Zu Besuch bei einem Modelabel in den 1990er Jahren, bei Pudeln mit Glitzerspangen und einem kultigen Haus am Meer: Diese Dokumentarfilme sind absolut sehenswert.
«Unzipped» (1995)
Warum sollte man Mode lieben? Hat man die Antwort auf diese Frage vergessen, sucht man sie noch für sich selbst oder will sie erst gar nicht wissen: «Unzipped» zu schauen, ist nie falsch. Manchmal ist es sogar das einzig Richtige. Der unscheinbare Dokumentarfilm ist nur etwas über eine Stunde lang und begleitet den jungen New Yorker Modedesigner Isaac Mizrahi bei der Entstehung seiner Herbst-/Winterkollektion 1995.
Die streunende Kamera des Regisseurs Douglas Keeve – damals der Freund von Mizrahi, obwohl das im Film nicht zur Sprache kommt – fängt die Mode ein für das, was sie ist, anstatt sie zu überhöhen oder sich darüber lustig zu machen. Durch sie nämlich entdeckt und formt der begeisterungsfähige Mizrahi die Welt. Der Designer hat einen Lockenkopf, einen schrulligen Sinn für Humor und einen starken Brooklyn-Akzent, und er fesselt einen sofort.
In «Unzipped» lässt er sich von sekundenlangen Filmszenen und Kunstpelz aus dem Louvre inspirieren, besucht eine graulende Eartha Kitt und nervt sich über das Bauchpiercing von Naomi Campbell. Heute verstorbene Modegrössen wie André Leon Talley und Polly Mellen geben ihren Senf mit phantastischen Wortkombinationen und Betonungen hinzu («be careful of make-up», lautet ein dringlicher Rat der Moderedaktorin Mellen). Und alles läuft auf die Show zu. Sie ist zuerst eine Drohung und dann ein Meisterwerk, das man so schnell nicht vergisst.
Dass man «Unzipped» derzeit nirgends streamen kann, ist irgendwie passend kompliziert. Stattdessen muss man entweder mit VPN vertraut sein oder ein DVD-Laufwerk besitzen, um den Film schauen zu können.
Text: Jana Schibli
«Diana Vreeland: The Eye Has to Travel» (2012)
Es muss eine Freude für alle Interviewpartnerinnen und -partner gewesen sein, Diana Vreeland zu treffen. Die stilprägende Redaktorin der Zeitschrift «Harper’s Bazaar» und Chefredaktorin der amerikanischen «Vogue» von 1963 bis 1971 lieferte perfekte Zitate: «Das Erste, was zu tun ist im Leben? Man muss in Paris geboren sein!»
Die linear erzählte Lebensgeschichte der 1989 Verstorbenen setzt sich aus O-Tönen, Fotos, Filmausschnitten und Erzählungen von Vertrauten wie Franca Sozzani (1950–2016), langjähriger Chefredaktorin der italienischen «Vogue», zusammen.
Besonders reizvoll für das heutige, minimalistisch eingerichtete Wohnungen gewohnte Publikum ist das überbordende Ambiente, mit dem sich Vreeland umgibt. Ganz in Rot gehalten ist der Raum, in dem sie Hof hält, es brennen Räucherstäbchen, in einem Stilglas stehen Zigaretten bereit, welche sicher mit dazu beigetragen haben, ihr die charakteristisch raue Stimme zu verleihen.
Mit dieser erzählt die in beste Verhältnisse Geborene auch das weniger Gute, was ihr im Leben begegnete: Ihr nicht klassisch attraktives Aussehen war immer wieder Thema, von Beginn an. Die Mutter, laut Diana eine sehr gut aussehende Frau, pflegte zu sagen: «So schade, deine Schwester ist so schön, und du, du bist so unglaublich hässlich.» Auch dank diesen ernsten Tönen bietet der Doku-Film einen reichhaltigen Einblick in das Leben einer sicher auch sehr anstrengenden, aber ungemein inspirierenden Frau.
Zu streamen auf Prime Video oder Apple TV.
Text: Malena Ruder
«Grey Gardens» (1975)
Lange genoss der Name «Little Edie» vor allem beim queeren Publikum und bei Modefans einen Kultstatus: Mit ihrem ausgefallenen Stil und einer furchtlosen Attitüde strahlt die Protagonistin im Film der Brüder Albert und David Maysles eine unnachahmliche Mischung aus Exzentrik und verblasstem Glamour aus.
«Grey Gardens» ist die biografische Momentaufnahme eines ziemlich kuriosen Paars, der greisen Edith Ewing Bouvier Beale («Big Edie») und ihrer Tochter Edith Bouvier Beale («Little Edie»), zweier exzentrischer Verwandter von Jacqueline Kennedy Onassis.
Für die Dreharbeiten besuchten die Maysles-Brüder, die bis dahin bereits mehrere beachtliche Dokumentarfilme – etwa «Gimme Shelter» (1970) über die Rolling-Stones-Tour von 1969 – vorgelegt hatten, das Mutter-Tochter-Gespann im Sommer 1973 auf ihrem Anwesen «Grey Gardens» in East Hampton, New York.
Mutter «Big Edie» und Tochter «Little Edie» Beale in «Grey Gardens».
Scheinbar unbemerkt fängt die Kamera den skurrilen Alltag der einst glamourösen Mitglieder der amerikanischen Oberschicht ein. Ihre riesige, verfallene Villa ist dabei Sinnbild für ihr Leben, das sie mittlerweile zurückgezogen im Elend, umgeben von Katzen, Waschbären und Müllbergen, führen.
Es ist ein ergreifender Blick auf die Beziehung der einstigen Sängerin und des Freigeists Big Edie und ihrer Tochter Little Edie, einer ehemaligen Debütantin, die Model und aufstrebende Schauspielerin war. Die Tante und die Cousine von Jacqueline Kennedy Onassis zogen Anfang der 1970er Jahre die Aufmerksamkeit der Medien auf sich, als die Gesundheitsbehörden das Haus wegen der unsicheren Zustände reinigen liessen.
Der Dokumentarfilm wurde rasch zu einem Kultklassiker, geliebt für die eigenartige Intimität und die starken Persönlichkeiten der Beales. Fesselnd und skurril sind die im ruhigen, körnigen Stil der 1970er Jahre eingefangenen Situationen. Vor allem Little Edie wurde durch ihre unverblümte Art und ihr poetisches Geschwafel zu einer Mode- und Queer-Ikone.
Ihre bizarren Outfits – Broschen an Kopftüchern, für die sie auch einmal Pullover zweckentfremdete, oder Röcke als Umhänge – inspirierten später namhafte Modedesigner wie Marc Jacobs, John Galliano oder Thom Browne.
«Grey Gardens» erlebte dreissig Jahre nach der Lancierung ein Revival: 2006 kam ein Broadway-Musical auf die Bühne, 2009 ein Biopic von HBO mit Jessica Lange und Drew Barrymore in den Hauptrollen. Zudem erschien 2006 der vertiefende Folgedokumentarfilm «The Beales of Grey Gardens» mit nicht verwendetem Filmmaterial des Originaldrehs.
Zu streamen auf Apple TV, Amazon Prime und Criterion.
Text: Kim Dang
«7 Days Out: Westminster Dog Show» (2018)
Hunde gehören inzwischen bekanntlich auch zum Lifestyle eines Menschen. Und so interessierte mich bei der Netflix-Serie «7 Days Out» (2018), die hinter die Kulissen verschiedener Events blickt, nicht nur, was bei einer Chanel-Show alles aufgewartet wird, sondern auch die Folge zur Westminster Kennel Club Show, der ältesten jährlich durchgeführten Hundeausstellung der Welt.
In der Doku erfährt man nicht nur etwas über deren Ablauf, sondern man lernt die Besitzerinnen und Besitzer einzelner Hunde kennen. Dazu gehört Mike Gowen, ein bodenständiger Typ aus Florida, der mit seiner Harrier-Hündin Emma («eine äusserst seltene Rasse!», «schaut euch diesen schönen Schwanz an!») zum ersten Mal an dieser renommierten Veranstaltung teilnimmt.
Ehrfürchtig erzählt er, dass er seinen Anzug für fünf Dollar im Secondhandladen gekauft habe, um vor den Richtern eine gute Figur zu machen, und es kaum glauben könne, dass ein Typ wie er nun dazugehöre, wo er doch nicht einmal sportlich sei und ihm nur wenig finanzielle Mittel zur Verfügung stünden.
Ein Jahr lang hat er sich mit seiner Frau auf seinen Auftritt in New York vorbereitet. Dazu gehört das Bürsten, Rennen, Trimmen und Koordinieren mit dem Hund. Man kann das alles für verrückt erklären, übertrieben oder auch nicht in allen Belangen artgerecht – es hat etwas Rührendes, zu erfahren, welche Motivation hinter der Teilnahme an solchen Hundeausstellungen steckt.
Man sieht die verrücktesten Pudelschuren oder glitzernde Spangen im Fell eines Yorkshireterriers, doch am Ende entscheiden der Charakter eines Hundes, sein Körper und «ob er das Zeug hat, ein Star zu sein», wie es eine Schiedsrichterin ausdrückt.
In all dem Gewimmel wird eines klar: Die Hunde und ihre Besitzer sind ein eingespieltes Team. Es sei wie bei einem gemeinsamen Tanz, bei dem es beide brauche – und der hier sehr wichtig genommen wird.
Zu streamen auf Netflix.
Text: Kerstin Netsch
«E.1027 – Eileen Gray and the House by the Sea» (2024)
Dass Eileen Gray heute als eine der einflussreichsten Künstlerinnen und Architektinnen der Moderne gefeiert wird, hat unter anderem mit einem Haus zu tun: Die irische Designerin baute es 1929 als Rückzugsort an der Côte d’Azur, zusammen mit dem Journalisten Jean Badovici. Sie tauften es auf den Namen E.1027.
Alles an der Villa E.1027 ist paradiesisch – ihre überwältigende Einfachheit und Eleganz, das mediterrane Grün, das sie umgibt, aber auch der Blick aufs Meer: Er raubt einem sogar via Bildschirm den Atem!
Doch Jean Badovici und Eileen Gray driften auseinander, und Gray zieht aus. Als schliesslich der Schweizer Architekt Le Corbusier auf das Haus aufmerksam wird, eignet er es sich kurzerhand an. Er gestaltet es ohne Grays Einwilligung um – und lässt sich auch noch dafür feiern.
Und so erzählt der Dokumentarfilm «E.1027 – Eileen Gray and the House by the Sea» der Schweizer Regisseurin Beatrice Minger die Geschichte einer Design-Pionierin, deren Licht von einem Zeitgenossen unter den Scheffel gestellt wurde. Gray – eine von vielen einflussreichen Frauen, deren Werke viel zu lange nicht gewürdigt wurden – geriet danach lange in Vergessenheit.
Damit ist jetzt Schluss. «E.1027 – Eileen Gray and the House by the Sea» stellt die Künstlerin vor, eine Frau, die ihrer Zeit voraus und sich auffällig frei in ihrer Zeit bewegte: Zu sehen ist das in nachgespielten Szenen aus Grays Leben und ihrer Gedankenwelt, die sich mit dokumentarischen Aufnahmen abwechseln. Sie sind ein Genuss: Die Architektur und das Design des magischen Hauses an der Côte d’Azur werden Sie überwältigen, versprochen.
Zu streamen auf cinu.ch, Filmingo und Apple TV.
Text: Christina Duss