Steven Wood, Gründer der New Yorker Investmentgesellschaft GreenWood Investors und Kandidat für den Verwaltungsrat von Swatch Group, sagt im Interview, was der Schweizer Uhrenkonzern besser machen müsste, um wieder zu glänzen.
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Swatch Group ist an den Finanzmärkten seit Jahren eine Enttäuschung. Die Performance des Schweizer Uhrenkonzerns kann sich nicht annähernd mit der von Konkurrenten wie Richemont oder LVMH messen. Der CEO der Gruppe, Nick Hayek, kritisiert Investoren und Analysten oft, sie würden nur kurzfristig denken und Swatch Group nicht verstehen. Der Pool der Familien Hayek und Ammann besitzt zwar nur rund 25% des Kapitals, übt über die duale Struktur von Namen- und Inhaberaktien aber mit einem Stimmengewicht von gut 44% weitgehend die Kontrolle über Swatch Group aus.
Doch jetzt versucht ein amerikanischer Investor, Swatch Group an der Spitze aufzumischen. Steven Wood, Gründer der New Yorker Value-Boutique GreenWood Investors, möchte sich an der Generalversammlung vom 21. Mai als Vertreter der Inhaberaktionäre in den Verwaltungsrat wählen lassen. Das von Nayla Hayek präsidierte Gremium empfiehlt die Wahl jedoch nicht – unter anderem mit dem Argument, dass Wood kein Schweizer sei und er als Mitglied des Verwaltungsrats des italienischen Rüstungskonzerns Leonardo ein Reputationsrisiko darstelle.
In seinem ersten öffentlichen Interview zum Thema Swatch Group sagt Wood, woran der Uhrenkonzern seiner Meinung nach krankt, was er von Hayek hält, was er ändern und was er in den Verwaltungsrat bringen würde.
Herr Wood, was sehen Sie in Swatch Group?
Ich sehe ein Unternehmen mit unglaublich viel Potenzial. Swatch Group besitzt eine Reihe zeitloser Marken, und ich sehe die Chance, dass diese Marken eine neue Generation von Kunden zurückgewinnen und wieder ihren rechtmässigen Platz in der Luxusgüterbranche einnehmen. Ich habe mit mehr als dreissig Spezialisten aus der Branche gesprochen, sowohl ehemaligen Führungskräften von Swatch Group als auch solchen von Konkurrenten wie LVMH oder Richemont, und alle bestätigen meine Einschätzung. Während Nick Hayek, der CEO von Swatch Group, einen hervorragenden Job beim Aufbau von Einstiegsmarken wie Tissot und Swatch gemacht hat, besteht bei den Premiummarken noch viel Verbesserungsbedarf. Das Unternehmen hat die richtigen Produkte, leidet jedoch unter einer geschlossenen Kultur und verpassten Chancen in der Umsetzung. Es sollte sich öffnen für neue Führungskräfte mit frischen Ideen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Breguet, meine Lieblingsmarke, feiert dieses Jahr ihr 250-Jahre-Jubiläum. Als Vacheron Constantin vor zwanzig Jahren dasselbe Jubiläum feierte, lancierte die Marke ein regelrechtes Feuerwerk von Spezialeditionen. Breguet hingegen hat für ihr Jubiläum nur gerade ein nahezu identisches Classique-Modell vorgestellt, das war’s. Man könnte so viel mehr tun, das ist eine verpasste Chance. Auch Breitling liefert ein gutes Beispiel, wie man es macht. Bevor ein neues Produkt oder Design eingeführt wird, lässt Breitling es von einem rund dreissigköpfigen Panel von Branchenführern begutachten. Auf diese Weise binden sie die klügsten Köpfe und wichtigsten Meinungsführer der Branche ein und begeistern sie für die neuen Produkte. Ich weiss nicht, weshalb sich die verschlossene Kultur bei Swatch Group entwickelt hat, aber ich weiss, dass sie sehr anders ist als das, was der Gründer Nicolas Hayek Sr. vorgelebt hat.
Nach mehreren Jahren enttäuschender Performance haben die Kapitalmärkte das Vertrauen in Swatch Group verloren. Was ist passiert?
Ich denke, es liegt an dieser verschlossenen Kultur. Ich habe Nick Hayek persönlich getroffen und ihn ermutigt, sich zu öffnen und transparenter zu werden. Je mehr Investoren direkt von ihm hören und je mehr Transparenz die Gruppe zeigt, desto mehr Vertrauen wird aufgebaut. Wenn Marktteilnehmer keine Informationen erhalten, gehen sie immer vom schlimmsten Fall aus. Selbst die Mitarbeitenden von Swatch Group fordern mehr Transparenz – es ist also nicht nur der Markt.
Ist Swatch Group an der Börse heute unterbewertet?
Ja. Die Bewertung von Swatch Group ist irrsinnig tief. Das ist eine einmalige Gelegenheit für Investoren. Wir haben die Geschichte der Aktienkurse von Luxusgüterunternehmen in den letzten vierzig Jahren untersucht: Nur in 2% der Zeit handelten diese Aktien unter ihrem Buchwert. Heute werden die Aktien von Swatch Group zur Hälfte ihres Buchwertes gehandelt. Selbst wenn man den Marken und laufenden Geschäften keinen Wert beimisst und das Unternehmen liquidieren würde – was natürlich nicht unser Ziel ist –, würde man immer noch sein Geld verdoppeln. Solche Gelegenheiten gibt es im Luxusbereich nur einmal im Leben.
Wie gross ist Ihre derzeitige Beteiligung?
Wir vertreten 0,5% der Aktien. Wir verwalten als Asset Manager 150 Mio. $, und Swatch Group ist unsere grösste Position – sie macht über ein Viertel unseres Portfolios aus. Wir wollen mehr kaufen und versuchen, weitere Kapitalquellen anzuzapfen, um unsere Position auszubauen. Wir möchten so viel Kapital wie möglich zu den aktuellen Preisen in Swatch Group investieren.
Was sollte Ihrer Ansicht nach getan werden, damit Swatch Group wieder glänzt?
Ich sehe mehrere kleinere Anpassungen in der Strategie. Erstens sollte man die Prestige-Marken stärken, womit ich primär Breguet, Blancpain und Harry Winston meine. Vor allem Breguet. Es braucht Investitionen in erstklassige Kundenerlebnisse und personalisierte Programme in grossem Stil, die Knappheit und Exklusivität betonen. Genau das machen Wettbewerber wie Richemont und LVMH sehr gut. Der Markt für Luxusgüter ist extrem kompetitiv. Ein Zeichen dafür, dass Swatch Group Probleme hat, ist, dass sie personelle Schlüsselpositionen in ihren Luxusmarken nicht besetzen kann. Viele gute Leute aus der Branche lehnen solche Positionen derzeit ab, wären aber bereit, sie anzunehmen, wenn sich an der Unternehmensspitze etwas ändern würde.
Immer wenn Analysten Swatch Group mit LVMH vergleichen, entgegnet Nick Hayek, er führe ein Industrie- und kein Luxusunternehmen. Sie hingegen meinen, die Premiummarken würden unter Wert verkauft?
Absolut. Nick Hayek sieht Swatch Group eindeutig als Industrieunternehmen, und für die Einstiegsmarken ist das auch richtig – hier hat er hervorragende Arbeit geleistet. Das ist ein industrialisiertes Geschäft. Das Problem ist: Der Markt für Uhren im Segment unter 3000 Franken ist in den letzten zwanzig Jahren nicht gewachsen, sondern jährlich um 1,3% geschrumpft. Das Hochpreissegment hingegen, Uhren über 3000 Franken, ist um 6,5% pro Jahr gewachsen. Dort sollte der Fokus liegen. Es wirkt fast so, als ob die Gruppe an den Luxusmarken nicht interessiert wäre. Nick Hayeks Aussage betrachtet die Welt nicht aus der Perspektive von Harry Winston. Wenn man einem Manager von Harry Winston sagen würde, er arbeite in einem Industrieunternehmen, wäre er bestimmt nicht einverstanden.
Genaue Zahlen sind nicht bekannt, aber Breguet erzielt wahrscheinlich etwas mehr als 200 Mio. Fr. Umsatz pro Jahr. Könnte Breguet eine Milliardenmarke werden?
Ja. Inoffiziell hat LVMH Berichten zufolge einmal 4 Mrd. $ für die Marke geboten. Bernard Arnault, der Chef von LVMH, sagt damit selbst, dass Breguet ein Umsatzpotenzial von über einer Milliarde Dollar hat. Manche Schätzungen gehen sogar von 3 bis 4 Mrd. $ aus, das halte ich jedoch für übertrieben. Aber Breguet sollte auf jeden Fall wieder in einer Liga mit Rolex und Patek Philippe spielen. Schauen Sie nur auf die 250-jährige Geschichte der Marke: Kaiser, Könige, Königinnen und Staatsoberhäupter trugen Breguet. Luxus lebt von solchen Geschichten. Und aus finanzieller Sicht: Wenn Breguet wächst, liegen die Gewinnmargen nicht bei 20%, wie von Swatch Group auf Gruppenebene angestrebt, sondern bei über 50%.
Ist es eine gute Strategie, Marken wie Blancpain und Omega mit Swatch zu kombinieren und als Plastikuhren zu verkaufen?
Das ist ein umstrittenes Thema. Ich habe mit vielen Branchenspezialisten darüber gesprochen. Einige halten es für genial, andere für töricht, da es die Premiummarken verwässern könnte. Meiner Meinung nach ist es eher genial. Dadurch werden diese Marken der Generation Z nähergebracht, also einer Kundengruppe, die heute niemals 30’000 $ für eine Uhr ausgeben würde. Ich halte es für brillant. Gemäss Nick Hayek haben bereits andere Uhrenmarken angefragt, ob auch sie eine solche Kooperation mit Swatch eingehen könnten. Wichtig ist aber, dass solche Produkte nicht dauerhaft im Sortiment bleiben. Es muss limitiert und exklusiv bleiben.
Was sollte Swatch Group sonst noch tun, um sich zu verbessern?
Eine dringend notwendige Massnahme wäre die Anstellung einer unternehmerisch denkenden Person für Investor Relations, die dem Management hilft, sich stärker auf das operative Geschäft zu konzentrieren. Ausserdem sehe ich grosses Potenzial im Technologie-Know-how der Gruppe – beispielsweise durch das Integrieren von Sensorik in austauschbare Armbänder.
Wenn Nick Hayek mit Kritik von Investoren konfrontiert wird, beklagt er oft, diese wollten nur, dass er Kosten senke und Personal entlasse. Er lehnt das strikt ab.
Und da stimme ich ihm vollkommen zu. Ich denke nicht, dass er Personal abbauen sollte. Der richtige Weg ist Wachstum. Man kann sich nicht zu Wachstum schrumpfen. Mein Vorschlag ist, in den Segmenten zu wachsen, die am Markt den stärksten Rückenwind haben: die Luxusmarken. Wenn man in den oberen Segmenten wächst, schafft man Resilienz für die gesamte Gruppe, da man dort Preissetzungsmacht hat und dadurch Inflation und den starken Franken, der für die Uhrenmarken der niederen Segmente eine grosse Belastung ist, besser abfedern kann.
Haben Sie Nick Hayek persönlich getroffen?
Ja. Er ist sehr höflich und zuvorkommend. Das macht mich optimistisch, dass wir eine gute Arbeitsbeziehung aufbauen könnten.
Sie kandidieren, um den Inhaberaktionären im Verwaltungsrat von Swatch Group eine Stimme zu geben. Der VR empfiehlt jedoch, gegen Sie zu stimmen, unter anderem mit dem Argument, Sie seien dem Gremium nicht bekannt. Wie sehen Sie diese Kritik?
Ich frage mich, wer genau diese Aussage gemacht hat. Ich habe nicht alle Verwaltungsräte persönlich getroffen – bei einigen stimmt diese Aussage also, bei anderen nicht. Ich habe persönlich Kontakt zu Nayla Hayek, der Verwaltungsratspräsidentin, aufgenommen, und sie hat sich bei mir bedankt. Aber ganz ehrlich: Ich verstehe die defensive Haltung. Als ich zum portugiesischen Logistikunternehmen CTT Correios de Portugal kam, stiess ich dort zunächst auch auf grosse Skepsis. Der Finanzchef der Gruppe sagte mir später, er habe nicht gewusst, ob er mir vertrauen könne. Das hängt auch am zweifelhaften Ruf, den viele Investoren aus meinem Metier haben. Viele sind sehr kurzfristig orientiert und sind nicht an einem langfristigen Engagement interessiert. Aber mit der Zeit sah der Finanzchef von CTT ein, dass wir keine kurzfristig orientierten Aktivisten sind. Wir sind konstruktive Investoren. Heute ist der Finanzchef von CTT einer meiner engsten Verbündeten.
Was würden Sie dem VR von Swatch Group bringen?
Frische Perspektiven. Es klingt einfach, ist aber entscheidend. Ein guter Verwaltungsrat lebt von Debatten und neuen Ideen. CEOs profitieren von konstruktivem Widerspruch. Studien zeigen: Über 80% neuer Ideen entstehen durch Verknüpfung unterschiedlicher Perspektiven. Ich habe Nick Hayek gesagt: Mein Prinzip ist es, die Ideenvielfalt zu erweitern. Ich werde immer freundlich und kollegial agieren, niemals destruktiv. Das habe ich ihm zugesichert.
Eine weitere Kritik des Verwaltungsrats ist, dass Sie kein Schweizer sind und Ihr Engagement im Verwaltungsrat des italienischen Rüstungskonzerns Leonardo für Swatch Group ein Reputationsproblem darstelle.
Mehr als 90% des Umsatzes von Swatch Group wird ausserhalb der Schweiz erwirtschaftet. Eine Perspektive von ausserhalb der Schweiz ist daher durchaus nützlich. Der schweizerische Corporate-Governance-Kodex fordert Diversität im Verwaltungsrat. Das ist also keineswegs unüblich. Und was Leonardo betrifft: Die Schweiz ist ein wichtiger Kunde von Leonardo, das Unternehmen beschäftigt etwa 300 Mitarbeiter in der Schweiz. Leonardo hilft Europa, sich zu verteidigen – das ist dringend notwendig. Interessanterweise bestehen durchaus einige Parallelen zwischen Leonardo und Swatch Group: 85% der Einnahmen des Konzerns stammen von ausserhalb Italiens. Früher bestand der Leonardo-Verwaltungsrat ausschliesslich aus Italienern. Heute sagen mir die Italiener im Verwaltungsrat persönlich, dass sie den externen Blickwinkel sehr schätzen, den ich einbringe.
Sie schlagen vor, als Vertreter der Inhaberaktionäre im Aufsichtsgremium zu agieren. Der VR von Swatch Group entgegnet jedoch, Jean-Pierre Roth, der ehemalige Präsident der Schweizerischen Nationalbank, sei bereits Vertreter der Inhaberaktionäre.
Die Inhaberaktionäre von Swatch Group hatten nie die Möglichkeit, ihren Vertreter selbst zu wählen – dabei garantiert das Schweizerische Obligationenrecht genau dieses Wahlrecht, bestätigt durch zwei Bundesgerichtsentscheide. Ich halte sehr viel von Jean-Pierre Roth und habe deshalb gegenüber Nayla und Nick Hayek klar kommuniziert, dass ich Roth nicht ersetzen möchte. Ich schlage einen zusätzlichen Sitz im VR vor. Jeder einzelne Investor, mit dem ich gesprochen habe, sowie alle Stimmrechtsberater und Experten, sagen klar: Die Inhaberaktionäre haben das Recht auf eine eigene Wahl ihres Vertreters. Ich habe mit Investoren gesprochen, die insgesamt fast 10% aller Inhaberaktien besitzen, und sie unterstützen unser Vorgehen einstimmig. Ich hoffe sehr, dass Swatch Group das Schweizer Recht respektieren wird.
Und wenn nicht?
Dann muss die Gruppe die rechtlichen Konsequenzen bedenken. Das wünsche ich ihr nicht. Als Mitglieder in Verwaltungsräten mehrerer Unternehmen in diversen Ländern legen wir grössten Wert darauf, nicht nur die Gesetze einzuhalten, sondern darüber hinauszugehen. Es wäre ein Reputationsschaden für Swatch Group, das Schweizer Recht zu umgehen. Noch einmal: Wir sind keine Aktivisten. Wir sind konstruktive Investoren. Wir kommen in Frieden.
Viele Investoren, ob aktivistisch oder nicht, haben schon versucht, Swatch Group zu verändern. Alle sind gescheitert. Was tun Sie, wenn Ihre Argumente nicht ankommen?
Wir werden nicht aufgeben. Wir sind langfristig engagiert. Auch bei Leonardo hiess es zunächst, es sei aussichtslos, Einfluss zu nehmen. Der italienische Staat, der 30% der Aktien besitzt, lasse keine Stimmen von aussen zu. Doch nachdem die Vertreter der italienischen Regierung mich persönlich kennengelernt hatten, sahen sie, dass ich dem Unternehmen über einen Sitz im VR echten Mehrwert bringen konnte. Wer will nicht, dass aus seinem Unternehmen das Beste wird, was es sein kann? Ich hoffe, dass die Familie Hayek erkennt: Sie bietet grosse Stabilität und Nachhaltigkeit für die Zukunft von Swatch Group. Aber, wie alle erfolgreichen Luxuskonzerne zeigen, die Familie kann es nicht allein schaffen. Ich habe mit vielen ehemaligen Führungskräften von Swatch Group gesprochen, und sie alle wünschen sich mehr externe Unterstützung für die Familie. Ein Verwaltungsrat soll die Aktionäre vertreten. 75% des Kapitals von Swatch Group liegen nicht in den Händen der Familie. Ich finde, diese Aktionäre verdienen endlich eine Stimme.
Steven Wood