An einer Veranstaltung voller verbaler Superlative haben die Deutsche Bahn und Verkehrsminister Wissing ihre Infrastrukturpläne gefeiert. Deutlich weniger begeistert sind die privaten Konkurrenten.
So hat sich die Deutsche Bahn (DB) den Montag wohl nicht vorgestellt: Auf 11 Uhr hatte sie 300 Gäste aus Politik, Wirtschaft und Medien ins «Futurium», ein Museum für Zukunftsthemen in der Nähe des Berliner Hauptbahnhofs, zur Vorstellung der neuen Infrastrukturgesellschaft DB InfraGo eingeladen. Doch schon am frühen Morgen wurde dieser PR-Event überschattet durch die Meldung, dass die Lokführergewerkschaft GDL den nächsten Streik plane und von Mittwoch bis Montag während sechs Tagen den Bahnverkehr weitgehend lahmlegen werde.
Chronisch zu spät
Die sich derzeit häufenden Bahnstreiks sind allerdings nur die eine Widrigkeit, unter der deutsche Bahnkunden leiden. Die andere sind die chronischen Verspätungen und Zugsausfälle. 2023 erreichten laut DB-Angaben nur 64 Prozent aller ICE- und IC-Züge ihr Ziel pünktlich. Damit war die Pünktlichkeit noch etwas geringer als im schlechten Jahr 2022, in dem sie 65,2 Prozent betragen hatte.
Als ein Hauptgrund für die Unzuverlässigkeit gilt die über lange Jahre vernachlässigte Schieneninfrastruktur. Sie sei «zu alt, zu störanfällig und an vielen Stellen jenseits der Belastungsgrenze», sagte Richard Lutz, Konzernchef der DB, an der Veranstaltung vom Montag. Abhilfe schaffen soll nun «die grösste Reform des Eisenbahnsektors in Deutschland seit der Bahnreform vor dreissig Jahren», wie der liberale deutsche Verkehrsminister Volker Wissing erklärte. Lutz sprach gar von einer «Zeitenwende im Eisenbahnverkehr».
Generalsanierung ab Juli
Bei diesen Plänen übernimmt die per 1. Januar gegründete DB InfraGo eine Schlüsselrolle. Sie ist entstanden aus der Verschmelzung der bisherigen DB-Töchter DB Netz, die für das Gleisnetz zuständig ist, und DB Station&Service (Bahnhöfe).
Die DB InfraGo wird mit mehr als 60 000 Mitarbeitern für das rund 33 400 Kilometer lange Streckennetz und 5400 Bahnhöfe verantwortlich sein. Sie soll zugleich der Wirtschaftlichkeit und dem Gemeinwohl verpflichtet sein und stärker als bisher vom Staat gesteuert werden: Über den sogenannten Infraplan, eine rollierende Planung für jeweils fünf Jahre, sollen Ziele und Strategien für das Netz und die Bahnhöfe in ein konkretes Arbeitsprogramm umgesetzt werden. Der DB-Konzern ist zwar eine Aktiengesellschaft, aber er gehört zu 100 Prozent dem Staat.
Eine der wichtigsten Aufgaben der DB InfraGo wird die Generalsanierung von 40 Hochleistungskorridoren sein: Bis 2030 sollen auf diesen Strecken mehr als 4000 besonders belastete Streckenkilometer von Grund auf saniert werden. Statt dass wie bisher schrittweise immer wieder kleinere Arbeiten ausgeführt werden, sollen während einer Vollsperrung der Strecke Gleise, Weichen, Oberleitungen, Signale und sogar Bahnhöfe gleichzeitig modernisiert werden, damit man danach für längere Zeit Ruhe hat.
Den Anfang macht als eine Art Pilotprojekt die Riedbahn, ein rund 70 Kilometer langes berüchtigtes Nadelöhr zwischen Frankfurt und Mannheim. Die Strecke wird hierzu im zweiten Halbjahr 2024 für fünf Monate gesperrt; die Vorbereitungen laufen schon seit einiger Zeit.
Neben der Generalsanierung des Hochleistungsnetzes soll die DB InfraGo auch das restliche Netz schrittweise modernisieren, weitere Strecken digitalisieren und unter anderem durch mehr Überholmöglichkeiten und zusätzliche Signale die Kapazitäten des bestehenden Netzes erhöhen.
Mehr Eigenkapital
Wissing wiederholte an der Veranstaltung, dass für all das bis 2027 Investitionen in Höhe von rund 40 bis 45 Milliarden Euro nötig seien. Hiervon seien 31,5 Milliarden Euro bereits gesichert: 11,5 Milliarden Euro erhalte die Bahn aus dem Kernhaushalt des Bundes, weitere 20 Milliarden Euro in Form von Eigenkapital.
Letzteres ist eine neuere Entwicklung, weil die Ampelregierung als Reaktion auf das Karlsruher Haushaltsurteil vom November ihre Finanzpläne anpassen musste und weniger Geld aus dem Klima- und Transformationsfonds zur Verfügung steht. Die Erhöhung des Eigenkapitals hat für den Staat einen finanzpolitischen Vorteil: Weil solchen Ausgaben ein Vermögenswert (Beteiligung an der DB) entgegensteht, können sie ausserhalb der Limiten der Schuldenbremse aufgebracht werden.
Während die Hoffnung besteht, dass die geplante Generalsanierung längerfristig tatsächlich zu einem zuverlässigeren Bahnsystem führen wird, droht sich die Situation kurz- und mittelfristig sogar zu verschlimmern, weil immer wieder wichtige Strecken für Monate gesperrt werden müssen. Gleichwohl sind sich viele Experten einig, dass es nach der langen Vernachlässigung der Bahn kaum einen anderen Weg zur Sanierung gibt.
Enttäuschte Konkurrenten
Bei Branchenverbänden und Oppositionspolitikern umstritten ist derweil das Konzept der DB InfraGo. Aus Sicht vieler Kritiker wird sich «abgesehen vom Türschild» nicht viel ändern. Besonders kritisch äusserte sich am Montag erneut Mofair, der Interessenverband der privaten Anbieter im Schienenpersonenverkehr. Er sprach von einer «vermeintlich ‹gemeinwohlorientierten› Infrastrukturgesellschaft».
Der Verband bemängelt unter anderem die mangelnde finanzielle und personelle Entflechtung der Infrastrukturgesellschaft vom Rest des Konzerns. Entgegen der Vereinbarung im Koalitionsvertrag, wonach Gewinne aus dem Betrieb der Infrastruktur in der DB InfraGo verbleiben würden, würden sie nun doch an den Konzern abgeführt. Auch werde die «Beherrschung» der neuen Einheit durch die DB – und eben nicht durch den Bund – beibehalten.
Kritisch sieht Mofair zudem die Finanzierung eines erheblichen Teils der Investitionen über Eigenkapitalerhöhungen. Damit gebe der Bund seine Steuerungsmöglichkeiten weitgehend aus der Hand. Zudem verschärfe er mögliche Wettbewerbsverzerrungen zulasten der privaten Anbieter. Schliesslich stören sich Letztgenannte auch daran, dass die erste Amtshandlung der DB InfraGo der Antrag auf eine kräftige Erhöhung der Trassenpreise gewesen sei, die Nutzer des Bahnnetzes zu zahlen hätten. Dabei bleibe die miserable Infrastrukturqualität mit den schlechtesten je gemessenen Pünktlichkeitswerten völlig unberücksichtigt.
Das Konstrukt der DB InfraGo ist ein Kompromiss innerhalb der Ampelregierung. Vor allem die FDP hatte sich ursprünglich für eine stärkere Trennung des Netzes, bei dem die DB ein Monopol hat, vom Betrieb, in dem sie im Wettbewerb mit privaten Anbietern steht, ausgesprochen. Gebremst haben die Sozialdemokraten von Bundeskanzler Olaf Scholz.
In einer ersten Fassung dieses Textes hatte die Grafik einen falschen Titel. Es hiess, nur jeder dritte Zug sei pünktlich. Es ist natürlich umgekehrt: Rund jeder dritte Zug war zuletzt unpünktlich, wie die Grafik zeigt.