Sie haben es tatsächlich getan: Ständeräte der Mitte und der linken Parteien basteln ein 15-Milliarden-Paket zur Umgehung der Schuldenbremse. Wenn es ihnen ernst wäre, würden sie für ihre Anliegen Opfer bringen.
Man weiss gar nicht, wo anfangen. Eine Mitte-links-Allianz im Ständerat hat einen politischen Kuhhandel der üblen Sorte ausgeheckt. Sie will erstens das Armeebudget schneller und stärker erhöhen als bisher geplant. Zweitens soll der Bund den Wiederaufbau der Ukraine unterstützen, ohne im Gegenzug die übrige Entwicklungshilfe zu kürzen. Über beides kann man diskutieren. Übel aber ist, dass die Allianz drittens beide Anliegen in einem 15-Milliarden-Paket verknüpfen will, das so viele fundamentale Regeln verletzt, dass man über die Unverfrorenheit nur noch staunen kann.
Verfassung und Gesetz einzuhalten, die demokratischen Volksrechte zu respektieren, den jungen Generationen nicht noch weitere Finanzlöcher zu hinterlassen: All dies sind offenkundig aus Sicht der federführenden Köpfe der Mitte-Partei, der SP und der Grünen lästige Pflichten, über die sich das Parlament hinwegsetzen darf, wenn es von der moralischen Notwendigkeit überzeugt ist. Das nennt sich Selbstermächtigung. In der Psychologie mag der Ansatz interessant sein. In der Politik ist er gefährlich.
«Der Bund hält seine Ausgaben und Einnahmen auf Dauer im Gleichgewicht»: So steht es in der Verfassung. Diese Schuldenbremse ist elementar, und ihre Regeln sind klar definiert. Es gibt eine Ausnahmeklausel, damit der Bund in Notlagen schnell handeln und bei Bedarf riesige Summen aufbringen kann. In der Corona-Pandemie kam sie milliardenfach zum Einsatz.
Finanzjongleure am Werk
Für die Armee und die Ukraine aber lässt sich diese Klausel keinesfalls anwenden. Sie ist explizit vorgesehen bei «aussergewöhnlichen Entwicklungen», die für den Bund «nicht steuerbar» sind. Auf diese Formulierungen stürzen sich nun die Finanzakrobaten von Mitte-links. Sie räsonieren, es sei doch wirklich aussergewöhnlich, dass es in Europa wieder Krieg gebe, und der Bund könne diesen Konflikt auch nicht steuern. Da haben sie leider recht.
Aber darum geht es nicht. Der Bund kann zwar nicht den Krieg steuern, aber seinen Umgang mit dessen Auswirkungen. Das ist entscheidend. Ist er trotz Schuldenbremse in der Lage, rasch und angemessen zu handeln? In einer ersten Phase, als Tausende Flüchtlinge in der Schweiz Schutz suchten, war dies offensichtlich nicht der Fall. Deshalb war es zulässig, diese Ausgaben ausserordentlich zu verbuchen.
Aber heute hat der Bund die Wahl. Die Politik kann frei entscheiden, wie rasch sie wie viel Geld zusätzlich in die Armee stecken will, wann und in welchem Umfang sich die Schweiz am Wiederaufbau der Ukraine beteiligen soll. Es gibt keine Notwendigkeit, sofort Milliarden auszugeben wie zum Beispiel bei einem Lockdown oder einer Naturkatastrophe.
Irreführung höheren Grades
Geradezu zynisch ist die Argumentation, mit der die Mitte-Ständerätin Andrea Gmür den Deal zu rechtfertigen versucht. Sie verweist darauf, dass die Botschaft zur Schuldenbremse auch «kriegerische Ereignisse» als möglichen Grund für ausserordentliche Ausgaben nennt. Das ist Irreführung für Fortgeschrittene. Gemeint sind natürlich Kriege oder Unruhen in der Schweiz selbst. Niemand bestreitet, dass der Bund sofort voll handlungsfähig sein muss, wenn das Land angegriffen wird. Wenn aber Kriege in anderen Staaten als Ausrede dienen, um hierzulande ausserordentliche Zahlungen zu rechtfertigen, dann kann man die Schuldenbremse auch gleich abschaffen.
Gefragt ist Ehrlichkeit. Wer mehr für die Armee oder die Ukraine ausgeben will, soll im Gegenzug andere Ausgaben kürzen oder die Steuern erhöhen. Wenn es die Mitte und die Linke mit ihren hehren Anliegen wirklich ernst meinen würden, wären sie bereit, dafür auch politische Opfer zu erbringen.
Alles andere ist Heuchelei. Man geht den altbekannten Weg des geringsten Widerstands, häuft Schulden an, weil es so einfach geht, ohne Plan, wie man sie wieder abbauen kann. Hauptsache, man kann das eigene Gewissen beruhigen. Die Zeche zahlen die kommenden Generationen. Mit ihrem windigen Plan erbringt die Mitte-links-Koalition gerade den besten Beweis für die Notwendigkeit einer strikten Schuldenbremse.
Nötigung des Stimmvolks
Damit nicht genug. Um den Kuhhandel durchzusetzen, sind die federführenden Köpfe auch bereit, die Volksrechte zu beschneiden. Sie wollen die Gelder für die Armee und die Ukraine in eine einzige Vorlage packen. Wer hier eine Einheit der Materie erfinden will, muss nicht nur phantasievoll sein, sondern vor allem skrupellos. Man könnte vielleicht auch noch Subventionen für Wärmepumpen in das Paket einbauen, weil wegen des Kriegs die Gaspreise gestiegen sind.
Solche Deals verhindern die freie Willensäusserung. Bei einem Referendum wären viele Stimmbürger in einer Zwangslage. Sie könnten nur beides zusammen annehmen oder ablehnen, obwohl der innere Zusammenhang alles andere als zwingend ist. Würde ein kantonales Parlament einen solchen Cocktail mixen, würde es fast sicher vom Bundesgericht gestoppt. Das Bundesparlament hingegen geniesst dank der fehlenden Verfassungsgerichtsbarkeit grössere Freiheiten, sollte sie aber nicht missbrauchen.
Dass die Linke die Schuldenbremse sturmreif schiessen will, ist bekannt. Dass aber Exponenten der Mitte-Partei bereit sind, unter Verweis auf eine angebliche Notlage den letzten Rest an bürgerlicher Finanzpolitik über Bord zu werfen, ist beunruhigend. Man kann nur hoffen, dass sie damit in der Partei und vor allem im Parlament nicht durchkommen. Es gibt genug korrekte Wege, für die Ukraine und die Armee mehr Geld aufzutreiben. Der Schleichweg, den Mitte-links einschlägt, ist feige. Kurzfristig führt er vielleicht sogar ans Ziel, langfristig aber zum Vertrauensverlust der Politik.