Die Grossakquisition in Italien und die bevorstehende Kotierung von Konkurrent Sunrise verändern die Anlageeigenschaften der Swisscom-Aktien. Aus Investorensicht werden sie reizvoller, aber auch risikobehafteter. Für den Hauptaktionär, die Eidgenossenschaft, besteht Handlungsbedarf.
Der führende Schweizer Telecomkonzern Swisscom steht für Stabilität. Zum einen trifft das auf sein Geschäftsmodell zu, das zu einem beträchtlichen Teil auf regelmässig fliessenden Abo-Einnahmen beruht. Zum anderen gilt das für die Besitzverhältnisse. Über ein Vierteljahrhundert nach der Marktöffnung kontrolliert die Eidgenossenschaft eine Mehrheit am ehemaligen Monopolisten. Selbst die Ausschüttungen sind von Stabilität geprägt: Seit dem Börsengang 1998 wird eine Dividende bezahlt, die letzten vierzehn Jahre blieb sie stabil auf 22 Fr. pro Aktie.
Diese Verlässlichkeit bewirkt, dass die Swisscom-Aktien in Haussephasen dem Gesamtmarkt meist hinterherhinken, in Baissen jedoch weniger verlieren als der Rest.
Mit der jüngsten strategischen Grosstat hat sich dieses Bild indes stark und nachhaltig geändert: Die Übernahme von Vodafone Italia für 8 Mrd. € und der anschliessende Zusammenschluss mit der italienischen Tochtergesellschaft Fastweb verändern den Anlagecharakter von Swisscom. Mehr Chancen stehen höheren Risiken gegenüberstehen.
Finanziell bewältigbare Grossakquisition
Rein finanziell kann sich Swisscom die Grossübernahme leisten. Eine Kapitalerhöhung, die den Gewinn verwässert, ist unnötig. Die Transaktion wird vollständig durch Fremdkapital finanziert. Dazu wurden jüngst Frankenobligationen über 1,145 Mrd. Fr. sowie diverse Euroanleihen im Volumen von 4 Mrd. € emittiert. Sie ersetzen den teuren Überbrückungskredit von 5,1 Mrd. €. Hinzu kommt, dass mit der Veräusserung der 4,5%-Beteiligung an FiberCop, einem von Telecom Italia, KKR und Fastweb für den Glasfaserausbau in Italien 2021 gegründeten Gemeinschaftsunternehmen, 439 Mio. € gelöst werden konnten.
Gratis ist das Ganze aber nicht: Der zusätzliche Zinsaufwand summiert sich auf bis zu 250 Mio. Fr. jährlich. Zudem steigt die Verschuldung. Das Verhältnis von Nettoschulden zum Gewinn auf Stufe Ebitda erhöht sich von 1,6 (Ende 2023) auf rund 2,3. Das Kreditrating von A/A1 dürfte sich dadurch um eine Stufe reduzieren, aber immerhin knapp im Investmentgrade-Bereich bleiben.
Trotzdem: In Zukunft ist ein Swisscom-Engagement mit höheren Risiken verbunden.
Die neue Nummer zwei in Italien
Mit der Zusammenführung des Breitbandgeschäfts von Fastweb und dem Mobilfunkbereich von Vodafone Italia entsteht der zweitgrösste Telecomkonzern Italiens (Umsatz kumuliert 7,3 Mrd. €). Im italienischen Breitbandmarkt steigt Swisscoms Marktanteil von 14 auf 31%, im Mobilfunkbereich sogar von 5 auf 26%. Ertragsmässig werden Fastweb/Vodafone Italia sogar Klassenbeste sein. Swisscom sichert sich auf einen Schlag 20 Millionen neue Abonnenten, gruppenweit verdoppelt sich die Zahl der Anschlüsse auf rund 39 Millionen – ein Quantensprung.
Im Heimmarkt kann Swisscom schon lange nicht mehr wachsen. In einem liberalisierten Markt ist es natürlich, dass der ehemalige Monopolist tendenziell Marktanteile an die Konkurrenten verliert. Swisscom gelang immerhin, diesen Prozess zu verlangsamen. Das Unternehmen ist die klare Nummer eins im Schweizer Telecommarkt geblieben.
Die Stagnation kann Swisscom nur mit dem Kauf von Unternehmen durchbrechen. Zu einem gelungenen Zug entpuppte sich – nach einigen Jahren – der Kauf von Fastweb. Für den italienischen Breitbandanbieter bezahlte Swisscom 2007 rund 5 Mrd. Fr.
Ermutigt durch die jüngsten Erfolge bei Fastweb – der Umsatzzuwachs war stets höher als in der Schweiz, und die einst miese Rentabilität hat sich kontinuierlich verbessert – sucht Swisscom also wiederum ihr Glück im Süden.
Die Kursentwicklung seit Ankündigung der Transaktion (15. März) zeigt jedoch, dass nach der anfänglichen Begeisterung nun Skepsis unter den Investoren überwiegt.
Der Gang ins Ausland ist naheliegend, denn der Heimmarkt ist weitgehend gesättigt. Der Trend läuft gegen Swisscom. Im Geschäft mit Breitbandverbindungen hat sich ihr Marktanteil von 2015 bis 2023 von 80 auf 47% reduziert. In dieser Zeit hat sich der Anteil der Nummer zwei, Sunrise, auf 28% verdoppelt.
Bedeutend besser verteidigte Swisscom ihre Dominanz im Mobilfunkgeschäft. Im Vergleich mit 2015 (54%) hat sich der Anteil sogar geringfügig erhöht. Zusammen mit ihren Zweit- (Wingo) und Drittmarken (M-Budget Mobile, Coop Mobile) deckt Swisscom wohl rund 60% des Schweizer Mobilfunkmarkts ab.
Italien: Zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen
Mit Vodafone Italia, die voraussichtlich ab 2025 voll konsolidiert wird, sichert sich Swisscom fast 2 Mrd. € zusätzlichen Cashflow. Abzüglich den voraussichtlich bei gut 1,6 Mrd. € liegenden Kapitalinvestitionen lägen also jedes Jahr rund 300 Mio. Fr. zusätzlicher freier Cashflow drin. Unter Weglassung der Integrationskosten steige der freie Cashflow von Swisscom nach der Transaktion von 1,5 Mrd. auf 2,1 Mrd. Fr. rechnet Swisscom beschönigend vor.
Die Integrationskosten sind indes beträchtlich. Insgesamt 700 Mio. €, wovon 300 Mio. € in den ersten drei Jahren erfolgswirksam werden, sind budgetiert. Die erwarteten Kostensynergien im Umfang von 600 Mio. € kommen jedoch erst ab 2029 voll zum Tragen. Laut Berechnungen der ZKB-Analysten führt die Übernahme dazu, dass 2025 und 2026 aus Italien ein negativer freier Cashflow resultiert.
Das ist von Bedeutung, weil die Entwicklung des freien Cashflows seit 2007 die Ausschüttung an die Swisscom-Aktionäre diktiert. Jeweils mindestens die Hälfte davon soll an die Aktionäre gehen. Das Unternehmen hat sich nun dazu verpflichtet, ab 2025 pro Aktie eine Dividende von 26 Fr. zu zahlen und anschliessend das Betreffnis jedes Jahr um 1 Fr./Aktie zu erhöhen. Aus heutiger Warte stiege die Dividendenrendite damit von 4,5 auf 5,3%.
Während das Unternehmen in den vergangenen Jahren die Dividende (1,14 Mrd. Fr.) locker aus dem freien Cashflow bezahlen und sogar noch Schulden abbauen konnte, wird das nun schwieriger. «Swisscom verbleibt kein Potenzial, die Dividende über das nun vorgeschlagene Ausmass weiter zu erhöhen», sagt Christian Bader, Analyst der ZKB. In den kommenden Jahren dürfte fast der gesamte freie Cashflow für die Dividende draufgehen.
Ein umkämpfter Markt
Die jüngst guten Ergebnisse von Fastweb täuschen darüber hinweg, dass Italien ein hart umkämpfter Telecommarkt ist. Seit Swisscoms Einstieg 2007 hat sich die Zahl an Wettbewerbern mehr als verdreifacht. Mit dem Einstieg des vom französischen Unternehmer Xavier Niel kontrollierten Iliad vor sechs Jahre hat sich der Preiskampf akzentuiert. Für alle Anbieter habe sich die Ertragslage verschlechtert, meint Bader. Während in Italien 2022 nur noch eine freie Cashflow-Marge von durchschnittlich 4% erzielt wurde, waren es in Europa 13%. Der ZKB-Analyst rechnet nicht damit, dass der Zusammenschluss von Fastweb und Vodafone Italia den Preiskrieg in absehbarer Zeit beenden wird. Für eine Marktbereinigung hätte sich Iliad Italia mit einem anderen Anbieter verbünden müssen.
Während sich das Interesse der Swisscom-Investoren in den nächsten Jahren zurecht nach Italien verlagern wird, weil künftig von dort fast die Hälfte des Umsatzes (2023: 23%) und gut 40% (2023: 17%) des Ebitda kommen werden, kommt es auch im Heimmarkt schon bald zu einer anderen Veränderung, die die Swisscom-Aktionäre im Auge behalten sollten.
Der Hauptkonkurrent kehrt an die Börse zurück
Im Schlussquartal 2024 will die Nummer zwei im Schweizer Telecommarkt, Sunrise Communications, wieder an die Börse kommen. Ende 2020 wurde Sunrise vom amerikanischen Kabelnetzkonzern Liberty Global für 6,8 Mrd. Fr. übernommen und mit UPC fusioniert. Die Sunrise-Aktien wurden im April 2021 dekotiert. Die Ankündigung im August 2020 liessen den Sunrise-Kurs in die Höhe schiessen. Doch auch schon vorher tendierten die Sunrise-Aktien phasenweise besser als die von Swisscom.
Anlässlich der Präsentation der Ergebnisse des ersten Quartals 2024 bestätigte Liberty-Global-Chef Mike Fries, dass Sunrise noch dieses Jahr an die SIX Swiss Exchange zurückkehre. Das entsprechende Kotierungsformular (F-4) sei bereits im Mai bei der SEC eingereicht worden. Im Herbst werde ein Kapitalmarkttag durchgeführt, anschliessend gehe das Management auf Road Show. Als Emissionsbanken sind JPMorgan und UBS vorgesehen.
Im vergangenen Jahr erwirtschaftete Sunrise mit einem Umsatz von 3,035 Mrd. Fr. ein Ebitda von 1,031 Mrd. Fr. Daraus rechnet sich eine Marge von 34% gegenüber 41% von Swisscom.
Mit dem Börsengang werden keine zusätzliche Mittel aufgenommen, die Liberty-Global-Aktionäre erhalten Sunrise-Aktien in Form eines Spin-offs. Zuvor sollen noch 1,5 Mrd. Fr. ins Unternehmen gesteckt werden, um die Schulden zu reduzieren. Gemäss Berechnungen von Analysten entspricht der Wert von Sunrise pro Liberty-Global-Aktie 11 $ oder fast 70% des Unternehmenswerts der Muttergesellschaft.
Nicht alle angelsächsischen Aktionäre werden die Sunrise-Papiere behalten, was anfänglich zu einem Abgabedruck führen dürfte, wie es bei solchen Spin-offs üblich ist.
Das Liberty-Global-Management verspricht für Sunrise eine attraktive Dividendenpolitik. Jedes Jahr sollen mindestens 240 Mio. Fr. ausgeschüttet werden. Für das laufende Jahr wird ein freier Cashflow von 400 Mio. Fr. in Aussicht gestellt.
An der bestehenden Konkurrenzsituation im Schweizer Telecommarkt wird die erneute Kotierung von Sunrise nichts ändern. Die Schweiz ist schon jetzt ein konsolidierter, Drei- bzw. Zweieinhalbspielermarkt (Swisscom, Sunrise, Salt), was für hohe Gewinnmargen spricht.
Aus Anlegersicht ändert sich mehr, denn plötzlich gibt es wieder eine Alternative, den Schweizer Telecommarkt zu spielen. Weil ein kotiertes Unternehmen mehr von sich preisgeben muss, können die Entwicklung von Cashflow, der durchschnittliche Erlös pro Kunde oder die Ausschüttungsquote wieder direkt vergleichen werden. «Das erhöht den Wettbewerb um Investoren», sagt Bader – was ihnen nur recht sein dürfte.
Zeitpunkt für Eidgenossenschaft wäre günstig
Weil die öffentliche Hand Swisscom kontrolliert, werden Auslandengagements stets besonders kritisch beurteilt. 2005 wollte der damalige Swisscom-Chef Jens Alder den irischen Festnetzanbieter Eircom übernehmen. Als sich der Bundesrat dagegen sträubte, platzte der Deal. Im Nachhinein war das ein Glück, denn sieben Jahre später ging Eircom in die Nachlassstundung.
Im Zusammenhang mit dem Kauf von Vodafone Italia machte sich im Parlament vorübergehend wieder Unmut breit. Mit Blick auf die Besitzverhältnisse ist das zwar verständlich. Doch die Eidgenossenschaft ist nun erst recht nicht mehr die ideale Besitzerin von Swisscom. Ein Teil- oder Gesamtausstieg der Eidgenossenschaft wäre wünschenswert, die Wahrscheinlichkeit, dass es dazu kommt, jedoch äusserst gering. «Ich spüre kein Interesse der amtierenden Politiker, aktiv auf einen Abbau der Beteiligung hinzuwirken», sagt Bader.
Eine Reduktion auf eine Sperrminorität läge auch im Interesse der Eidgenossenschaft. Denn die unternehmerisch wohl vernünftige Expansion nach Italien erhöht das Anlagerisiko, verbessert jedoch nichts am Service Public. Die Eidgenössische Kommunikationskommission (ComCom) hat der Swisscom bis 2031 die Konzession zur Grundversorgung erteilt.
2005 baute die Eidgenossenschaft ihre Beteiligung an Swisscom auf 62,45% ab, seit Ende 2013 sind es noch 51%. Für eine weitere Reduktion braucht es eine Gesetzesänderung. Ein entsprechender Vorschlag des Bundesrates wurde 2006 abgelehnt. Der politische Druck war zu gross.
Ein Blick nach Deutschland zeigt, wie man es machen könnte, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorhanden sind. Ende 2023 hielten der Bund und die staatlich kontrollierte Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) zusammen 30,4% an Deutsche Telekom 📈. In den vergangenen Wochen veräusserte die Förderbank Telekom-Aktien im Wert von 2,49 Mrd. €. Der Erlös dient der Finanzierung der Deutschen Bahn.
Der Beteiligungsabbau auf kumuliert nun 27,8% ging ohne spürbare Auswirkungen auf den Kurs von Deutsche Telekom über die Bühne. Seit Anfang Jahr notieren die Aktien 4% im Plus, alle Beteiligten waren zufrieden.
Mit Blick auf das gestiegene Italienrisiko wäre der Zeitpunkt für eine Wiedererwägung der alten Privatisierungspläne für Swisscom also gekommen. Ein solcher Schritt gäbe der bescheidenen Bewertung der Swisscom-Aktien wieder Auftrieb. Eine Kursrakete dürfte Swisscom trotzdem nicht werden. Wie bei allem Telecomvaloren reizt primär nur die hohe Dividendenrendite.