Erstmals seit elf Jahren steigt der Zins für langfristige Anleihen auf über 1 Prozent. Anleger müssen solche Überraschungen künftig einkalkulieren.
Japans geldpolitische Wende hat einen weiteren Meilenstein erreicht. Am Freitag stieg der Zinssatz für zehnjährige Staatsanleihen (JGB) zum ersten Mal seit elf Jahren mit 1,005 Prozent über die 1-Prozent-Marke. Das allein ist schon etwas Besonderes in Japan, denn die japanische Notenbank hat den Zinssatz für langfristige Anleihen von 2016 bis 2022 bei 0 Prozent belassen. Kazuhiko Sano, Anleihen-Analyst beim japanischen Broker Tokai Tokyo Securities, bezeichnete den Anstieg auf 1 Prozent als unerwartet.
Als Auslöser für den Zinsanstieg gilt, dass der grösste Besitzer japanischer Staatsanleihen, die Bank of Japan (BoJ), seit vergangener Woche weniger Staatsanleihen am Markt kauft als üblich. Martin Schulz, Ökonom beim Technologiekonzern Fujitsu, sieht darin eine Reaktion auf den wachsenden Druck auf die BoJ, den Verfall des Yen zu bremsen. «Die im internationalen Vergleich niedrigen Zinsen in Japan haben zu einer anhaltenden Schwäche des Yen geführt», erklärt Schulz. «Die BoJ wollte daher mit ihrer Aktion die Marktreaktionen auf höhere langfristige Zinsen testen.»
Für den japanischen Anleihe-Analysten Sano zeigt der Anstieg, dass «die Sorgen über eine Reduktion der Käufe von langfristigen Anleihen extrem stark zu sein scheinen». Der Grund dafür ist, dass die Währungshüter rund 50 Prozent der JGB halten und daher selbst kleine Änderungen ihrer Politik einen enormen Einfluss auf den Markt haben können.
Die grosse Frage für Anleger ist nun, ob die steigenden Zinsen die Yen-Schwäche und damit die Rekordjagd am Aktienmarkt beenden könnten. Japans Leitindex, der Nikkei 225, hatte im Frühjahr, angetrieben von der Yen-Schwäche, seinen bisherigen Höchststand aus der Zeit der Spekulationsblase Ende der 1980er Jahre übertroffen.
Wie wirken sich die höheren Zinsen auf die Wirtschaft aus?
Die Auswirkungen der höheren Zinsen auf die Wirtschaft sind nach wie vor gering. Denn der Realzins, also der Zins abzüglich der Inflation, ist in Japan immer noch negativ. Die Inflationsrate liegt derzeit bei rund 3 Prozent. Den Leitzins für kurzfristige Anleihen hat die BoJ dagegen nach der Abkehr von der Negativzinspolitik im April auf 0 bis 0,1 Prozent festgelegt.
Der negative Realzins verbilligt die Kreditaufnahme von Unternehmen weiterhin. Gleichzeitig wird der Immobilienmarkt von der Entwicklung der zehnjährigen JGB nicht stark betroffen. Weil inzwischen 80 Prozent der Hypotheken mit flexiblen Zinssätzen laufen, sind dort die Zinsen für kurzfristige Anleihen ausschlaggebend. Weitere Zinserhöhungen in dieser JGB-Klasse gelten in nächster Zeit jedoch als unwahrscheinlich, da Japans Wirtschaft derzeit nicht wächst und der Konsum noch immer unter dem Vor-Pandemie-Niveau liegt.
Werden die Zinsen weiter steigen?
«Es ist immer noch viel Liquidität im Markt», sagt Schulz. «Ich glaube daher nicht, dass die Zinsen für zehnjährige JGB deutlich über 1 Prozent steigen werden.» Auch Sano weist darauf hin, dass die BoJ die Reduzierung ihrer Bilanz «nicht als geldpolitisches Instrument» einsetzt. Seiner Ansicht nach wird der Abbau bestenfalls langsam erfolgen. Sollte die Zentralbank ihre Bilanz jedoch schneller als erwartet abbauen, könnten die Zinsen schnell steigen, so Schulz. Zudem hält er es für realistisch, dass die Zinsen für zehnjährige JGB bis 2025 auf 2 Prozent steigen könnten – vorausgesetzt, die Wirtschaft wächst wieder solide.
Was bedeutet die Aufwertung des Yen?
Bislang haben japanische Aktien vom tiefen Fall des Yen profitiert. Denn je schwächer die japanische Landeswährung wird, desto stärker wirken sich die Auslandgewinne bei der Umrechnung auf die Bilanzen der japanischen Exportkonzerne aus. Da der Kurs des Yen gegenüber dem Dollar und dem Euro derzeit vor allem durch die Zinsdifferenz zwischen Japan und den anderen Ländern bestimmt wird, befürchten die Anleger, dass der Yen wegen der steigenden Zinsen für langfristige Anleihen wieder steigen könnte.
Bislang hat der Devisenmarkt aber kaum auf die geldpolitische Wende reagiert. Denn, so Schulz, der Wechselkurs hänge derzeit vor allem davon ab, ob die amerikanische Notenbank Fed die Zinsen erhöhe oder senke. Er geht derzeit eher von einer Stabilisierung des Yen auf niedrigem Niveau aus. Denn die Inflation in den USA sei hartnäckig, schnelle Zinssenkungen unwahrscheinlich. Gleichzeitig würden die hohen Investitionen von Ausländern in Japan den Trend nicht umkehren, da gleichzeitig japanische Privatanleger weiterhin stark im Ausland investierten.
Was bedeutet die Entwicklung für Japans Aktien?
Sho Nakazawa, Stratege von Morgan Stanley MUFG, sieht Japans Aktien weiter im Aufwind, auch dank der höheren Inflation. Durch den Preisschub wächst das bis 2022 stagnierende nominelle Bruttoinlandprodukt plötzlich stark an. Für Nakazawa ist das eine gute Nachricht: «Höheres nominelles Wachstum könnte einen guten Einfluss auf Vermögenspreise haben.»
Als andere mögliche Kurstreiber wirken die Reformen der Unternehmensführung, mit denen viele Unternehmen zum Wohle ihrer Aktionäre ihre Gewinne, Dividenden und Aktienrückkäufe erhöhen wollen.
Alexander Redman, Chefstratege bei Citic CLSA in Singapur, hat vor allem die asiatischen Schwellenländer und China im Blick. Aus seiner Sicht ist der Yen einer der Gründe, warum er den japanischen Aktienmarkt nicht mehr übergewichtet.
Er geht zwar weiterhin davon aus, dass der Topix-Index der Tokioter Börse in den kommenden zwölf Monaten um weitere 5 Prozent und in Dollar gerechnet um 10 Prozent zulegen könnte. «Aber ich glaube nicht, dass Japan damit die anderen Märkte der Region weiter outperformen kann.»
Schulz hält das Risiko einer Baisse in Japan für gering. Die Yen-Schwäche sei zwar eingepreist. «Aber wenn sich die Konjunktur in Europa und China verbessert, könnten die Exportkonzerne dort wieder stärker profitieren», sagt er. «Ich rechne daher nicht damit, dass die Aktienkurse wegen steigender Zinsen einbrechen werden.»
Welche Rolle könnten japanische Anleihen im Depot eines Euro-Anlegers spielen?
Der Ökonom Schulz glaubt, dass Japan derzeit für grosse Anleihe-Investoren, die schnell reagieren können, interessant sein könnte. Europäische Eigenheimbesitzer haben in der Vergangenheit den fallenden Yen-Kurs genutzt, um ihre Hypotheken in der japanischen Landeswährung zu finanzieren. «Für Privatanleger halte ich japanische Anleihen wegen des potenziell hohen Währungsrisikos aber für zu spekulativ», so Schulz.
Der Yen sei bereits sehr schwach. Und bei einer Trendwende könnte man sich die Finger verbrennen, wie es in der Vergangenheit Österreichern und Osteuropäern mit Yen-basierten Anleihen ergangen ist.
Welche Auswirkungen sind auf dem globalen Kapitalmarkt zu erwarten?
Bisher haben die Japaner die zu Jahresbeginn eingeführten höheren Steuerfreibeträge für Wertpapieranlagen vor allem dazu genutzt, ihr Geld im Ausland anzulegen. Auch bei etwas höheren Zinsen erwartet Schulz nicht, dass sich die Japaner aus Dollar-Anlagen zurückziehen. Vor allem US-Treasuries seien weiterhin beliebt.
Zum einen seien vor allem japanische Privatanleger sehr skeptisch, was die Performance japanischer Unternehmen angeht, da die heimische Wirtschaft schwächelt. «Ausserdem sind die Aktien aus ihrer Sicht bereits sehr hoch bewertet.» Ausländer sehen das anders. Der CLSA-Stratege Redman sieht den japanischen Topix derzeit bei einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von fast 16. Damit sind japanische Aktien bereits höher bewertet als europäische, aber immer noch niedriger als amerikanische Aktien.