Unternehmen und Investoren nehmen in guten Zeiten gerne Schulden auf, um ihre Rendite zu maximieren. Das ist nicht per se schlecht, aber es darf nicht vergessen werden, dass Schulden eine tödliche Kehrseite haben können.
Mein Geschäftspartner Bruce Karsh versorgte mich kürzlich mit einem Zeitungsartikel über Schach, der mich dazu inspirierte, ein kurzes Memo mit dem Titel «Die Unverzichtbarkeit des Risikos» zu schreiben. Die Reaktion auf das Memo war positiv – hoffentlich, weil die Leute den Inhalt wertvoll fanden, aber möglicherweise auch, weil es nur drei Seiten lang war und nicht die üblichen zehn bis zwölf. Das hat mich ermutigt, ein weiteres kurzes Memo zu verfassen.
Eine meiner interessantesten Quellen für die Lektüre praktischer Philosophie – einschliesslich Investitionsphilosophie – ist der Blog des Collaborative Fund, an dem Morgan Housel, ein Partner des Fonds, regelmässig mitarbeitet. Wenn ich Housels Überlegungen lese, sage ich mir oft: «Das deckt sich mit meiner Meinung». Und manchmal sage ich, wie hoffentlich auch andere, nachdem sie meine Memos gelesen haben: «So habe ich die Sache noch nie gesehen».
Besonders interessant fand ich den Beitrag von Housel vom 30. April mit dem Titel «How I Think About Debt». Das Thema ist die Auswirkung von Schulden auf die Langlebigkeit von Unternehmen, und es läuft eigentlich auf eine Diskussion über Risiken hinaus, eines meiner Lieblingsthemen.
Housel geht zunächst auf die 140 Unternehmen in Japan ein, die mehr als 500 Jahre nach ihrer Gründung immer noch im Geschäft sind, und auf die wenigen, die angeblich mehr als 1000 Jahre alt sind:
«Es ist erstaunlich, was diese Unternehmen alles ertragen haben – Dutzende von Kriegen, Kaiser, katastrophale Erdbeben, Tsunamis, Depressionen, und so weiter, ohne Ende. Und dennoch verkaufen sie ihre Produkte weiter, Generation für Generation.»
«Diese extrem langlebigen Unternehmen werden Shinise genannt, und Studien über sie zeigen, dass sie ein gemeinsames Merkmal haben: Sie verfügen über Berge von Bargeld und haben keine Schulden. Das ist einer der Gründe, warum sie über Jahrhunderte alle möglichen Katastrophen überstanden haben.»
Es liegt auf der Hand, dass Menschen und Unternehmen, die verschuldet sind, unter sonst gleichen Bedingungen eher in Schwierigkeiten geraten als solche, die nicht verschuldet sind. Und es versteht sich von selbst, dass ein Haus oder ein Auto, das nicht als Sicherheit für einen Kredit verwendet wurde, nicht gepfändet oder beschlagnahmt werden kann. Es ist das Vorhandensein von Schulden, das die Möglichkeit von Zahlungsausfällen, Zwangsvollstreckungen und Konkursen schafft.
Bedeutet das, dass Schulden etwas Schlechtes sind und vermieden werden sollten? Ganz und gar nicht. Vielmehr geht es darum, ob die Höhe der Schulden im Verhältnis zu (a) der Grösse des Unternehmens und (b) dem Potenzial für Schwankungen in der Rentabilität und den Vermögenswerten in der Bilanz des Unternehmens angemessen ist.
Housel umrahmt das Thema, indem er den Gedanken der potenziellen Volatilität im Lauf des Lebens einführt: «Nicht nur die Volatilität der Märkte, sondern die Volatilität der Welt und des Lebens: Rezessionen, Kriege, Scheidungen, Krankheiten, Umzüge, Überschwemmungen, Sinneswandel etc.» Ohne Schulden, so sein Postulat, werden wir wahrscheinlich alle ausser den seltensten und extremsten Ereignissen überstehen.
In einer Reihe von Illustrationen zeigt Housel jedoch, dass mit zunehmender Verschuldung die Bandbreite der Schwankungen, die man aushalten kann, kleiner wird, bis bei einem sehr hohen Verschuldungsgrad die Überlebensfähigkeit nur noch im zahmsten Umfeld gegeben ist. Housel drückt es so aus: «Mit zunehmender Verschuldung verringert sich die Bandbreite der Ergebnisse, die man im Leben ertragen kann.»
Housels Ansatz, über Schulden nachzudenken – und insbesondere seine Illustrationen – erinnerten mich an mein Memo vom Dezember 2008 mit dem Titel «Volatilität + Leverage = Dynamit». (Sofern nicht anders angegeben, stammen die folgenden Zitate aus diesem Memo). In diesem Memo habe ich anhand einer Reihe einfacher Grafiken gezeigt, dass ein Unternehmen einen grösseren Rückgang im Wert seiner Anlagen verkraften kann, je geringer seine Schuldenlast ist. Und ich machte die folgende Beobachtung über die Ursache der globalen Finanzkrise, die zum Zeitpunkt des Memos in vollem Gange war:
… die Höhe der Summe des geliehenen Geldes – die Hebelwirkung oder der Leverage –, die sinnvollerweise eingesetzt werden sollte, hängt einzig und allein vom Risiko und der Volatilität der Vermögenswerte ab, die damit gekauft werden sollen. Je stabiler die Preise der Vermögenswerte sind, desto mehr Leverage kann man sicher einsetzen. Je riskanter die Vermögenswerte, desto weniger Leverage. So einfach ist das.
Einer der Hauptgründe für die heutigen Probleme der Finanzinstitute ist, dass sie das Risiko von Vermögenswerten wie Hypotheken unterschätzt und als Folge davon mit zu viel geliehenem Geld zu viele verbriefte Hypothekarpapiere gekauft haben.
Portfolios, Leverage und Volatilität
Der Grund für die Aufnahme von Schulden – d. h. für die Verwendung dessen, was Anleger als Leverage bezeichnen – ist einfach: die Steigerung der sogenannten Kapitaleffizienz. Fremdkapital ist in der Regel günstig im Vergleich zu den erwarteten Renditen, die Eigenkapitalinvestitionen motivieren, und damit im Vergleich zu den kalkulatorischen Kosten von Eigenkapital. Daher gilt es als effizient, Fremd- anstelle von Eigenkapital einzusetzen.
In Casinos habe ich den Croupier sagen hören: «Je mehr Sie setzen, desto mehr gewinnen Sie, wenn Sie gewinnen.» Gleichermassen gilt für einen bestimmten Betrag an Eigenkapital, dass (a) je mehr Fremdkapital Sie einsetzen, desto mehr Vermögenswerte können Sie besitzen und (b) je mehr Vermögenswerte Sie besitzen, desto grösser sind Ihre Gewinne – wenn die Dinge gut laufen.
Aber nur wenige Menschen sprechen über die Kehrseite. Der Croupier sagt nie: «…und umso mehr verlieren Sie, wenn Sie verlieren.» Wenn Ihr Vermögen an Wert verliert, werden Sie umso grössere Verluste erleiden, je mehr Leverage Sie eingesetzt haben.
Die Vergrösserung von Gewinnen und Verlusten, die sich aus der Hebelwirkung ergibt, ist in der Regel symmetrisch: Ein bestimmter Umfang von Leverage verstärkt Gewinne und Verluste in gleicher Weise. Aber mit Leverage «gehebelte» Portfolios sind mit einem Abwärtsrisiko konfrontiert, für das es keine entsprechenden Vorteile gibt: das Risiko des Ruins. Das wichtigste Sprichwort in Bezug auf den Einsatz von Fremdkapital erinnert uns daran, dass wir «nie die zwei Meter grosse Person vergessen sollten, die beim Überqueren des Flusses ertrank, der im Durchschnitt nur einen Meter tief war».
Um zu überleben, muss man die Tiefpunkte überstehen, und je mehr Fremdkapital man hat (wenn alles andere gleich bleibt), desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man dies tut.
… es ist wichtig, die Rolle der Volatilität zu erkennen. Selbst wenn die Verluste nicht dauerhaft sind, kann eine Abwärtsschwankung das Risiko des Ruins mit sich bringen, wenn ein Portfolio stark fremdfinanziert ist und (a) die Kreditgeber die Kreditvergabe einstellen können, (b) die Anleger aus Angst ihr Kapital abziehen oder (c) die Verletzung aufsichtsrechtlicher oder vertraglicher Normen Zwangsverkäufe auslösen kann.
Es liegt auf der Hand, dass die grössten leverage-bedingten Verluste dann auftreten, wenn das Potenzial für Abwärtsschwankungen über einen längeren Zeitraum unterschätzt wurde und somit der Einsatz von Fremdkapital übermässig gross geworden ist. Im Allgemeinen werden «normale Volatilitätsniveaus» – also solche, die regelmässig auftreten und durch historische Statistiken belegt sind – in die Berechnungen der Anleger einbezogen und spiegeln sich in der Höhe der von ihnen eingesetzten Hebelwirkung. Es sind die vereinzelten «Tail Events», die Anlegern mit Leverage die grössten Verluste bescheren:
Das Problem ist, dass extreme Volatilität und Verluste nur selten vorkommen. Und je mehr Zeit verstreicht, ohne dass dies geschieht, desto wahrscheinlicher erscheint es, dass es nie passieren wird – dass die Annahmen in Bezug auf das Risiko zu konservativ waren. So wird es verlockend, die Regeln zu lockern und den Einsatz von Fremdkapital zu erhöhen. Und oft geschieht dies, kurz bevor das Risiko schliesslich zum Vorschein kommt. Wie Nassim Nicholas Taleb in «Fooled by Randomness» schrieb:
«Die Realität ist viel bösartiger als Russisches Roulette. Erstens gibt sie die tödliche Kugel eher selten ab, wie ein Revolver, der Hunderte oder gar Tausende von Kammern statt sechs hat. Nach ein paar Dutzend Versuchen vergisst man in einem betäubenden Gefühl falscher Sicherheit, dass es überhaupt eine Kugel gibt. Zweitens: Im Gegensatz zu einem genau definierten, präzisen Spiel wie dem Russischen Roulette, bei dem die Risiken für jeden sichtbar sind, der in der Lage ist, zu multiplizieren und durch sechs zu teilen, kann man den Lauf der Realität nicht beobachten … Man kann also unwissentlich Russisches Roulette spielen – und es unter einem anderen Namen als «risikoarm» bezeichnen.»
…In allen Bereichen unseres Lebens treffen wir unsere Entscheidungen auf der Grundlage dessen, was unserer Meinung nach wahrscheinlich passieren wird. Und das wiederum basiert zu einem grossen Teil auf dem, was in der Vergangenheit gewöhnlich geschehen ist. Meistens erwarten wir Ergebnisse, die nahe an der Norm liegen, aber wir wissen, dass es nicht ungewöhnlich ist, dass die Ergebnisse besser oder schlechter ausfallen. Obwohl wir bedenken sollten, dass hin und wieder ein Ergebnis ausserhalb des üblichen Bereichs liegt, neigen wir dazu, die Möglichkeit von Ausreissern zu vergessen. Und wie die jüngsten Ereignisse zeigen, berücksichtigen wir nur selten Ergebnisse, die nur einmal im Jahrhundert oder noch seltener vorkommen.»
Zyklen beim Einsatz von Leverage
In meinem zweiten Buch mit dem Titel «Mastering the Market Cycle: Getting the Odds on Your Side» ist eines der längsten und wahrscheinlich wichtigsten Kapitel eines, das ich nicht geplant hatte, als ich mich an die Arbeit machte: «The Cycle in Attitudes Toward Risk». Die Psychologie der Anleger hat auf kurze Sicht einen dominanten Einfluss auf den Markt, und die Einstellungen, die Investitionsentscheidungen motivieren, sind oft zyklischer Natur. Sie treiben die Märkte in irrationale Extreme und korrigieren sich dann in die entgegengesetzte Richtung in das andere Extrem.
Die Einstellungen, die den Einsatz von Fremdkapital bestimmen, sind Beispiele für diesen zyklischen Prozess. Wenn die Dinge an den Finanzmärkten eine Zeit lang gut laufen – die Preise von Vermögenswerten steigen, die Anlagerenditen sind positiv, und der Einsatz von Fremdkapital hat sich in Form höherer Renditen ausgezahlt – betrachten die Anleger Fremdkapital als gutartig. Das hat zur Folge:
- die vorteilhaften Aspekte des Leverage werden gut erkannt,
- das negative Potenzial wird übersehen,
- Investoren sind daran interessiert, über den Einsatz von mehr Fremdkapital mehr zu investieren,
- Kreditgeber werden bereit, mehr zu gewähren, und
- Vorschriften und Sitten, die den Einsatz von Leverage regeln, werden tendenziell freizügiger.
Wenn sich die Ereignisse jedoch negativ entwickeln, kehrt sich dieser Prozess um. Leverage wird bestraft, nicht belohnt. Der Einsatz von Leverage geht zurück. Und was noch wichtiger ist: Die Kreditgeber stellen weniger Mittel zur Verfügung und versuchen, wenn möglich, die Rückzahlung ausstehender Kredite zu verlangen, was negative Folgen für die Kreditnehmer hat. Auf diese Weise weicht die Psychologie, wie wir so oft sehen, vom «goldenen Mittelweg» ab und bewegt sich auf extreme Höhen zu, die schmerzhafte Verluste vorhersagen.
Die Ursache von Verlusten durch übermässigen Einsatz von Fremdkapital lässt sich vielleicht am besten durch eine Anpassung meines neuen Lieblingszitats aus dem Buch «The Price of Time» von Edward Chancellor verstehen, das ich in meinem Memo mit dem Titel «Easy Money» vom Januar dieses Jahres zitiert habe:
«Der Bankier John Mills aus Manchester bemerkte [im Jahr 1865] scharfsinnig, dass Paniken in der Regel kein Kapital zerstören; sie zeigen lediglich das Ausmass auf, in dem es bereits zuvor durch [die Aufnahme von übermässigem Fremdkapital in guten Zeiten] zerstört wurde.»
Umsichtiger Umgang mit Fremdkapital
Wie bei so vielen Aspekten des Investierens geht es auch bei der Bestimmung der richtigen Höhe des Leverage um Optimierung, nicht um Maximierung. Angesichts der Tatsache, dass Leverage die Gewinne vergrössert, wenn es Gewinne gibt, und dass Anleger nur dann investieren, wenn sie mit Gewinnen rechnen, kann es verlockend sein, zu glauben, dass die richtige Menge an Leverage «alles ist, was man bekommen kann». Berücksichtigt man jedoch (a) das Potenzial der Hebelwirkung, Verluste zu verstärken, wenn es zu Verlusten kommt, und (b) das Risiko des Ruins unter extrem negativen Umständen, sollten umsichtige Anleger in der Regel weniger als das maximal verfügbare Mass an Fremdkapital einsetzen. Erfolgreiche Investitionen, die vielleicht durch den moderaten Einsatz von Leverage verbessert werden, sollten in der Regel bereits eine ausreichende Rendite abwerfen – etwas, woran in guten Zeiten nur wenige denken.
So habe ich es Ende 2008 in «Volatilität + Leverage = Dynamit» zusammengefasst:
Es ist natürlich schwierig, immer das richtige Mass an Leverage einzusetzen, weil man nicht sicher sein kann, dass man genügend Risiko einkalkuliert. Leverage sollte nur auf der Grundlage vorsichtiger Annahmen eingesetzt werden. Und wenn Sie etwas Neues, Unerprobtes, Riskantes, Unbeständiges oder potenziell Lebensbedrohliches tun, sollten Sie nicht versuchen, die Rendite zu maximieren. Gehen Sie stattdessen lieber auf Nummer sicher. Der Schlüssel zum Überleben als Investor liegt in dem, worauf Warren Buffett immer wieder hinweist: die Margin of Safety, die Sicherheitsmarge. Der Einsatz von 100% des Leverage, die das eigene Vermögen theoretisch rechtfertigen könnte, ist oft nicht mit der Sicherung des Überlebens vereinbar, wenn ungünstige Ergebnisse eintreten.
Je risikoreicher die zugrunde liegenden Vermögenswerte sind, desto weniger Fremdkapital sollte für deren Kauf eingesetzt werden. Konservative Annahmen zu diesem Thema werden Sie davon abhalten, Ihre Gewinne zu maximieren, aber möglicherweise Ihr finanzielles Leben in schlechten Zeiten retten.
Die richtige Art, über Schulden nachzudenken, lässt sich vielleicht am besten mit einer meiner ältesten Maximen beschreiben: «Es gibt alte Investoren, und es gibt draufgängerische Investoren, aber es gibt nicht viele alte, draufgängerische Investoren.» Der massvolle Einsatz von Fremdkapital schafft ein Gleichgewicht zwischen dem Wunsch nach höheren Gewinnen und dem Bewusstsein für die möglichen negativen Folgen.
Nur so kann man hoffen, die Langlebigkeit der 500 Jahre alten japanischen Erfolgsgeschichten von Morgan Housel zu erreichen.
Bei diesem Gastbeitrag handelt es ich um eine Übersetzung des jüngsten Memos von Howard Marks. Die englische Originalfassung sowie ein dazugehöriger Podcast sind unter diesem Link auf der Website von Oaktree Capital abrufbar.
Howard Marks