Will die nächste deutsche Regierung energieintensive Industrien im Land halten, muss sie die Stromkosten senken und die Versorgungssicherheit stärken. Eine Gruppe von Regierungsberatern hat gleich mehrere Ideen hierzu präsentiert.
Die im internationalen Vergleich hohen Energiepreise zählen zu den Schwächen des Industriestandorts Deutschland. Damit wird sich auch die künftige, voraussichtlich von Union und SPD gebildete Regierung befassen müssen.
Anregungen dazu kann sie einem Kurzgutachten («Status-Update») entnehmen, das die Expertenkommission zum Energiewende-Monitoring am Freitag zeitgerecht zu den laufenden Koalitionsverhandlungen veröffentlicht hat.
Anstieg der Nachfrage nach Strom wurde überschätzt
Das von Andreas Löschel (Ruhr-Universität Bochum) präsidierte, unabhängige Gremium ist 2021 von der Bundesregierung eingesetzt worden. Im neuen Bericht rufen die Autoren dazu auf, beim Ausbau der Energieinfrastrukturen Einsparpotenziale stärker zu berücksichtigen.
Wie das Kommissionsmitglied Veronika Grimm (Technische Universität Nürnberg) vor Journalisten ausführte, dürfte der Anstieg der Stromnachfrage bis zum Jahr 2030 in früheren Prognosen überschätzt worden sein. Die bisherigen Planungen für den Ausbau der erneuerbaren Energien und der Netze gehen davon aus, dass der jährliche Bruttostromverbrauch Deutschlands im Jahr 2030 rund 750 Terawattstunden (TWh) erreichen werde. Da werde man nicht ankommen, sagte Grimm. Seit 2017 ist der Verbrauch fast kontinuierlich leicht gesunken, auf zuletzt 522 TWh im letzten Jahr.
Der Bericht führt dies ausser auf die konjunkturelle Schwäche der stromintensiven Industrien auch auf den Umstand zurück, dass die Elektrifizierung deutlich hinter den gesteckten Zielen zurückbleibt. So seien Ende 2024 erst 1,4 Millionen Elektro-Personenwagen registriert gewesen, was das Ziel der Ampelregierung von 15 Millionen Fahrzeugen im Jahr 2030 schwer erreichbar mache. Auch die Installation von Wärmepumpen blieb unter den Erwartungen.
Zugleich besteht laut Anke Weidlich (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg) in der nächsten Legislaturperiode grosser Handlungsbedarf darin, die Sektoren Gebäude und Verkehr zu dekarbonisieren und die Industrie auf Klimaneutralität auszurichten. Eine zentrale Strategie hierfür sei die Elektrifizierung. Gefördert werde diese vor allem durch günstige Strompreise. Die Senkung der Strompreise in Verbindung mit einem starken CO2-Emissionshandel sollte daher höchste Priorität haben, erklärte sie.
Vor diesem Hintergrund raten die Experten zur Überprüfung der ambitionierten Ausbaupläne der Stromnetze. Angesichts des vorerst langsamer steigenden Stromverbrauchs sollte laut Grimm abgeklärt werden, ob die Investitionsentscheidungen für den Netzausbau entsprechend angepasst werden könnten. Damit könnte der Anstieg der Netznutzungsentgelte, über die Kosten für den Netzausbau auf die Stromverbraucher überwälzt werden und die einen wichtigen Teil des Strompreises ausmachen, im Zeitverlauf reduziert werden.
Grimm betonte indessen, zugleich bleibe die beschleunigte Planung und Genehmigung von Leitungsvorhaben essenziell. Kosten sparen könne man zudem, indem man bei der Umsetzung von Gleichstromprojekten Freileitungen statt wie bisher Erdkabel vorsehe.
Lokale Strompreise sollen falsche Anreize beheben
Auf Kostensenkungen hatten dieser Tage bereits weitere Akteure gedrängt. Am Donnerstag hat der Bundesverband der Deutschen Industrie, gestützt auf eine bei der Boston Consulting Group in Auftrag gegebene Studie, zwanzig Vorschläge dazu veröffentlicht. Am Wochenende haben die Chefs der Energiekonzerne E.On und RWE, Leo Birnbaum und Markus Krebber, in einem gemeinsamen Interview mit der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung» unter anderem für eine Anpassung der Ausbauziele geworben.
Eine zweite Möglichkeit zur strukturellen Senkung der Kosten sieht die Expertenkommission in der Einführung lokaler bzw. regionaler Strompreiszonen. Die bisherigen, deutschlandweit einheitlichen Preise würden die regional unterschiedlichen Knappheiten nicht widerspiegeln und deshalb falsche Anreize setzen, hiess es. Dies wiederum führe zu ineffizienten Standortentscheiden und einem unwirtschaftlichen Betrieb von Erzeugungsanlagen. Einen entsprechenden Vorschlag hat Grimm zusammen mit weiteren Ökonomen schon letzten Sommer lanciert, doch wird er bisher von Politik und Wirtschaft mehrheitlich abgelehnt.
Risiken für die Versorgungssicherheit
Dringend angehen müsse die neue Regierung das Thema steuerbare Kraftwerkskapazitäten, so lautet eine weitere zentrale Empfehlung des Berichts. Gemeint sind Kraftwerke, die flexibel zugeschaltet werden können, wenn das Angebot (an erneuerbarem Strom) die Nachfrage nicht deckt. Derzeit sinken diese steuerbaren Kapazitäten wegen des Kohleausstiegs, letztes Jahr habe der Bestand erstmals 90 Gigawatt unterschritten.
Der Bau neuer, flexibel einsetzbarer Gaskraftwerke sei essenziell, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, erklärte Felix Matthes (Öko-Institut). Die letzte Regierung hatte hierzu eine Kraftwerksstrategie erstellt, doch das zur Umsetzung geplante Kraftwerkssicherheitsgesetz wurde nicht mehr verabschiedet.
Die Expertenkommission hält einen Neuanlauf für dringlich. Sie plädiert aber dafür, die Detailregelungen zu vereinfachen und weniger restriktiv zu formulieren. Vor allem die vorgesehenen Vorschriften für den Einsatz von Wasserstoff statt des bisherigen Gases würden den Zubau behindern, so ist sie überzeugt.
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