Die Not in Gaza ist unbestritten, die Beurteilung des Palästinenserhilfswerks ist eine Frage des Standpunkts: Nach intensiven Anhörungen kommt die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats zu keinem eindeutigen Schluss.
Jeder kann aus den Anhörungen mitnehmen, was er will. So klein ist der gemeinsame Nenner, auf den sich die Aussenpolitische Kommission (APK) des Nationalrats nach zweitägigen Beratungen über das Palästinenserhilfswerk UNRWA einigen konnte. Der Kommissionspräsident, FDP-Nationalrat Laurent Wehrli, verlas zwar ein ausführliches Communiqué, eine eindeutige Position der APK zu den Vorwürfen an die Uno-Organisation war aber nicht zu erkennen.
Die UNRWA steht seit Jahren in der Kritik, aufs Engste mit den palästinensischen Terrororganisationen verquickt zu sein – insbesondere mit der Hamas. Einzelne Mitarbeiter des Hilfswerks sollen sogar an deren Überfall auf Südisrael am 7. Oktober 2023, dem schwersten Pogrom gegen Jüdinnen und Juden seit dem Zweiten Weltkrieg, beteiligt gewesen sein. Gleichzeitig gilt die UNRWA gegenwärtig als einzige Organisation, die angesichts der prekären Lage in Gaza humanitäre Hilfe zu leisten vermag.
Auftritt von Hillel Neuer
Das Thema verträgt offensichtlich kein falsches Wort. Die Zündschnüre sind kurz, sobald es um den Nahostkonflikt geht. So auch in der Frage, ob der Bundesrat die sistierten UNRWA-Gelder möglichst rasch freigeben soll oder nicht. Der Bundesrat hat vor einer Woche entschieden, den Schweizer Jahresbeitrag von 2o Millionen an die Uno-Agentur vorerst nicht freizugeben. Die Vorwürfe konnten mit einem ersten Expertenbericht weder bestätigt noch widerlegt werden.
Anfang Woche konnte die APK des Nationalrats Stellung nehmen, allerdings nur konsultativ. Mit 13 zu 11 Stimmen empfiehlt die Kommission dem Bundesrat, der UNRWA einen ersten Teilbetrag zu überweisen. Es müsse aber sichergestellt sein, dass die Gelder nur für die effektive Nothilfe verwendet würden. Über die Höhe der Tranche soll der Bundesrat selbst entscheiden. Gleichzeitig überwies die APK eine Motion, wonach die Hilfe in Zukunft direkt finanziert werden soll.
Die Schweiz war bisher eines der grössten Geberländer des Palästinenserhilfswerks. Die Schweizer Position hat auch symbolisch eine hohe Bedeutung. Die APK hat deshalb eine Reihe von Akteuren angehört: von Philippe Lazzarini, dem Schweizer UNRWA-Chef, bis zu Hillel Neuer, der mit seiner Nichtregierungsorganisation UN Watch zu den schärfsten Kritikern des Palästinenserhilfswerks gehört. Amnesty Schweiz hat gegenüber der NZZ die Glaubwürdigkeit der NGO infrage gestellt.
Tatsächlich vertritt Neuer eine Position, die nicht ins gängige Bild der humanitären Szene passt. «Es ist ein typisches Stereotyp, dass alle, die sich in irgendeiner Weise gegen die antiisraelischen Vorurteile aussprechen, automatisch Marionetten Israels sein müssen», so konterte er die Vorbehalte gegen seine Organisation. UN Watch wehre sich gegen die Doppelmoral, die gegenüber Israel angewandt werde.
US-Streitkräfte bauen Landungssteg
Neuers APK-Auftritt vom Montag wird je nach politischer Couleur unterschiedlich beurteilt: Für die einen vermochte er seine schweren Vorwürfe gegen die UNRWA mit Belegen solide zu untermauern, andere halten alles, was er sagt, für krass und unglaubwürdig. Es wirkt fast so, als ob sein Teil der Geschichte schlicht unerhört bleiben soll. Einen grossen Einfluss auf die Haltung der Kommission dürfte sein Auftritt vor der Kommission nicht gehabt haben: Die Meinungen sind vorgefasst.
Unbestritten ist die prekäre Lage der Zivilbevölkerung in Gaza nach Monaten des Kriegs. Während aber in Bern ideologisch über die Rolle der UNRWA gestritten wird, sind die amerikanischen Streitkräfte gegenwärtig dabei, mit mehreren Transportschiffen eine provisorische Landungsstelle in Gaza aufzubauen. Bodentruppen wollen die USA nicht einsetzen. Gegenwärtig wird diskutiert, ob allenfalls britische Soldatinnen und Soldaten den Brückenkopf an Land sichern sollen.
Falls es in den nächsten Tagen tatsächlich zu einem Waffenstillstand kommt, dürfte die Nothilfe einfacher zu organisieren sein. Wer auch immer aber die weitere Verantwortung für eine gerechte Verteilung der Güter übernimmt – ob eine NGO oder ein militärischer Verband –, wird sich mit den Strukturen am Boden arrangieren müssen: Noch immer wird der Gazastreifen von Terroristen beherrscht.