Digitalisierung als Chance? Die Agrarlobby will nichts davon wissen.
Bauern haben ein kompliziertes Leben. Sogar die Unterhosenfarbe müsse man bekanntgeben, wenn man Geld vom Staat haben wolle, sagte kürzlich ein Bauer am Rande einer Kundgebung in ein Mikrofon. Im Durchschnitt müsse ein Hof rund 3000 Kontrollpunkte erfüllen, um Direktzahlungen zu erhalten, bemängelt auch Meinrad Pfister. Er züchtet im Kanton Luzern Schweine und war früher Vorstandsmitglied des Bauernverbands. Wenn ein Politiker sich bei den Bauern beliebt machen will, schreibt er einen Vorstoss gegen die «überbordende Agrarbürokratie».
Nun präsentiert der Bund ein digitales Tool namens Digiflux, das gemäss unabhängigen Agrarexperten einen pragmatischen Weg in die Zukunft weisen könnte – weg vom heutigen Mikromanagement hin zu messbaren Zielen, welche die Bauern eigenverantwortlich verfolgen könnten.
Umweltprobleme ungelöst
Das Thema Pestizide illustriert, wie schwierig es ist, die Landwirtschaft auf einen umweltfreundlicheren Weg zu bringen, obschon auch die Bauern wissen, dass es so nicht weitergehen kann. Vor fünf Jahren stritt die ganze Schweiz darüber. Umweltschützer wollten den Pestizid-Einsatz ganz verbieten, um Gewässer und Naturräume zu schützen. Die Landwirte verteidigten sich rabiat und setzten sich schliesslich durch: Das Stimmvolk verwarf die Pestizid- und die Trinkwasserinitiative, welche die Landwirtschaft vor gewaltige Probleme gestellt hätten. Bundesrat und Parlament versprachen damals, man werde bessere, gezieltere Massnahmen zum Schutz der Umwelt treffen.
Tatsächlich folgte ein Aktionsplan, der erste Resultate zeigt. Doch die Probleme sind bei weitem nicht gelöst. Auch der Eintrag von Nährstoffen aus Dünger bleibt zu hoch, obwohl ein «Absenkpfad» beschlossen wurde. Anfang Mai meldete das Bundesamt für Umwelt, die Grenzwerte für Nitrate würden an 15 Prozent der Grundwasser-Messstellen überschritten und die Abbauprodukte von Pestiziden beeinträchtigten das Grundwasser erheblich – vor allem im Mittelland. Neu muss neben dem Sempachersee, dem Baldeggersee und dem Hallwilersee auch der Zugersee belüftet werden.
Um die Emissionen in den Griff zu bekommen, hat das Bundesamt für Landwirtschaft im Auftrag des Parlaments nun die digitale Meldestelle Digiflux geschaffen. Sie soll Transparenz über den Einsatz von Pestiziden und den Handel mit Nährstoffen schaffen. Der Agronom Christof Dietler vom landwirtschaftlichen Think-Tank Igas sagt: «Das ist eine grosse Chance für die Bauern.» Endlich würden auch nichtbäuerliche Anwender in den Fokus genommen. Die SBB, die ihre Gleise von Unkraut freihalten müssen, und andere Bahnunternehmen fallen ebenfalls unter die Meldepflicht, genauso wie Golfplätze, Garten- und Landschaftsbaufirmen, Vergärungs- und Kompostierungsanlagen sowie der Handel. Kein Mensch weiss heute, wie viele problematische Stoffe diese Unternehmen in Umlauf bringen. Überraschungen seien möglich, sagt Dietler. Vielleicht habe man zu Unrecht stets mit dem Finger auf die Bauern gezeigt, während beispielsweise der Pestizideinsatz von Bahnunternehmen kaum hinterfragt worden sei.
Die Bauernpolitiker allerdings rufen einmal mehr: «Bürokratiemonster!» Seit den Wahlen und den Protesten der Basis wissen sie das Momentum auf ihrer Seite. Stehen sie zusammen, können sie im Parlament nahezu alles verhindern. So will Nicolas Kolly (SVP, FR) per Motion erreichen, dass die Pflicht für Landwirtschaftsbetriebe, Digiflux zu nutzen, wieder aufgehoben wird. Dass dem Bauernstand immer neue Auflagen aufgebürdet würden, sei nicht mehr tragbar, findet Kolly. Die Bauernwelt habe nichts zu verbergen, aber auch nichts zu beweisen.
Transparenz hilft den Bauern
Weniger skeptisch ist der Schweinezüchter Meinrad Pfister. Der Luzerner war Präsident von Suisseporcs, dem Produzentenverband der Schweinehalter, als Digiflux gestartet wurde. Er sagt: «Wir wollten dabei sein, um mitzureden.» Der Umgang der Tierhalter mit Gülle und Mist werde schon länger digital erfasst und kontrolliert. Gerade die Schweinebetriebe hätten ein Interesse an Transparenz, weil sie gerne als Umweltverschmutzer hingestellt würden. «Wenn wir nachweisen können, dass wir bedarfsgerecht düngen, dann hilft uns das», sagt Pfister.
Pfister erinnert an die Negativschlagzeilen über Antibiotikaresistenzen. Vor einigen Jahren gerieten die Bauern in Verdacht, leichtfertig Antibiotika einzusetzen und damit die Resistenzbildung zu fördern. In Eigeninitiative habe die Schweinebranche daraufhin eine App entwickelt, mit der jeder Medikamenteneinsatz am Tier dokumentiert werde. Damit seien die Schweinebauern aus dem Fokus geraten.
Pfister hat Verständnis für den Widerstand der Bauern gegen neue, komplizierte Meldevorschriften. Die vorliegende Version sei nicht praktikabel. Das Bundesamt für Landwirtschaft müsse Digiflux überarbeiten, fordert er. Gebe es eine schlanke Lösung, stehe er weiterhin dahinter.
Nachbesserungen versprochen
Das Bundesamt für Landwirtschaft steht im Ruf, die Bauern mit überbordender Agrarbürokratie zu plagen. Offenbar hat man aber bereits gemerkt, dass nachgebessert werden muss. Nach «einem intensiven Austausch» mit Vertretern der Landwirtschaft habe man die Einführung von Digiflux um ein Jahr verschoben, schreibt eine Sprecherin. Man arbeite an einer nutzerfreundlichen Lösung, verspricht sie. Zu Doppelspurigkeiten werde es nicht kommen.
Ob diese Versicherungen genügen, um die skeptische Agrarlobby im Parlament zu überzeugen? Marcel Dettling bleibt skeptisch. Es sei ein Riesenaufwand, und am Ende schaue nichts dabei heraus, sagt der SVP-Präsident mit eigenem Bauernhof im Kanton Schwyz. Aber ganz verhindern lasse sich Digiflux wohl nicht. Der Bauernverband urteilt differenzierter: Die angedachte Umsetzung sei zwar «überrissen». Eine Übersicht über die Stoffflüsse in den verschiedenen Sektoren sei aber im Sinne der Landwirtschaft.
Gemüseanbau betroffen
Während die Tierzüchter jetzt schon Protokoll führen über ihren Umgang mit Nährstoffen, ist die Deklarationspflicht neu für einen Sektor, den die Umweltschützer bis jetzt kaum auf dem Radar hatten: die Gemüsebauern. Manche wollen nicht, dass bekannt wird, wie viele Pestizide und Nährstoffe sie einsetzen. Das Thema Dünger könnte sogar am grünen Image der Biobetriebe kratzen. Landwirtschaftsminister Guy Parmelin wird Überzeugungsarbeit leisten müssen, um den Absturz von Digiflux zu verhindern.
Agrarexperte Christof Dietler hofft trotz aller Kritik, Digiflux werde der Beginn einer neuen Ära. Einer Ära, in der es klare Ziele zur Minimierung von Schadstoffbelastungen gibt, die Landwirte sich aber nicht mehr mit tausend Einzelvorschriften herumschlagen müssen, um die Bedingungen für eine «Ackerschonstreifen-Zulage» zu erfüllen oder um Geld zu erhalten für eine sparsame «Unterblattspritztechnik», die akribisch dokumentiert werden muss. Sie müssten dann nur noch Buch führen über ihre Dünger- und Pestizideinsätze. Wenn klar sei, wo die Probleme lägen, könnten regionale oder branchenspezifische Lösungen gefunden werden.
Für die Bauern sei das Monitoring-Prinzip eine gute Sache, findet Dietler. Sie könnten argumentieren: «Wir nehmen die Sache selbst in die Hand und wollen dafür weniger Bevormundung, weniger Programme, weniger Detailvorschriften und weniger Kontrollen.» Noch sehen das viele bäuerliche Interessenvertreter anders. Dem ersten grossen Digitalisierungsprojekt der Schweizer Landwirtschaft droht der Absturz.