betrag klingt nach wenig, doch das läppert sich mit der Menge und der Zeit zusammen. Im vergangenen Jahr gab es in der Schweiz rund 80 000 Lebendgeburten. Z’graggen rechnet im Mittel mit 90 000 Geburten pro Jahr, was einen staatlichen Beitrag für den Sonderfonds von jährlich etwa 46 Millionen Franken ergäbe. Laut Rechnung der Ständerätin würde der Fonds in 65 Jahren (wenn der erste Jahrgang der beglückten Neugeborenen das derzeitige Rentenalter erreicht) unter Annahme einer durchschnittlichen Anlagerendite von 5 Prozent pro Jahr auf etwa 21 Milliarden Franken wachsen. Diese Gelder sollen in ferner Zukunft in die AHV fliessen, um die Renten der heute Jungen zu sichern. Der Vorstoss verlangt vom Bundesrat einen Bericht mit «kreativen» Modellen zur Finanzierung des geforderten Sonderfonds.
Das eiserne Dreieck
Bei aller Kreativität würde der Bundesrat im Kern nur drei mögliche Finanzierungsvarianten finden: staatliche Einsparungen an anderen Orten; höhere Steuern/Abgaben ab sofort; höhere Steuern oder Sparprogramme später (lies: höhere Verschuldung). Eine höhere Verschuldung wäre trotz Schuldenbremse des Bundes möglich: Mit der geballten Kreativität in Bundesbern liesse sich auch hier wie bei fast jedem Budgetposten des Bundes eine Geschichte konstruieren, wonach diese Ausgaben «ausserordentlich» seien und deshalb die normalen Haushaltsregeln nicht gälten.
Dieser Trick ist schon etwas abgewetzt, aber Schwamm drüber. Man würde damit allerdings die geforderte Entlastung für die künftig Neugeborenen gleich wieder durch neue Hypotheken kompensieren. Doch das müsste man ja den Betroffenen nicht direkt auf die Nase binden. Es wäre jedenfalls aus Sicht der heutigen Politiker die attraktivste Variante, denn die anderen Optionen (höhere Steuern und Sparübung) sind unpopulär und kraft der vielen anderen Zusatzansprüche an die Bundeskasse gemessen am politischen Zeitgeist wohl ohnehin rasch ausgereizt.
Im Kern verlangt der Vorstoss eine zusätzliche Subventionierung der AHV mit Steuergeldern. Der Staat könnte diese Zusatzgelder auch direkt in die AHV einschiessen statt über den Umweg eines Sonderfonds. Ohne Sonderfonds würde allerdings die Jugend-Etikette fehlen. Und bei einem jährlichen Zusatzeinschuss direkt in die AHV würden möglicherweise andere Sanierungsmassnahmen für das Sozialwerk etwas später kommen oder entsprechend bescheidener ausfallen. Ob der Saldo für die Jungen dann noch positiv wäre, ist zumindest zweifelhaft.
Kleiner Fisch
Und überhaupt: Die genannten 21 Milliarden Franken in 65 Jahren sind nur auf den ersten Blick eindrücklich. Bei Annahme einer jährlichen Inflation von 1,5 Prozent entsprechen die 21 Milliarden einer heutigen Kaufkraft von etwa 8 Milliarden Franken. Und dass die Gelder an anderen Orten vielleicht einen grösseren Nutzen hätten, ist dabei noch nicht berücksichtigt. Im Kontext der AHV sind teuerungsbereinigte 8 Milliarden nach einer Periode von 65 Jahren ohnehin ein relativ kleiner Fisch: Die vom Volk im März beschlossene Rentenerhöhung kostet schon in den ersten zwanzig Jahren zusammen etwa 100 Milliarden Franken zu heutigen Preisen.
Der Vorstoss kommt voraussichtlich nächste Woche in den Ständerat. Der Bundesrat zeigte wenig Begeisterung. Er brachte vor allem drei Einwände vor: Das System würde komplizierter und «kaum solidarischer»; der Zusatzfonds widerspreche dem AHV-Umlageverfahren und führe ein Element des Kapitaldeckungsverfahrens der Pensionskassen in die AHV ein; und der Bund habe kein Geld für den geforderten Fonds.
Der Bundesrat versprach immerhin, bei der nächsten AHV-Reform «ausgewogene» Lösungen anzustreben. Meint man es ausnahmsweise einmal ernst mit der «Ausgewogenheit» in Sachen Generationengerechtigkeit, gäbe es wirksamere Mittel als einen AHV-Zusatzfonds mit Jugend-Etikett. Erstens: rasche Erhöhung des ordentlichen Rentenalters. Zweitens: Festhalten an der Schuldenbremse für die Bundesfinanzen ohne dreiste Umgehungsmanöver. Drittens: Mehreinnahmen für die AHV via Mehrwertsteuer statt Lohnbeiträge. Und viertens: höhere AHV-Reserven. Dummerweise zeigt der politische Trend bei allen vier Punkten in die Gegenrichtung. Pech für die Jungen.