Die grosse Blinddegustation: Chardonnay ist eine Rebsorte mit vielen Gesichtern. Wir haben rund dreissig biologisch produzierte Weissweine aus aller Welt verkostet – mit Preisen bis 100 Franken pro Flasche. Das Burgund stellt den verdienten Sieger.
Nachhaltigkeit wird im Weinbau Jahr für Jahr zu einem bedeutenderen Thema. Immer mehr Güter produzieren nach biologischen oder gar biodynamischen Methoden, die ohne Pestizide auskommen. In der Schweiz wird gut ein Fünftel der Rebfläche von rund 15 000 Hektaren auf diese Art und Weise kultiviert. Allerdings handelt es sich um eine anspruchsvolle Aufgabe, denn der Mehltau und andere Krankheiten machen den Winzerinnen und Winzern oftmals das Leben schwer – gerade in einem feuchten Jahr wie 2024.
Auch in anderen Ländern ist der Bio-Rebbau im Vormarsch. Eine der Vorzeigeregionen in Frankreich ist das Burgund, wo so renommierte Kultweingüter wie die Domaine de la Romanée-Conti, Leflaive oder Leroy wertvolle Pionierarbeit geleistet haben und weiterhin leisten. Allerdings sind ihre Crus aus Pinot noir und Chardonnay inzwischen zu teuren Luxusprodukten mutiert.
Die beliebte Rebsorte kennt viele Gesichter
Selbstverständlich geht es auch preiswerter. Für die grosse Blinddegustation haben wir diesmal das Thema Chardonnay ausgewählt und wollten wissen, wo die besten biologisch erzeugten Weissweine bis zu einem Preis von 100 Franken je Flasche produziert werden. Es handelt sich um eine äusserst beliebte Rebsorte, die in vielen Anbaugebieten zu finden ist. Sie kennt viele Gesichter und ergibt stilistisch unterschiedlichste Weine – von frisch-schlank bis hin zu kräftig-holzbetont.
Eine weitere Stärke: Die relativ neutrale Chardonnay-Traube spiegelt gekonnt ihr Terroir beziehungsweise ihre Herkunft wider. Eine ebenso wichtige Rolle spielt freilich auch die Handwerkskunst des Winzers. Jedenfalls verfügt die Sorte über geschmacklich hervorragende Qualitäten, die zahlreiche Weinliebhaber ansprechen. Sie ist wieder gefragter denn je. Die Zeiten, als das Motto «Anything but Chardonnay» die Weinszene beherrschte, sind definitiv vorbei. Je nach Stil ist für jeden etwas dabei.
Wer hatte die Nase vorn?
Zur Auswahl standen rund dreissig Weissweine aus allen wichtigen Anbaugebieten: vom Burgund über die Schweiz und Österreich bis nach Neuseeland. Degustiert wurde wie immer mit verdeckten Etiketten. Generell war das Niveau sehr hoch. Wirklich abgefallen sind keine Weine. Am Schluss war es ein sehr enges Rennen, denn das Top-Trio lag qualitativ sehr nahe beisammen. Frankreich hat mit Abstand am besten abgeschnitten, namentlich das Burgund. Überrascht hat Österreich. So hat ein Chardonnay aus der Steiermark für eine grosse Überraschung gesorgt. Die Neue Welt brachte keinen Wein ganz nach vorne.
Die Zeiten, als das Motto «Anything but Chardonnay» die Weinszene beherrschte, sind definitiv vorbei.Peter Keller
Als etwas überraschender Sieger ging der Saint-Romain blanc Sous Le Château 2022 der Domaine Henri & Gilles Buisson hervor. Der grossartige Wein kommt aus einer der weniger renommierten Appellationen im Burgund, überzeugt aber mit seinem Charakter und seiner Spannung. Auf dem Gut wird seit 2009 biologisch gearbeitet, seit einiger Zeit biodynamisch. Man setzt nicht nur auf Biodiversität in den Rebbergen, sondern will auch jede Lage so ungeschminkt wie möglich in die Flasche zaubern. So ist die auf 370 Metern über Meer gelegene Parzelle Sous Le Château durch die Burgund-typischen Kalkböden charakterisiert. Die Rebberge liegen damit deutlich höher als andere Weingärten der Côte d’Or, was den Weinen eine schöne Frische und Mineralität verleiht. St. Romain besitzt keine Premier- oder Grand- Cru-Lagen.
Ganz im Gegensatz zu der ebenfalls nicht gerade sehr bekannten Appellation St. Aubin, die sich jedoch in den letzten Jahren zu einem Geheimtipp gewandelt hat. Dafür mitverantwortlich ist die heute von Olivier Lamy geführte Domaine Hubert Lamy. Sein St. Aubin Premier Cru Les Frionnes erreichte jedenfalls verdientermassen Platz zwei – dank seiner Balance, Ruhe, Strahlkraft und Textur. Lamy arbeitet biologisch, ohne damit offen zu werben. Das hat er auch nicht nötig. Seine exzellenten Weine sprechen für sich. Das Gut setzt auf gebrauchte Holzfässer mit 300 bis 600 Litern Inhalt und einen langen Hefekontakt beim Ausbau des Weins.
Weisswein-Kino spielt nicht nur in Frankreich
Mit den besten Franzosen, die auch den Wein mit dem besten Preis-Genuss- Verhältnis stellten, konnten nicht viele andere Beispiele mithalten. Ihnen am nächsten kam indessen ein Chardonnay aus der Steiermark, der in diesem österreichischen Anbaugebiet Morillon genannt wird. Der sehr gelungene Morillon Flamberg 2021 des Weinguts Lackner-Tinnacher ist vielschichtig, mineralisch und charaktervoll. Die Rebberge werden biologisch und mit einem hohen Mass an Handarbeit gepflegt. Niedrige Erträge zwischen 25 und 30 Hektolitern pro Hektare sorgen für Geschmacksfülle und eine entsprechende Säurestruktur. Grosses Weisswein-Kino wie die beiden Top-Burgunder.
Für einmal nicht ganz vorne einreihen konnten sich die Schweizer Bio-Produkte. Der beste Vertreter kommt mit dem Chardonnay Frassa 2023 des Weinguts Wegelin aus der Bündner Herrschaft. Lediglich die reduktive Nase verhinderte eine absolute Spitzenplatzierung. Der ausdrucksstarke Wein besitzt jedoch ein sehr gutes Reifepotenzial und dürfte in ein paar Jahren eine noch bessere Bewertung verdienen. Wegelin ist der Beweis dafür, dass die Sorte hierzulande eine gute Zukunft hat.
Die Besten der grossen Blinddegustation
Der Sieger
Die Appellation in der Côte de Beaune ist weniger bekannt und besitzt keine Premier-Cru- sowie Grand-Cru-Lagen. Einige Parzellen hätten einen höheren Status verdient. Der Sieger bestätigt diese These eindrücklich: vielschichtiges, eher kühler wirkendes Bouquet mit fruchtigen, würzigen und mineralischen Noten, trocken, elegant, frisch, mittelschwer, mit viel Spannung, langes Finale.
18,5/20 Punkte
Der Zweitplatzierte
Die Gemeinde St. Aubin an der Côte de Beaune ist dank ihren zwanzig Premiers Crus zu einem Geheimtipp geworden. Dies beweist die Lage Les Frionnes. Es ist der Wein eines genialen Produzenten: Noten von Feuerstein in der Nase, dezente fruchtige Anklänge, tolle Mineralität im Gaumen, druckvoll, reife Säure, mittelschwer, lang anhaltend.
18/20 Punkte
Bester «Nicht-Franzose»
Ein Korallenkalkboden und kühles Kleinklima prägen diese herausragende Lage. Der trockene, komplexe Wein ist denn auch durch seine Finessen und seine Mineralik geprägt. Schöner, vielschichtiger Duft, mittelkräftiger Körper, eine reife Säure und tolle Länge sind weitere Merkmale. Sehr gutes Reifepotenzial.
18/20 Punkte
Bester Schweizer Wein
In der Bündner Herrschaft wird zunehmend auf Chardonnay gesetzt. Dieser Lagenwein gehört zu den besten des Gebiets. Er braucht allerdings etwas Luft, denn in der Nase ist er zu Beginn reduktiv. Nachher vielschichtiger Duft. Im Gaumen fallen die Komplexität, die gute Struktur und die Eleganz auf. Mit dem Genuss muss noch gewartet werden, aber er ist mit einem sehr guten Reifepotenzial ausgestattet.
17/20 Punkte
Bestes Preis-Genuss-Verhältnis
Mâconnais ist das südlichste Anbaugebiet im Burgund und gilt als Wiege des Chardonnay. Dieses Beispiel bietet für den Preis viel Wein. Er ist eher schlank, elegant, frisch, gut strukturiert und besitzt eine schöne Länge. Jetzt in idealer Trinkreife, aber auch weiterhin lagerbar.
17,5/20 Punkte
Weitere Top-Chardonnays
- Chablis Le Clos 2022, Domaine Moreau, Burgund; 7,5/20 Punkte, 92 Franken; collection-markus-nauer.ch
- Morillon Ried Pfarrweingarten 2020, Weingut Sattlerhof, Steiermark; 17,5/20 Punkte, 65 Franken; terravigna.ch
- Chardonnay R 2022, Weingut Rebholz, Pfalz; 17,5/20 Punkte, 65 Franken; smithandsmith.ch
- Chardonnay 2021, Weingut Monteverro, Toskana; 17,5/20 Punkte, 95 Franken; terravigna.ch