Schweizer erwerben zunehmend Waffenscheine und kaufen auch mehr Pistolen und Gewehre. Die Popularität des Schiesssports, aber auch die Bevölkerungszunahme und ein grösseres Sicherheitsbedürfnis Einzelner sind Gründe für diese Entwicklung.
Die Schweiz ist punkto Waffendichte Weltspitze. Laut einer Schätzung der Genfer Nichtregierungsorganisation Small Arms Survey waren 2018 2,3 Millionen Waffen im privaten Besitz. Gleichzeitig lässt sich statistisch belegen, dass die Schweiz auch eines der sichersten Länder ist. Delikte mit Schusswaffen bleiben selten. Das von einem Einzeltäter 2001 im Zuger Kantonsparlament verübte Massaker war eine schreckliche Ausnahme.
Das nationale Selbstverständnis gründet auch auf dem historisch gewachsenen verantwortungsvollen Umgang mit Waffen. Die Wehrpflichtigen der Schweizer Milizarmee können ihre Dienstwaffe nach der Entlassung aus der Armee kaufen und sie unter Sicherheitsauflagen zu Hause lagern. Diese langjährige liberale Praxis wurde zwar nach mehreren Gewalttaten und Suiziden, bei denen Armeewaffen eingesetzt worden waren, 2011 ernsthaft infrage gestellt. Die Bevölkerung lehnte jedoch die damalige Volksinitiative für strengere Waffengesetze ab.
Nun aber deuten die Statistiken der kantonalen Polizeidienststellen schweizweit darauf hin, dass mehr Waffenerwerbsscheine beantragt werden. Die Kantonspolizei Freiburg stellte 2019 insgesamt 1549 Waffenerwerbsscheine aus. 2023 waren es 1673 – und im letzten Jahr waren es mit 1791 knapp sieben Prozent mehr als im Vorjahr. Im Kanton Freiburg muss der Gesuchsteller seine Motivation darlegen, wenn er nicht Sportschütze, Jäger oder Waffensammler ist.
Im selben Zeitraum stieg im Kanton Luzern die Zahl der Waffenerwerbsscheine von 1874 auf 2680, inklusive Ausnahmebewilligungen. Diese werden seit 2019 erteilt, als das Waffengesetz an die EU-Richtlinie für den Erwerb von halbautomatischen Feuerwaffen angepasst wurde. Laut Urs Wigger, dem Mediensprecher der Luzerner Polizei, schliessen diese Zahlen auch 280 Bewilligungen für Polizeiangehörige ein, die nach der Neubewaffnung ihre alte Dienstwaffe behalten wollten. Unabhängig davon sind innert eines Jahres fast 25 Prozent mehr Erwerbsscheine ausgestellt worden. Über die Gründe für diesen Anstieg wolle er nicht spekulieren, so Wigger. Die Luzerner Polizei führe keine Statistiken zu den Motiven eines Gesuchstellers.
Ähnlich präsentiert sich die Situation im Kanton St. Gallen: 2019 wurden 2059 Waffenerwerbsscheine ausgestellt und 184 Ausnahmebewilligungen erteilt. 2024 wurden 1981 Erwerbsscheine ausgestellt und 763 Ausnahmebewilligungen erteilt. «Unsere Zahlen schwankten in den letzten Jahren immer einmal. Gesamthaft zeigt sich aber ein Aufwärtstrend», sagt Florian Schneider, Kommunikationsverantwortlicher bei der Kantonspolizei St. Gallen. Auch sein Kanton frage nicht nach den Motiven, die jemanden dazu bewegten, ein Gesuch für einen Waffenerwerbsschein einzureichen. «Die allgemeine Weltlage, der Krieg in der Ukraine können hier mitschwingen», so Schneider. Ebenso können aber Ängste angesichts zunehmender Gewalt im öffentlichen Raum oder vor Einbrechern mitspielen. «Solche Gründe sind plausibel. Wir können sie aber nicht statistisch belegen.»
Für die Zunahme bei Waffenerwerbsscheinen und Waffenkäufen verantwortlich ist aber wohl weniger die diffuse Angst vor dem Krieg in der Ukraine. Eine viel wichtigere Rolle dürften folgende Entwicklungen und Beweggründe spielen:
Populärer Schiesssport: Am Eidgenössischen Feldschiessen 2024 nahmen 135 747 Schiessbegeisterte teil. Der Schweizer Schiesssportverband hat seit Jahren eine stabile Mitgliederzahl von rund 130 000 Schützinnen und Schützen. Statistisch aktualisiert der Verband lediglich die Zahlen seiner lizenzierten Mitglieder, die an nationalen Titelwettkämpfen teilnehmen. 2024 waren das 57 806 Personen, während 2018 noch 61 574 Schützen eine nationale Lizenz gelöst hatten. Der Schiesssport hat also unter Bevölkerungssegmenten an Popularität gewonnen, die keine sportlichen Ambitionen hegen. Waffenhändler und Büchsenmacher bestätigen, dass ihre Verkaufszahlen dank dieser Klientel gestiegen sind.
Schiessen wird weiblich: «Zu meiner Zeit gab es im Jungschützenkurs kein einziges Mädchen», sagt Philipp Ammann, Kommunikationsverantwortlicher des Schweizer Schiesssportverbandes. Das habe sich innert einer Generation völlig gewandelt. 2024 waren unter den 8977 Teilnehmenden an den Jungschützenkursen 2066 junge Frauen. Diese bevölkern aber nicht nur zunehmend die Schiessstände. «Im Breitensport sind Männer immer noch häufiger anzutreffen. Im Spitzensport hingegen haben Frauen klar die Oberhand», so Ammann. Das belegten die herausragenden Leistungen der Schweizer Olympionikinnen Chiara Leone oder Audrey Gogniat.
Abseits des Sports dringen Frauen in die traditionelle Männerdomäne der Jagd vor. Jagd Schweiz, der Dachverband der Schweizer Jägerinnen und Jäger, vertritt die Interessen von über 30 000 Mitgliedern. Die dazugehörende Diana Helvetia, die Gemeinschaft der jagenden Frauen in der Schweiz, zählt mittlerweile über 1500 Jägerinnen.
Bevölkerungszunahme: Die Schweizer Bevölkerung ist innert zwölf Jahren von acht auf neun Millionen Einwohner angewachsen. Diese Zunahme ist zwar teilweise immigrationsbedingt. Zudem dürfen Zuzüger aus gewissen Ländern in der Schweiz keine Waffe erwerben (etwa solche aus Ex-Jugoslawien oder der Türkei). Dennoch dürfte sich der demografische Zuwachs auch in den absoluten Zahlen der Waffenerwerbsscheine niederschlagen.
Sicherheitsbedürfnis: Die neusten Statistiken des Bundes belegen, dass sowohl Einbruchsdiebstähle als auch Gewaltdelikte in den letzten Jahren zugenommen haben. Es ist davon auszugehen, dass sich, davon beeindruckt, auch manche Bürger an einer Waffenbörse eine Pistole besorgen. Diese Personen dürften die Sorge um die eigene Sicherheit höher gewichten als den Hinweis darauf, dass eine Waffe in ungeübten Händen mehr Selbstgefährdung als Schutz bedeutet. «Es ist ein Irrglaube, dass eine Waffe für Sicherheit sorgt», betont Florian Schneider von der Kapo St. Gallen.