Im Herbst kam es zu einem plötzlichen Druckabfall in der Gaspipeline Balticconnector zwischen Finnland und Estland. Die Behörden vermuteten Sabotage. Laut China soll es sich um einen Unfall gehandelt haben.
Eine beschädigte Gaspipeline in den Tiefen der Ostsee: Die Nachricht über das Leck im Balticconnector klang wie ein Déjà-vu. Die Gasleitung zwischen Finnland und Estland wurde im letzten Oktober beschädigt, auch parallel verlaufende Datenkabel wurden in Mitleidenschaft gezogen. Nur ein Jahr zuvor waren die Nord-Stream-Pipelines von einer unbekannten Täterschaft mutwillig gesprengt worden. Auch beim Balticconnector vermuteten die finnischen Behörden schnell Sabotage.
Ein erster Verdacht richtet sich gegen Russland, doch dann taucht auf dem Radar der Ermittler ein chinesisches Frachtschiff auf. Der unter der Flagge von Hongkong operierende Frachter «Newnew Polar Bear» ist unterwegs von Kaliningrad nach Sankt Petersburg und befindet sich am Ort des Lecks, als die Pipeline beschädigt wird. Die Untersuchungen der finnischen Polizei ergeben, dass der Schaden durch eine mechanische Kraft verursacht wurde. Auf dem Meeresgrund stellen die Ermittler Schleifspuren fest, in der Nähe des Lecks bergen sie einen Anker.
Das chinesische Schiff, die Spuren und der Anker: Für die Behörden ist schnell klar, dass es sich nicht um einen Zufall handeln kann. Mehrere Versuche, mit der «Newnew Polar Bear» Kontakt aufzunehmen, bleiben jedoch erfolglos. Die finnischen und estnischen Ermittler bitten China um Hilfe. Wie die Zeitung «South China Morning Post» am Montag berichtet hat, sollen chinesische Behörden in einer internen Untersuchung zu dem Schluss gekommen sein, dass der Frachter für das Gasleck verantwortlich ist. Es soll sich um einen Unfall gehandelt haben, der sich während eines heftigen Sturms ereignet hat.
Wer kommt für den Schaden auf?
In Helsinki und Tallinn erfuhr man vom Ergebnis der chinesischen Untersuchung aus der Zeitung. China hat bis heute nicht auf das Rechtshilfeersuchen der estnischen und finnischen Behörden reagiert. Eine Sprecherin der estnischen Staatsanwaltschaft sagte zur «South China Morning Post», dass man darum gebeten habe, Beweise vom Schiff und seiner Besetzung zu sammeln. In Strafverfahren können nur Dokumente verwendet werden, die durch ein offizielles Rechtshilfeersuchen erlangt wurden.
Auf finnischer und estnischer Seite laufen die Ermittlungen noch. Das Strafverfahren soll auch die Frage klären, wer für die Reparaturkosten der beschädigten Infrastruktur aufkommen muss. Der estnische Verteidigungsminister Hanno Pevkur hat Zweifel an der Erklärung der Chinesen bekundet. Gegenüber dem Sender ERR sagte er: «Es ist für mich sehr schwer, zu verstehen, wie ein Kapitän so lange nicht bemerkt haben soll, dass sein Anker auf dem Meeresboden schleifte.»
Man müsse die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft abwarten, sagte Pevkur. Es sei jedoch nicht zu erwarten, dass Peking seine Position ändern werde. «Wenn China weiterhin behauptet, es habe sich um einen Unfall gehandelt, wird es vermutlich auch an seiner Haltung festhalten, dass es nichts zu kompensieren habe.»
Die finnische Aussenministerin Elina Valtonen wollte sich gegenüber den Medien nicht zur laufenden Untersuchung äussern. Finnland kooperiere mit China, und die Länder tauschten ständig Informationen aus, liess sie über einen Mitarbeiter ausrichten.
Unterwegs auf der Neuen Seidenstrasse
Die «Newnew Polar Bear» gehört laut Recherchen der finnischen Zeitung «Helsingin Sanomat» der Reederei Hainan Yangpu Shuojia International (Hysi). Das Schifffahrtsunternehmen befindet sich im Besitz zweier chinesischer Männer, die geschäftliche Verbindungen nach Russland haben. Gemeinsam mit dem chinesisch-russischen Logistikunternehmen Torgmoll startete Hysi im Sommer 2023 einen regelmässigen Frachtverkehr von Sankt Petersburg nach Schanghai. Die «Newnew Polar Bear» eröffnete die Route im Juli und befand sich auf dem Rückweg, als ihr Anker im Oktober den Balticconnector touchierte.
Die Verbindung zwischen Schanghai und Sankt Petersburg ist Teil der Neuen Seidenstrasse, eines Projekts, das für China neue Handelswege eröffnen soll. China hat über 840 Milliarden Dollar in die Initiative investiert und will damit seinen politischen und wirtschaftlichen Einfluss weltweit ausbauen.







