Hotelplan wird verkauft, obwohl das Unternehmen Erfolg hat. Selbst Branchenkenner sind erstaunt. Doch das ist erst der Anfang des grossen Umbaus.
In der Migros-Chefetage scheint es ein ungeschriebenes Gesetz zu geben: Ohne mindestens zweimal Dutti zu erwähnen, darf keine Migros-Veranstaltung über die Bühne gehen. Der Haken: Wofür Unternehmensgründer Gottlieb «Dutti» Duttweiler eigentlich steht, darüber ist man sich nicht so richtig einig.
Das zeigte sich am Freitagmorgen in der Firmenzentrale am Zürcher Limmatplatz. Die Verantwortlichen gaben den wohl weitreichendsten Unternehmensumbau in der Geschichte der Migros bekannt. Firmen mit bis zu 6500 Angestellten werden verscherbelt, weitere 1500 Jobs gestrichen. Doch es geht um mehr als um Arbeitsplätze. Es geht um die Zukunft des beliebtesten Schweizer Unternehmens.
Nichts zeigt das klarer als der angekündigte Verkauf von Hotelplan. Das traditionsreiche Unternehmen mit 2000 Angestellten und einem neuerlichen Rekordumsatz von 1,7 Milliarden Franken soll weg. 1935 gegründet von Dutti, zehn Jahre nach der Migros. Zwei Fliegen sollten mit einer Klappe geschlagen werden: der gebeutelten Schweizer Beherbergungsbranche unter die Arme greifen und gleichzeitig Schweizerinnen und Schweizern Ferien ermöglichen. Also entwickelte Dutti einen Hotel-Plan. Bei Nostalgikern heisst das Unternehmen deshalb bis heute «der Hotelplan».
Doch nun sagt Michel Gruber, Migros-Handelschef sowie VR-Präsident von Hotelplan: «Der Verkauf ist im Sinne Duttis.» Auch der idolisierte Innovator habe loslassen müssen, damit etwas Neues entstehen könne. Hotelplan, so die Analyse der Migros-Verantwortlichen, passe nicht mehr zum Konzern. Es gebe zu wenig Synergien mit dem Kerngeschäft.
Warum aber setzt die Migros stattdessen voll auf die Winterthurer Tochterfirma Medbase, an der man erst 2010 die Mehrheit übernahm? Deren unsichtbare Zahnspangen, flexibel buchbare Psychotherapie-Räume und Zahnarztpraxen haben schliesslich genauso wenig mit einem Supermarktregal gemein wie ein Reisebüro. Auch das sei im Sinne Duttis, sagt die Migros-Präsidentin Ursula Nold. «Ihm lag viel an der Volksgesundheit.»
«Nicht nachvollziehbar»
Dutti muss in der Migros mittlerweile für alles hinhalten. Dabei ist an diesem Freitagmorgen offensichtlich: Bei der Migros haben die Anti-Duttis wie Mario Irminger, Präsident des Migros-Genossenschaftsbunds, oder eben Michel Gruber übernommen. Die rationalen Zahlenmenschen, die sich mit Excel-Tabellen besser auskennen als mit Auftritten auf der grossen Bühne.
Das Reiseunternehmen Hotelplan galt schon lange als Fremdkörper im Migros-Universum. Mal lief es besser, meist lief es weniger gut. Trotzdem wagte sich kein Migros-Chef je, hier das Messer anzusetzen. Auch nicht während der Corona-Pandemie. Während die Migros-Supermärkte Rekordumsätze verbuchten, gingen Hotelplan-Angestellte in Kurzarbeit.
Jetzt, wo die Touristen zurück und die Zahlen wieder gut sind, packt die Migros die Gelegenheit beim Schopf, für Hotelplan einen guten Preis zu lösen. Auch wenn das bedeutet, dass die Nummer eins im Schweizer Reisemarkt künftig höchstwahrscheinlich ausländischen Besitzern gehört. Wie schon die Nummer zwei (Kuoni beziehungsweise DER Touristik aus Deutschland) und die Nummer drei (Tui Suisse).
«Das Management und die Mitarbeitenden von Hotelplan machen einen tollen Job – jetzt sind eine gute Kommunikation und vertrauensbildende Massnahmen nötig, damit das Schiff auf Kurs bleibt», sagt André Lüthi, der Chef des Reisebüros Globetrotter und Vorstandsmitglied des Schweizer Reise-Verbands (SRV).
Die Migros argumentiert, dass Hotelplan mittelfristig gegen die grossen ausländischen Player keine Chance habe. Doch das sei für ihn nicht nachvollziehbar, sagt der Reiseprofi Lüthi. Ebenso wenig, dass Hotelplan zu wenig Synergien mit dem Kerngeschäft der Migros habe. «Man hat es von jeher einfach verpasst, sie richtig zu nutzen.» Auch wenn die Migros-Verantwortlichen Hotelplan als Ganzes verkaufen wollen, hält es André Lüthi für möglich, dass die Firma jetzt filetiert wird. Das Ferienhausgeschäft Interhome, der Individualreisenspezialist Travelhouse usw. könnten an verschiedene Eigentümer gehen.
100 Jahre Mythos
Eigentlich hätte die Migros Hotelplan nicht verkaufen müssen. Dass die Spitze der Genossenschaft sich dennoch dazu entschieden hat, zeigt, dass sie den Bruch mit Dutti sucht. Es ist ein Signal: Die eigene Belegschaft soll wissen, dass bei der Migros keine Mythen mehr gepflegt werden. Im Zweifel werden sogar rentable Betriebe wie Hotelplan, aber auch der Kosmetikhersteller Mibelle abgestossen. Letzterer gehört zu der Migros-Industrie, welche ebenfalls auf Duttweiler zurückgeht und auch so eine heilige Kuh ist.
Der Detailhandel ist das Geschäft der grossen Mengen und der kleinen Margen. Jegliche Extravaganzen gehen sofort zulasten des Ertrags. Wer sich nicht konsequent erneuert, fällt zurück. Die Konkurrenz ist längst schlanker aufgestellt als die Migros. Die Hauptrivalin Coop hat das Geschäft schon vor zwanzig Jahren radikal zentralisiert. Die Discounter Lidl und Aldi wiederum sind international gestählte Effizienzmonster, welche der Migros in den letzten Jahren Marktanteile abgegraben haben.
Trotz der angekündigten Verschlankung bleibt die Migros für Schweizer Verhältnisse ein schwer manövrierbarer Supertanker. Sie ist im Bankgeschäft aktiv, im hochkomplexen Gesundheitswesen und leistet sich nach wie vor zehn Regionalgenossenschaften, die selbst unzählige Formate in der Gastronomie und Handel betreiben. Möglichkeiten, Geschäfte zu verkaufen oder zu schliessen, gibt es noch viele. Meint es die Migros-Spitze ernst, dann ist das erst der Anfang des Umbaus. Gleichzeitig ist es auch das Ende des Sonderfalls Migros.
Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»