Der ehemalige Radiopirat ist mit Radio Grischa auf Sendung. Aber nur mit Musik im Internet, mehr geht derzeit nicht. Doch der Zürcher ist nach wie vor überzeugt, dass der Bergkanton ihn braucht.
So schlecht ist es Roger Schawinski selten gegangen in seinem fast 80 Jahre langen Leben. Seine Ehefrau hat sich schon Sorgen gemacht. Die schlimmsten drei Monate in ihrer gemeinsamen Zeit seien das gewesen, habe sie ihm kürzlich gesagt. Der Grund für die «Fast-Depression»: die Niederlage gegen das Medienhaus Somedia – gegen den Kanton Graubünden, ist man fast versucht zu sagen. So zumindest scheint es sich für Roger Schawinski anzufühlen.
Im Januar hat ihm das Bundesverwaltungsgericht die Konzession für sein geplantes Radio in Graubünden, Glarus und im St. Galler Oberland wieder entzogen. Und damit drei Millionen Franken Subventionen pro Jahr. Wegen einer laut dem Gericht angeblich knapp überschrittenen Minimalquote von ausgebildeten Journalisten gegenüber Praktikanten. Schawinski hatte gemäss eigenen Angaben schon fast eine Million Franken investiert.
Hinter der Klage steht die Somedia, welche die Konzession in den letzten Jahrzehnten innehatte. Als Schawinski und sein Partner Stefan Bühler antraten, das «Medienmonopol der Somedia aufzubrechen», wie sie gerne sagen, fuhren die Kinder des erkrankten Hanspeter Lebrument alles auf, was sie haben: Klagen, Medienberichte, Lobbying. Dabei hatten sie einen grossen Teil des Bündner Establishments im Rücken: Das Bistum Chur, die Kantonalbank und auch der Gastroverband sprachen sich beim Bund für Somedia aus.
Schawinski und Bühler reagierten. In den Zürcher Medienhäusern werden sie gehört. Auch die NZZ berichtet regelmässig über den Konflikt. In Graubünden wirft Schawinski der Somedia vor, eine öffentliche Diskussion mittels ihrer Medienmacht verhindert zu haben. Wer viele Kämpfe führt, eignet sich vielleicht aber auch ein Freund-Feind-Denken an. Und da wird jeder, der nicht für einen ist, zum Gegner.
Lokalchauvinismus im Bündnerland?
Was er im Moment erlebe, sei «mieser Lokalchauvinismus», klagt Schawinski. Er sei mittels einer in Bern eingereichten Petition mit dem Namen «Radio Südostschweiz, ds Radio vu do blibt do» verunglimpft worden als Zürcher, der in Graubünden nichts verloren habe. Im Gespräch korrigiert sich Schawinski einmal, als ihm ein «Bündnerland» rausrutscht. Das sagen nur die Unterländer. Doch er betont immer wieder, seine Vorfahren seien schon vor dem Ersten Weltkrieg nach Chur gekommen, lange bevor es den St. Galler Hanspeter Lebrument in die Gegend verschlagen habe. Das harte K des Churer Dialekts fehlt beiden.
Dafür darf Roger Schawinski seinen Sender Radio Grischa nennen. Er hat den Markenstreit gegen die Somedia vorerst gewonnen, das Eidgenössische Institut für Geistiges Eigentum hat den Markenschutz gelöscht. Am 2. April ist Schawinski mit einem Stream auf Sendung gegangen, allerdings nur mit Musik im Testbetrieb. Dennoch ist es ein kleiner Sieg mit Signalwirkung. Radio Grischa kannte in Graubünden früher jedes Kind. So hiess das Radio der Somedia, bevor die Lebruments es umtauften auf Radio Südostschweiz (RSO), aus Rücksicht auf Glarus und St. Gallen. Politisch ist das korrekt, emotional tönt das eher nach Geografieunterricht als nach Heimatgefühl.
Für Schawinski ist dieser Name einer von vielen Beweisen dafür, dass die Lebruments «es einfach nicht gut machen». Sie hätten «null Respekt vor den Bedürfnissen der Bevölkerung». Das zeige sich auch in der Zeitung. Früher sei das eine aufmüpfige Regionalzeitung gewesen. «Jetzt nicht mehr.» Vor kurzem hätten die Lebruments eine zweiköpfige Chefredaktion aus Ostfriesland eingeflogen. Die «Bündner Chefs» (einer von ihnen ursprünglich ein St. Galler) habe man «brutal entsorgt!». Daher brauche es jetzt ein «unabhängiges» Radio Grischa. Die Journalisten habe er schon: «Alles Bündner, Superleute, die warten, bis es endlich losgeht.» Die könnten wohl einiges von ihm lernen, ist er überzeugt. Er, der unter anderem den «Kassensturz», Radio 24 und Tele Züri gegründet hat, sei ja der Journalist, der am meisten in den elektronischen Medien tätige Journalisten in der Schweiz ausgebildet habe.
Dieses Selbstbewusstsein braucht man wohl, wenn man «Monopole brechen» will. Doch wenn man Schawinski fragt, was denn publizistisch so schlecht laufe in Graubünden, fällt ihm nur das Baukartell ein, das angeblich von Zürcher Medien aufgedeckt wurde. Nur: Das ist ein Irrtum. Die «Südostschweiz» von Somedia hatte als erste Zeitung darüber berichtet. Die «NZZ am Sonntag», die «Aargauer Zeitung» und die «Republik» stiegen später kurz vor den Bündner Regierungswahlen ein, Letztgenannte mit deutlich mehr Pomp.
Schawinskis Partner Stefan Bühler kennt als ehemaliger Chefredaktor der «Bündner Zeitung» und Herausgeber des «Churer Magazins» die mediale Lage am Fusse des Calanda. Doch auch er sagt kaum Konkretes über den Bündner Journalismus. Stattdessen kommt er auf das Unternehmerische zu sprechen, also die «marktbeherrschende Stellung» der Somedia, welche die Wettbewerbskommission bereits 2013 moniert hat. In einem Schreiben vom 3. Februar 2025 spricht die Wettbewerbskommission erneut von «Hinweisen», wonach sich «gewisse Verhaltensweisen» von Somedia im Bereich der Radio- und TV-Werbung als «kartellrechtlich problematisch erweisen könnten».
Das Medienhaus betreibt neben dem Radio einen TV-Sender, der neben den 2,8 Millionen Franken für das Radio weitere 4, 4 Millionen Franken weitere Subventionen einbringt. Hinzu kommen die «Südostschweiz», das «Bündner Tagblatt» und kleine Regionalblätter wie die «Quotidiana» oder die «Linth-Zeitung».
Bündner zufrieden mit Medien
Wenn man sich in Graubünden umhört, scheint die Unzufriedenheit mit den lokalen Medien allerdings nicht grösser zu sein als anderswo. Nur Magdalena Martullo-Blocher, im Kanton Zürich wohnhafte Bündner Nationalrätin, ging auf Frontalkollision. Ihre Ems-Chemie warf ihrem Geschäftspartner Somedia in einem Schreiben an den Bund vor, «unliebsame Themen» unzureichend abzuhandeln und «polemische Berichterstattung gegen Andersdenkende» zu betreiben. Martullo-Blocher hat gemäss Medienberichten öfters versucht, Einfluss auf die Somedia-Redaktion zu nehmen.
Bündner Politiker dagegen wollen sich nicht zum Konflikt äussern. Lieber sprechen sie über die Bedeutung des Journalismus für die Meinungsfreiheit. Maurizio Michael, FDP-Präsident und im Bergell daheim, nervt sich zwar schon hin und wieder über Somedia-Beiträge, die ihn politisch unausgewogen dünken. Das sei aber normal und ein Zeichen dafür, dass die Redaktionen unabhängig seien – die Verlegerin Susanne Lebrument ist Freisinnige und hat für den Nationalrat kandidiert.
Martin Candinas, Mitte-Nationalrat aus der Surselva, zeigt sich froh über die verhältnismässig hohe Medienvielfalt in Zeiten des Mediensterbens: «Wir können zufrieden sein, dass wir in Graubünden noch ein eigenständiges Medienhaus haben und nicht wie viele andere Kantone aus den Zentralen in den Kantonen Zürich oder Aargau beliefert werden.» Dank der Dreisprachigkeit profitiere man mit RTR, RSI und «Regionaljournal Ostschweiz» ausserdem gleich dreifach vom umfassenden Angebot der SRG.
Es ist ein Argument, das auch die Somedia-Verlegerin Susanne Lebrument gerne bringt. «Wir sind ein starkes Medienunternehmen und fördern die journalistische Unabhängigkeit und die Meinungsvielfalt», sagt sie der NZZ. Zum Schreiben der Weko nimmt sie keine Stellung. Lebrument gilt als nahbar, sie ist viel im Kanton unterwegs und kennt jeden.
Die Vorwürfe gegenüber der deutschen Chefredaktion lässt sie nicht gelten. Diese habe grosse Erfahrung in der Transformation und erarbeite sich jetzt ein Netzwerk in der Region. Sie habe niemanden aus der vorherigen Chefredaktion entlassen, geschweige denn entsorgt. Dann holt Lebrument zum Gegenschlag aus: Schawinski sei nicht so erfolgreich, wie er sich gerne gebe. Radio 1 mache Defizite und Schawinski könnte die Subvention sicher gut gebrauchen, sagt Lebrument. Sie glaubt, dass er einen alten Machtkampf weiterführt, den er mit ihrem Vater hatte – obwohl die Geschicke des Unternehmens längst in den Händen seiner Kinder liegen.
Zwei pickelharte Alphatiere
Schon im Jahr 2007 hatte Schawinski erfolglos versucht, Hanspeter Lebrument in dessen Subventionsgebiet zu besiegen. In der Medienbranche hiess es, die beiden Männer hätten Krieg. Schawinski winkt ab. «Wir waren beide kreative Unternehmer. Alphatiere. Jeder hat seine Interessen pickelhart verteidigt.» Ausserdem seien die Vorwürfe bezüglich eines Defizits «falsch», sagt Schawinski. «Seit vielen Jahren ist die Radio 1 AG nicht in den roten Zahlen – und dies ohne einen einzigen Subventionsfranken.»
Schawinski ist es gewohnt, dass er für seinen Journalismus kämpfen muss, und kokettiert ein wenig damit, dass die Mächtigen das nicht gerne sehen. Mit dem Piratensender Radio 24 sendete er 1979 vom italienischen Pizzo Groppera in die von der SRG beherrschte Schweiz. Mit Tele Züri gründete er das erste Privatfernsehen. Der Golfklub Dolder wollte ihn nie als Mitglied, und in seinem Buch schrieb er vor ein paar Jahren, ihm sei nie ein Verwaltungsratsmandat oder der Eintritt in einen Service-Klub angeboten worden. «Einerseits hatte ich kein Network, anderseits blieb ich immer unabhängig. Das war mir viel wichtiger», sagt er heute.
Alles nicht so schlimm wie die Niederlage im Bergkanton: «Man kann verlieren», sagt Schawinski, «aber nicht auf diese Art.» Nicht wegen einer «vorgeschobenen» Lappalie vor Gericht. Dennoch geht es Schawinski seit ein paar Tagen wieder besser. Bühler und er wollen die Konzession zurückgewinnen und haben ein Revisionsgesuch beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht. Ein Weg, der selten eingeschlagen wird. Schawinski kann daher nicht einschätzen, wie gross seine Chancen sind. Aufgeben will er nicht. In ein paar Monaten wird er 80 Jahre alt. Dieses «besonders hässliche regionale Monopol» möchte er am Schluss seiner Karriere noch brechen. «Das wäre in einem ganzen Landesteil wichtig für die Meinungsvielfalt.» Auch Susanne Lebrument gibt nicht auf. Sie prüft einen Weiterzug des Markenstreits um Radio Grischa vor das Bundesverwaltungsgericht.