Die Münchner Arena ist zur Trauerfeier nur halb gefüllt. Alte Kameraden und Politiker erinnern an Deutschlands grössten Fussballer.
Dem Konterfei des Mannes, der zu Lebzeiten der «Kaiser» genannt wurde, kann in München an diesem Tage niemand entkommen. Franz Beckenbauers Profil ist auf allen Bildschirmen, auf Plakaten, die die Bürgersteige säumen. Und so gleicht ein Spaziergang durch die Münchner Innenstadt beinahe einer Prozession.
Im Stadion zu Fröttmaning, benannt nach einem Sponsor des FC Bayern München, soll Abschied genommen werden von Beckenbauer. Mehr als 70 000 Zuschauer fasst die Arena an Spieltagen. Doch heute, an dem Tag, an dem München die grösste Figur des deutschen Fussballs verabschieden will, ist manches anders als an Spieltagen. Eine Stunde vor dem Beginn der Trauerfeier sind die Ränge leer, das Rahmenprogramm der Gedenkstunde findet anfangs vor leeren Tribünen statt. Es wirkt irritierend, wo der Anlass doch wie ein Staatsakt angekündigt worden war.
Bei der Rede des Bundeskanzlers Scholz wurden Pfiffe befürchtet
Nicht 70 000 Menschen, wie an Spieltagen, würde das Stadion an diesem Nachmittag Platz bieten, sondern 50 000. Nur: Zu Beginn der Trauerfeier sind mehr als die Hälfte der Plätze unbesetzt. Wer herkommen wollte, brauchte ein Ticket, das es gratis beim FC Bayern gab.
Der Stadionsprecher, taktsicher durch das Programm führend, moderiert also vor einer eher spärlichen Kulisse, und doch sagte er: «Es ist schön, dass so viele Menschen in die Allianz-Arena gekommen sind.» Vielleicht ist es auch eine Generationenfrage. Der Anteil der 20-Jährigen im Stadion ist nicht sonderlich gross; den jüngeren Anhängern ist der Fussballer Beckenbauer eben nicht mehr so präsent.
Der Tölzer Knabenchor singt, unter anderem den Schlager «Gute Freunde kann niemand trennen», den Beckenbauer 1966 intonierte. Dort, wo sonst Radau ist, geht es nun kontemplativ zu. Die Spitzen des Staates sind geladen – und sie kommen. Um Olaf Scholz, den sozialdemokratischen Bundeskanzler, dreht sich ein Bericht der «Süddeutschen Zeitung», wonach die Bayern Sorge hatten, dass es bei einer Rede von Scholz zu Pfiffen kommen könne angesichts der aufgeheizten Stimmung im Lande. Ganz gleich, ob es zutrifft oder nicht: Eine solche Episode besagt doch auch, für wie wenig pietätvoll das deutsche Fussballvolk gehalten wird.
Die Politik einzuladen und sie zugleich fernzuhalten vom Trauerakt – das ist die Kunst an diesem Nachmittag. Dem Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier kommt die Rolle zu, Beckenbauer zu würdigen. Beckenbauers Witwe Heidi hat ihn sich als Redner gewünscht, womit so ziemlich alles gesagt ist über den Status der Figur Beckenbauer: Bei welchem Sportler würden solche Wünsche der Hinterbliebenen als eine Selbstverständlichkeit empfunden?
Den Mittelkreis bedeckt ein Foto Beckenbauers im Trikot des FC Bayern, mit der Nummer 5 auf dem Rücken. Elf seiner Wegbegleiter gruppieren sich um die Aufnahme, unter ihnen Andreas Brehme, Günter Netzer, Lothar Matthäus und Berti Vogts. Der Tenor Jonas Kaufmann singt die italienische Variante von «Time to Say Goodbye», «Con te partiro», ehe Steinmeier ans Mikrofon tritt: «Als Bundespräsident sage ich in unser aller Namen: Danke, Franz Beckenbauer, danke für alles!»
Steinmeier würdigt Beckenbauer als «diplomatisches Naturtalent». Er habe sich um Deutschland verdient gemacht. Es fällt der Begriff «Fussballsommermärchen», das einen «neuen freundlichen Blick» auf die Deutschen ermöglicht habe.
Es sind Worte von einigem Gewicht. Denn gerade die Affäre um das so genannte Sommermärchen, um den mutmasslichen Stimmenkauf, der die Durchführung der WM 2006 in Deutschland begünstigt haben soll, hatte Beckenbauer mehr und mehr zu einer Persona non grata in der Heimat werden lassen, was in seinen späten Jahren all seine Leistungen überschattete.
Ministerpräsident Söder kritisiert die Kritiker
Überhaupt stellt der Abschied vom glänzendsten Exponenten des deutschen Fussballs gewissermassen eine Resozialisierung Beckenbauers dar. Der einstmals so Umschwärmte und später Verstossene wird am Ende doch noch heftig umarmt; Markus Söder, der bayrische Ministerpräsident, schenkt sogar den Kritikern in seiner launigen Würdigung tüchtig ein: Diejenigen, die sich nicht genug im Glanze Beckenbauers hätten sonnen können, hätten später gerne besonders schlau dahergeredet, als die Vorwürfe aufgekommen seien.
Eine Trauerfeier als Gelegenheit zur Abrechnung? Offenbar wird dies von manchen Rednern als nötig empfunden. Schliesslich wirkten die Reaktionen, als das Ableben Beckenbauers am 8. Januar bekanntwurde, ein wenig hilflos. Die Bayern brauchten eine Weile, um die passenden Worte zu finden, der sonst so instinktsichere Thomas Müller wirkte verunsichert, als er auf X (früher Twitter) formulierte: «Einer der grossartigsten Fussballer der Vereinsgeschichte des FC Bayern hat uns leider verlassen. Ruhe in Frieden, Kaiser Franz.» Fast hatte es den Anschein, als habe man abwarten wollen, woher der Wind weht.
Nun aber tritt Uli Hoeness, der langjährige Manager, noch einmal energisch für den alten Weggefährten ein. Es ist ein überraschender, sehr spezieller Auftritt. Die grössten Leistungen Beckenbauers seien nicht die Titel als Spieler und Trainer gewesen, sondern, dass er die Fussball-WM 2006 nach Deutschland geholt habe («Hat sich jahrelang den Hintern aufgerissen»). Als die Bayern 2000 Meister geworden seien, habe Beckenbauer auf seiner Werbetour in Unterhose im Hotel auf den Fidschi-Inseln vor dem Zimmer des Fifa-Präsidenten Joseph Blatter skandiert: «Steht auf, wenn ihr für Bayern seid.»
Uli Hoeness ist kein Fan der AfD
Als Hoeness dann noch erklärt, dass es ohne die WM 2006 keine neue Arena in München gegeben hätte, erntet er lauten Beifall. Und dann tut Hoeness, was seine Vorredner vermieden haben. Er nutzt den Anlass, um zu politisieren. Es habe schon besser um Deutschland gestanden, insinuierte Hoeness. Und er weiss, was zu tun ist: «Meine sehr verehrten Damen und Herren, da müssen wir wieder hinkommen in unserem Land: dass alle stolz sind!»
Er fährt fort: «Ich möchte ganz deutlich betonen, dass ich bei diesem Prozess die AfD nicht dabei haben will.» Einmal dabei, nimmt sich Hoeness auch die Kritiker Beckenbauers vor, die «unsägliche Medienkampagne, die Kleingeistigen», jene, die meinten, «das Wort führen zu müssen». Eine solche Einlassung provoziert vor allem eine Frage: Was ist los in einem Land, in dem ohne Not die Trauerfeier des grössten Fussballers als Vehikel für politische Parolen genutzt wird?