Investoren aus dem Ausland sollen künftig kontrolliert werden.
Ist das, was kürzlich in der Wirtschaftskommission des Nationalrats passierte, ein «Epochenbruch»? So nennt es jemand, der dabei war: überrascht davon, dass der Vorgang fast unbeachtet blieb.
An ihrer letzten Sitzung hat sich eine der wichtigsten Kommissionen in Bern daran gemacht, die wirtschaftliche Ordnung im Land zu korrigieren. Sie will ausländische Investoren an Übernahmen von schweizerischen Unternehmen hindern können. Der Bundesrat hatte zwar noch vor Investitionskontrollen gewarnt, die «Politik der Offenheit» sei zentral «für den Wohlstand (. . .) in der Schweiz», aber er war machtlos: Die überwältigende Mehrheit der Wirtschaftskommission wich davon ab.
Noch vor vier Jahren, als das Parlament das Gesetz initiiert hatte, waren die Mehrheiten viel knapper. Es gab eine Verteidigungslinie der alten Ordnung – die traditionell wirtschaftsliberalen Parteien (FDP, SVP, GLP) waren gegen Investitionskontrollen. Magdalena Martullo-Blocher, Unternehmerin und Nationalrätin der SVP, sagte: «Der Staat soll möglichst wenig in Geschäfte von Privaten eingreifen.» Die kritische Infrastruktur der Schweiz sei bereits geschützt, und ob ein Investor aus China oder aus Europa stamme, sei «nebensächlich». Inzwischen sieht das die SVP anders, Martullo-Blocher will sich dazu nicht äussern.
In breiten Allianzen hat die Wirtschaftskommission den Gesetzesentwurf des Bundesrats sogar noch verschärft: Nicht nur staatliche, auch parastaatliche Investoren sollen künftig kontrolliert werden – zudem seien nicht nur Unternehmen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit schützenswert, sondern auch solche, die «essenzielle Güter und Dienstleistungen» anböten.
Die alte Verteidigungslinie ist eingebrochen, nur die FDP ist noch generell gegen Investitionskontrollen. Cédric Wermuth, Co-Präsident der SP, verkündet auf seinem Blog bereits: «Die liberale Ideologie ist krachend gescheitert.» Er sieht das Ende einer Zeit gekommen, in der «die uneingeschränkte Globalisierung, die Freiheit des Kapitals» als «ideologische Fixsterne unverrückbar» schienen.
Ist das tatsächlich ein Anfang vom Ende der alten Ordnung in der Schweiz – ein «Epochenbruch»? Und wie lässt er sich erklären?
Das Ende der Geschichte
Lange brauchte die Schweiz keine offizielle Investitionskontrolle, weil es eine inoffizielle gab. Die Wirtschaft war als eine Art Kartell organisiert, basierend auf Absprachen. Im Kalten Krieg waren die Unternehmen nur im Weltmarkt dem Wettbewerb ausgesetzt, im Binnenmarkt waren sie geschützt – zu ihren wichtigsten Abnehmern gehörte der Staat, der mit einem institutionalisierten Pflichtlagerdenken für einen drohenden Krieg vorsorgte. Die Post-, Telefon- und Telegrafenbetriebe gehörten zur Bundesverwaltung wie auch Waffenfabriken, Elektrizitäts- und Flugzeugwerke. Man nannte sie Regiebetriebe. In Parlamenten, Kommandoposten, Verwaltungsräten sassen die immergleichen Leute.
Als der Westen aber in den 1990er Jahren das Ende der Geschichte und den Anfang einer grenzenlos globalisierten Welt herbeifeierte, wurden in der Schweiz selbst die militärischen Regiebetriebe liberalisiert: «Die Schweiz war lange ein hochversichertes Land, aber jetzt begann eine Ära der Leichtsinnigkeit», sagt Tobias Straumann, Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Zürich. Alles wurde käuflich. Die Hochphase dieser Ära lag in den 2010er Jahren, als vor allem chinesische Investitionen die wirtschaftliche Ordnung in der Schweiz veränderten. Symbolisch war die Übernahme von Saurer: Der traditionsreiche thurgauische Hersteller von eidgenössischen Militärlastwagen gehörte fortan zur Jinsheng-Gruppe aus Changzhou.
Auch die Maschinenfabrik Netstal wurde nach China verkauft oder die Swiss Education Group, ein Verbund von Hotelfachschulen. Die Zahl chinesisch besetzter Verwaltungsratsmandate in der Schweiz verzigfachte sich in wenigen Jahren.
Aber spätestens als ChemChina im Jahr 2016 den schweizerischen Saatgutanbieter Syngenta übernahm, war das Ende der Hochphase erreicht. Im Parlament reichte Beat Rieder, Ständerat der CVP, eine Motion zum «Schutz der Schweizer Wirtschaft» ein: Das Land sei mit seiner «sehr offenen und liberalen» Marktwirtschaft «enorm verwundbar» geworden, schrieb er. Er konnte damals nicht ahnen, dass seine Motion den Ausgangspunkt dessen markieren sollte, was jetzt «Epochenbruch» genannt wird – oder wie es Tobias Straumann formuliert: «Die Krisen der vergangenen Jahre führen zur Rückkehr eines Versicherungsdenkens, das wir aus dem Kalten Krieg kennen. Denn nichts anderes ist eine Armee, ist eine staatliche Infrastruktur: eine teure Versicherung.»
Die Rückkehr der Geschichte
Die Corona-Jahre und der Ukraine-Krieg haben in der Schweiz einen doppelten Effekt ausgelöst: die Erkenntnis, wie abhängig man von der Welt(-Wirtschaft) ist, und gleichzeitig den verstärkten Wunsch nach wirtschaftlicher Unabhängigkeit, also nach mehr Schutz vor dieser Welt.
Bei den Wahlen im vergangenen Herbst gewannen Parteien, die der Bevölkerung einen Schutzschirm aufspannen wollen: Die SVP fordert mehr grenzschützerische Kontrollen, die SP mehr staatliche Absicherung. Die Idee einer vernetzten liberalen Welt erreichte so wenig Zustimmung wie wohl noch nie. Stattdessen ist das Blockdenken zurück. Gerhard Pfister, Präsident der Mitte-Partei, hatte den Zeitgeist in dem Satz verdichtet: «Wir erleben die Rückkehr der Geschichte, der Westen kann nicht einfach eine wertefreie Businessplattform sein.»
Als sich chinesische Investoren im Jahr 2018 an der geplanten Güter-U-Bahn Cargo sous terrain beteiligen wollten, stand ihr Vertreter auf dem Gruppenbild direkt neben Bundesrätin Doris Leuthard. Er sagte: «Das Projekt ist nicht nur revolutionär für die Schweiz, sondern auch für den Rest der Welt.» Im Jahr 2020, nur zwei Jahre später, wurde den chinesischen Investoren beschieden, man verzichte auf ihr Geld. Ein Sprecher erklärte, man habe festgestellt, dass es im Bundeshaus «Bedenken gegenüber Investitionen von Firmen aus gewissen Ländern» gebe.
Welche liberale Ordnung?
Die letzten Verfechter der alten Ordnung finden sich in der FDP. Nationalrat Beat Walti sagt: «Wer nur ein bisschen liberal ist, bekommt Hühnerhaut, wenn es um Investitionskontrollen geht.» Er beobachtet, nicht erst seit den Corona-Jahren, eine neue «Autarkie-Phantasie»: «Die Leute haben kein reales Bild mehr davon, wie vernetzt unsere Weltwirtschaft sowieso ist.» Die Schweiz investiert derzeit etwa 1400 Milliarden Franken im Ausland, das Ausland etwa 1000 Milliarden Franken in der Schweiz. Walti sieht darin das entscheidende Argument: «Unsere Unternehmen verdienen Geld mit Investitionen auch in China, aber chinesische Unternehmen sollen das bei uns nicht dürfen? Wirtschaft ist kein Wunschkonzert.»
Das weitverbreitete Schutzbedürfnis sieht er gedeckt – negative Beispiele habe es bisher keine gegeben, Bund und Kantone wachten über die kritische Infrastruktur. Und sollte sich «ein asset holder wirklich kritisch verhalten», sagt Beat Walti, wäre es besser, ihn notfalls zu enteignen, als Investoren generell «mit misstrauensreichen Kontrollen» von Investitionen in der Schweiz abzuhalten.
Er hat sich ins Feuer geredet, er weiss, dass er aus der Minderheit heraus argumentiert. Ob sich in der Wirtschaftskommission, der er auch angehört, tatsächlich ein «Epochenbruch» gezeigt habe – das Ende der liberalen Ordnung? «Welche liberale Ordnung?», fragt Beat Walti rhetorisch zurück.
Neue Zeit, neue Mehrheiten
Die neuen Mehrheiten ergeben sich aus einem neuen Kontroll- und Regulierungsbedürfnis. «Die Zeit des anything goes ist vorbei», sagt SP-Co-Präsident Cédric Wermuth, «wir sollten unsere Infrastrukturen absichern gegen geostrategische Machtspiele.» Jacqueline Badran, SP-Vizepräsidentin, sagte einst: «Heutzutage übernimmt man Länder nicht mit Ritterrüstungen, sondern man kauft sie.» In der SP will man den Service public, der seit den 1990er Jahren halbliberalisiert wurde, wieder «unter direktdemokratische Kontrolle» (Wermuth) bringen – und so schützen vor staatlichen und auch vor parastaatlichen Investoren: Oligarchen oder chinesischen Staatsunternehmern.
Als der Ständerat neulich über einen ähnlich gelagerten Vorschlag von Jacqueline Badran diskutierte, sagte der Schaffhauser SP-Ständerat Simon Stocker, man müsse klären, «welches Instrument – oder welche Waffe, muss man schon fast sagen» am meisten gegen ausländische Investoren helfe. Er hatte seine Rede mit «Biedermann und die Brandstifter» eingeleitet, dem Stück von Max Frisch, in dem sich einer die Brandstifter ins eigene Haus holt, obwohl er es eigentlich besser weiss. Auch beim Vokabular wird aufgerüstet.
Selbst in der SVP, die staatliche Eingriffe laut Programm «nur im Sinne einer absoluten Ausnahme» gutheisst, propagiert man in diesem Fall «mehr Regulierung», wie es intern heisst. «Wir müssen uns schützen», sagt der Fraktionschef Thomas Aeschi, Nationalrat aus Zug. «Den Schweizern entgleitet die Schweiz zunehmend.» Es könne nicht sein, dass immer mehr Immobilien an Ausländer verkauft würden und diese im Energie- und Gesundheitsbereich «Oligopolrenten abschöpfen». «Oder dass eine Wasserquelle plötzlich einem Herrn Wu aus Shenzhen gehört, statt der dörflichen Genossenschaft.» Aeschi sagt, er beobachte im Grossraum Zürich, wie profitabel der schweizerische Markt für Ausländer sei: «Wir wollen keinen Ausverkauf der Heimat.»
So ergibt sich die Allianz aus jenen, die bedeutende Unternehmen kontrollieren wollen, um sie vor dem Einfluss von Privaten zu schützen – und den anderen, die sie kontrollieren wollen, um sie vor Einfluss aus dem Ausland zu schützen. Zusammen gibt es eine Mehrheit. Als es neulich Gerüchte gab, ein chinesischer Investor interessiere sich für eine Wasserquelle im Wallis, lehnten sich Nationalräte aus SP, Grünen und SVP gemeinsam dagegen auf – am Ende blieb die Übernahme aber ein Gerücht.