Die Volksinitiative für eine Erbschaftssteuer von 50 Prozent auf Vermögen über 50 Millionen Franken hat lange vor dem Urnengang Auswirkungen. Laut Beratern und Anwälten laufen bereits die Vorbereitungen für Ausweichmanöver an.
Die Schweizer Jungsozialisten können mit ihrer Volksinitiative für eine Erbschaftssteuer bereits einen ersten Erfolg feiern: Der Vorstoss bringt schon lange vor dem Urnengang potenziell Betroffene ins Schwitzen. Die Initiative verlangt eine Erbschaftssteuer von 50 Prozent auf Vermögensteilen über 50 Millionen Franken. Erleichterungen für Familienunternehmen sind nicht vorgesehen. Die Erträge aus der Steuer sind gemäss Initiativtext zu verwenden «zur sozial gerechten Bekämpfung der Klimakrise sowie für den dafür notwendigen Umbau der Gesamtwirtschaft». Was auch immer das heissen mag.
Eine Erbschaftssteuer von 50 Prozent ist happig. Bei Familienunternehmen könnten die Erben die Steuer unter Umständen gar nicht bezahlen, ohne dass sie die Firma verkaufen oder an die Börse bringen. Ausweichmanöver von potenziell Betroffenen sind wahrscheinlich. Der Initiativtext fordert indes, dass die Ausführungsbestimmungen die Steuervermeidung verhindern, «insbesondere in Bezug auf den Wegzug aus der Schweiz, die Pflicht zur Aufzeichnung von Schenkungen und die lückenlose Besteuerung». Zudem sollen die Ausführungsbestimmungen rückwirkend auf alle Nachlässe und Schenkungen gelten, die nach Annahme der Initiative fliessen.
Verunsicherung gesät
Welche Bestimmungen der Bund zur Bekämpfung der Steuervermeidung beschliessen würde, ist noch offen. Denkbar wäre etwa eine Wegzugssteuer im Umfang der potenziellen Erbschaftssteuer, unter Umständen mit Fälligkeit erst beim Todesfall. Wenn Ausweichmanöver nach dem Urnengang nicht mehr möglich sein sollten, verschiebt sich das Interesse von potenziell Betroffenen auf Ausweichmanöver vor dem Urnengang. Es ist höchst unsicher, ob das Volk die Initiative annehmen wird. Doch die Schweizer Bevölkerung ist genug unberechenbar geworden, damit sich nicht mehr sagen lässt, eine solche Initiative habe ohnehin keine Chance.
Selbst wenn man die Erfolgschancen der Initiative zum Beispiel nur bei 10 bis 20 Prozent ansiedelt, wäre dies schon ein hohes Risiko für eine Unternehmensfamilie, die bei einer Erbschaftssteuer von 50 Prozent das Unternehmen verkaufen und die Hälfte des Gesamtvermögens über 50 Millionen Franken abliefern müsste. Zur Illustration: Würde man eine Strasse überqueren, wenn die Wahrscheinlichkeit, von einem Auto angefahren zu werden, bei 10 bis 20 Prozent läge?
Die Volksinitiative habe schon im Voraus Auswirkungen, sagt Jürg Niederbacher, Partner bei der Beratungsfirma PricewaterhouseCoopers in der Schweiz: «Vor einem Monat hat noch kaum einer der potenziell Betroffenen von dieser Volksinitiative gewusst, doch jetzt ist die Botschaft in diesem Kreis angekommen.»
Ausstrahlung nach England
Die schnellste Wirkung zeigt sich möglicherweise nicht im Inland, sondern im Ausland. Berater verweisen etwa auf wohlhabende Ausländer in Grossbritannien, die dort einen Status als «Nicht-Domizilierte» haben. In diesem Status erhalten Ausländer in Grossbritannien ohne permanenten Wohnsitz einen Steuersitz und müssen dabei ausländische Einkommen nicht versteuern. Laut Angaben der Beratungsfirma KPMG betrifft dies zurzeit etwa 55 000 Personen. Die britische Regierung hat diesen Frühling angekündigt, diesen speziellen Steuerstatus per April 2025 abzuschaffen (mit Übergangsfristen). Für die Schweiz wäre dies gemäss Jürg Niederbacher eine grosse Chance: «Doch wegen der Volksinitiative kommt die Schweiz zurzeit für die Betroffenen als Alternative eher nicht infrage.»
Das Potenzial für Zuzüge in die Schweiz von Wohlhabenden als Folge der britischen Reform unter Ausklammerung der Schweizer Volksinitiative wird von Beobachtern unterschiedlich eingeschätzt. Die Bandbreite der Schätzungen reicht von einigen Dutzend bis zu einigen hundert.
Auch Zuzüge von Wohlhabenden aus anderen Ländern wie etwa Deutschland und Norwegen dürften zurzeit durch die Volksinitiative gebremst werden. «Potenziell betroffene Ausländer, welche sich eine Verlagerung in die Schweiz überlegen, werden nun bis zur Volksabstimmung kaum in die Schweiz ziehen, ausser sie können ihr Vermögen so strukturieren, dass es ihnen nicht mehr zugerechnet wird», sagt Jürg Niederbacher.
Die Gehirne laufen
Auch in der Schweiz hat die Volksinitiative schon einiges ausgelöst. «Alle Betroffenen machen sich Überlegungen über Massnahmen wie etwa einen Wegzug», erklärt ein anderer Experte mit Verweis auf seine bisherigen Erfahrungen. «Wohlhabende Kunden sind auf uns zugekommen, um ihre Handlungsoptionen zu prüfen – etwa einen Wegzug aus der Schweiz oder Schenkungen an ihre Kinder», sagt auch Philipp Zünd, Steuerberater bei KPMG Schweiz. Er verweist besonders auf die Rückwirkungsklausel der Initiative: «Betroffene möchten je nach politischen Aussichten kurz vor der Volksabstimmung bereit sein und treffen daher schon heute konkrete Vorbereitungen.» Frei übersetzt: Deuten die letzten Umfragen vor der Abstimmung nicht auf eine klare Ablehnung, ist mit Wegzügen zu rechnen.
Philipp Zünd erinnert auch an die Zuzüge von reichen Norwegern in die Schweiz in den letzten Jahren wegen einer Erhöhung der norwegischen Vermögenssteuer von 0,85 auf 1,1 Prozent: «Die Welle der Norweger kam, bevor das Land seine Steuererhöhung offiziell beschlossen hatte.» Insgesamt dürften laut Zünd wegen der norwegischen Steuererhöhung «über 100» Norweger in die Schweiz gekommen sein: «Wir alleine haben etwa zwei Dutzend wohlhabende Norweger begleitet.»
Betroffene sind sehr mobil
Doch welche valablen Alternativen zur Schweiz haben Wegzugswillige? Aus rein steuerlicher Sicht sind von Beratern Ländernamen zu hören wie Italien (das eine attraktive Pauschalbesteuerung für Ausländer kennt), Monaco, Dubai und Saudiarabien (die alle keine Einkommenssteuer für Privatpersonen haben) sowie Singapur. Die Frage ist indes, wer in den genannten Orten wirklich längerfristig wohnen will und ob die Schweiz als Gesamtpaket einschliesslich Vorteilen wie Lebensqualität und Lage selbst mit einer hohen Erbschaftssteuer nicht doch noch besser abschneidet.
Die befragten Berater sagen dazu, dass Privatpersonen mit Vermögen über 50 Millionen Franken typischerweise international sehr mobil seien, in mehreren Ländern Liegenschaften besässen und oft nicht das ganze Jahr an einem Ort wohnten. So sei es auch bei einem Wegzug aus der Schweiz gut möglich, weiterhin drei oder vier Monate pro Jahr hier zu verbringen.
«Wenn die Schweiz eine Erbschaftssteuer von 50 Prozent einführt, würden für Betroffene plötzlich viele andere Länder attraktiver werden als die Schweiz», betont KPMG-Experte Philipp Zünd: «Zum Beispiel Österreich, das weder Vermögens- noch Erbschaftssteuern kennt.»
Appelle an den Bundesrat
Wie gross die Wirkungen der Volksinitiative vor der Abstimmung und allenfalls danach wirklich sein werden, kann nur die Zukunft zeigen. Die Steuerrechtsprofessorin Andrea Opel und der Anwalt Stefan Oesterhelt haben diese Woche in einem Gastbeitrag in der NZZ an den Bundesrat appelliert, möglichst bald darzulegen, welche Massnahmen zur Verhinderung der Steuervermeidung in der Umsetzungsverordnung der Regierung infrage kämen.
Die Autoren deuteten an, dass der Bundesrat mit dem raschen Ausschliessen einer generellen Wegzugssteuer das Ausmass vorbeugender Ausweichmanöver wesentlich verringern könnte; der Initiativtext verlangt nicht ausdrücklich eine Wegzugssteuer. Ein anderer Steuerexperte wünscht derweil eine möglichst frühe Volksabstimmung, um die Periode der Unsicherheit möglichst kurz zu halten. Im Normalfall könnte der Urnengang etwa 2026 stattfinden.