Einfache Sprache ist in Mode. Auch die News-Sprecher im Ersten sollen künftig umgangssprachlicher sprechen. Genauso stört das Pult, da es Distanz zum Publikum markiere. Braucht es diese erzwungene Nähe?
Die «Tagesschau» der ARD will ihrem Publikum näherkommen. Deshalb sollen die Nachrichten künftig in sogenannter Sprechsprache vorgetragen werden. Dies bedeutet, dass so gesprochen wird, wie man im Alltag spricht. Keine fremden Wörter, keine komplizierten Sätze, um alles in der Welt keine abgehobene Akademikersprache. Ein bisschen so halt, wie einem der Schnabel gewachsen ist.
So hat es der «Tagesschau»-Chef Marcus Bornheim angekündigt. Die Leute hätten oft den Eindruck, die Sprecher würden «von der Kanzel predigen», sagte Bornheim in einem Interview mit dem Online-Magazin DWDL. Dies würden Umfragen zeigen.
Weiter sagte er: «Wir wollen die Nachrichten deshalb so texten, wie man sie seinen Nachbarn am Gartenzaun oder der Familie beim Abendessen erzählen würde.»
Ich bin einer von euch
Wie das tönen könnte, hat der Mann nicht gesagt. Wird man in Zukunft also hören, dass ein Flugzeug «gecrasht» ist oder ein «Knacki» aus dem Gefängnis «türmte»? Vielleicht ist vom Buchhalter die Rede, der für sich etwas «abgezwackt hat». Der Meteorologe spricht von «Scheisswetter». Berlin bekommt zehn neue «Bushalte», die Deutsche Bahn «verarscht» ihre Kunden, Biden ist «tatterig», und Scholz hat Merz «angepflaumt».
Nee, so geht das kaum. Einen so lockeren, umgangssprachlichen Ton bei den Krisen und Kriegen, über die in einer News-Sendung berichtet wird, kann man sich nun echt nicht vorstellen. Dabei kapieren wir schon, was die mundartlich gefärbten Wörter bezwecken. Ich bin einer von euch, sagt der Sprecher. Wir sprechen dieselbe Sprache.
Mit dem Bemühen, alltagsnahe zu sprechen, sollen die Zuschauerinnen und Zuschauer «abgeholt» werden. Im Schweizer Fernsehen wird der Wetterbericht deshalb seit einigen Jahren auf Schweizerdeutsch gesprochen. Man holt die Leute dort ab, wo sie sind, also meistens auf dem Sofa in der eigenen Stube. Aber auch da gibt es Hürden.
«Es steht immer ein Tisch zwischen Sprecher und Publikum», sagte der «Tagesschau»-Chef Bornheim weiter. Er meint damit nicht den Salontisch, auf dem die Füsse liegen. Sondern das Pult, hinter dem die Sprecher stehen.
Die Leute wollten lieber «eine Sendung auf Augenhöhe», glaubt Bornheim zu wissen. Also dürfte bald auch das Sprecherpult wegkommen. Ein neues Studio ist bei der ARD geplant. Dieses soll «kein reines Fernsehstudio» mehr sein.
Trend zu einfacher Sprache
Nun will die ARD zwar kein Deutsch mehr sprechen, das nur die Gebildeten verstehen. Aber um die richtige Sprechsprache zu finden, arbeiten die TV-Macher mit der Universität Hildesheim zusammen. Sprachforscher ständen ihnen beratend zur Seite, sagt Bornheim. Denn letztlich soll die Sprache einfacher werden.
Einfache Sprache wird heute von Medien, Museen und Behörden verwendet, um allen den Zugang zu Informationen zu ermöglichen. Auch jene sollen die «Tagesschau» verstehen können, für die Deutsch nicht die Muttersprache ist. Die News-Sendung will darüber hinaus verständlich sein für alle, die Mühe haben, so Bornheim, «komplizierte Satzstrukturen zu erfassen».
Einfache Sprache wurde ursprünglich für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung entwickelt. Es geht dabei um Inklusion: Jeder soll an Gesellschaft, Kultur und Politik teilhaben, darauf gründet eine Demokratie. Deshalb werden Abstimmungsunterlagen oder Beipackzettel so verständlich wie möglich verfasst. Nur Hauptsätze, nicht länger als fünf Wörter, pro Wort weniger als sechzehn Buchstaben. So empfehlen es Ratgeber zu einfacher Sprache.
Die niederschwellige Vermittlung in Radio und Fernsehen wird auch deshalb wichtiger, weil die Leute nachrichtenmüde sind. Junge Leute schauen keine «Tagesschau» mehr. Der «sprechsprachliche» Stil ist zugleich eine Anpassung an die Kommunikation in Kurznachrichten.
Anbiedernd und aufdringlich
Fragt sich bloss, ob der Versuch, alle anzusprechen, auch denen gefällt, die eine nüchterne, unaufgeregte Sprache in der «Tagesschau» bisher geschätzt haben. Es ist angenehm, wenn Wörter nicht so überbetont werden, wie es manche Moderatoren in der «Tagesschau» des Schweizer Fernsehens tun, als kämen sie frisch aus dem Rhetorik-Kurs. Eine «Sprechsprache» hat immer auch mehr emotionale Färbung. Das macht sie aufdringlicher.
Der Wille zum Sprechen «auf Augenhöhe» klingt jedenfalls nach einer erzwungenen Nähe. Man sieht es bei der Jugendsprache, mit der Fernsehsendungen ein junges Publikum zu gewinnen versuchen – wie schnell etwas anbiedernd wirkt.
«Und tschüss!», heisst es vielleicht demnächst von Sprecher und Publikum um zwanzig nach acht im Ersten. Dabei möchte man doch bloss besser informiert sein nach einer News-Sendung, ohne vorgeschriebene Gefühle und Vereinnahmungsversuche durch einen kumpelhaften Sprecher. Man weiss ja, warum man sich mit dem Nachbarn am Gartenzaun gerade nicht über das Weltgeschehen unterhält.