Auch in drei Regionen in Westdeutschland haben die etablierten Kräfte nur eine knappe Mehrheit.
Während der Debatte um eine härte Gangart in der Migrationspolitik fiel im Bundestag immer wieder ein Wort: «Mitte». Gemeint haben sich Union, SPD, Grüne und FDP damit selbst, nicht mitgemeint waren die AfD, das BSW und mitunter auch die Linke.
Der Anspruch der Mitte ist es, im Parlament mit eigenen Mehrheiten zu arbeiten. Als der Kompromiss in der Migrationspolitik misslang und ein Unions-Antrag nur dank Stimmen der AfD angenommen wurde, bedauerte Friedrich Merz, dass es keine anderen Mehrheiten als die der «demokratischen Mitte des Parlaments» gegeben habe.
Im Bundestag verfügt die Mitte über eine Mehrheit, sie war nur unwillig, sie zu nutzen. In immer mehr Wahlkreisen würde es dafür nicht einmal rechnerisch reichen, wie eine Auswertung des vorläufigen Ergebnisses zeigt. Die Bundestagswahl hat die Erosion der Mitte weiter vorangetrieben.
In 50 von 299 Wahlkreisen haben Union, SPD, Grüne und FDP zusammen weniger als 50 Prozent der Stimmen geholt. Bei der vergangenen Bundestagswahl im Jahr 2021 kam das nur zweimal vor.
Tiefstwert im Jahr 2025: Im Wahlkreis Suhl holten die Mitteparteien zusammen lediglich 30 Prozent der Stimmen. Dort befindet sich auch der Ort Sonneberg, wo es mit Robert Sesselmann den ersten AfD-Landrat gibt.
Die Erosion der Mitte begann 2021 in Görlitz im Osten von Sachsen, als die Ränder zum ersten Mal die Mitte überholten. In Görlitz holte die AfD jetzt mit 46,7 Prozent ihr bestes Zweitstimmenergebnis bundesweit. Und die Mitte? Kam nur noch auf 32 Prozent. In Ostdeutschland ist die AfD vielerorts Volkspartei.
Alle Wahlkreise ohne Mittemehrheit liegen im Osten. Der Grund: Neben AfD und BSW erzielt dort auch die Linke bessere Ergebnisse als im Westen.
Auch im Westen schwinden die Mehrheiten
Eine Bastion der Mitte bleiben das Münsterland und München mit Stimmenanteilen von 75 Prozent. Aber selbst in den westdeutschen Bundesländern brachen in vielen Wahlkreisen Mehrheiten von ehemals 70 bis 90 Prozent ein. In Niederbayern rund um Deggendorf, im Ruhrgebiet oder in der Pfalz schafft die Mitte es nur noch knapp über die 50-Prozent-Marke. Erstmals wurde die AfD bei dieser Bundestagswahl in zwei westdeutschen Wahlkreisen (Gelsenkirchen und Kaiserslautern) stärkste Kraft.
Bundesweit haben Union, SPD, Grüne und FDP bei der Wahl einen Stimmenanteil von knapp 61 Prozent erzielt. So tief lag er noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Diese Entwicklung hält schon mehrere Jahre an und hat sich seit der Gründung der AfD beschleunigt.
Angetrieben wurde der Trend weg von der Mitte und hin zu den Rändern bei dieser Bundestagswahl von den Jungwählern. Bei den unter 25-Jährigen landeten Linke und AfD auf den ersten beiden Plätzen, Grüne und FDP stürzten ab.
Ihre besten Ergebnisse hat die Mitte bei älteren Wählern, bei denen die klassische Parteienbindung noch stärker ist.
Union, SPD, Grüne und FDP haben Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in unterschiedlichen Konstellationen regiert und die politische Landschaft dominiert. Auch die nächste Bundesregierung dürfte aus diesen Parteien bestehen. Da BSW und FDP nicht im Bundestag vertreten sind, würde es für eine Zweierkoalition aus Union und SPD reichen.
Als die sogenannte grosse Koalition unter Angela Merkel die Regierung stellte, mussten Sonderregelungen beschlossen werden, damit die Opposition im Bundestag überhaupt Untersuchungsausschüsse einsetzen konnte. So gross war die Dominanz von Schwarz und Rot. Jetzt haben beide Parteien nur eine Mehrheit, weil das BSW den Einzug in den Bundestag verpasste – um 13 435 Stimmen.