Israel vermutet hinter der Ermordung ein islamistisches Terrorattentat mit iranischen Drahtziehern. Die Vereinigten Arabischen Emirate haben mittlerweile die Identität der mutmasslichen Täter veröffentlicht – doch sie unterschlagen ein entscheidendes Detail.
Als die Leiche des ermordeten Rabbiners Zvi Kogan am Montagabend im Beisein Hunderter Israeli auf dem Olivenberg in Jerusalem feierlich beigesetzt wurde, blieben die drängendsten Fragen offen: Wieso musste er sterben? Und wer hatte ihn in seiner Wahlheimat am Golf getötet?
Am Sonntagmorgen hatten die Behörden der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) die Leiche von Zvi Kogan in seinem Auto in der Stadt al-Ain an der Grenze zu Oman entdeckt. Allem Anschein nach war Kogan entführt und anschliessend ermordet worden. Noch am selben Tag verhafteten die Behörden der VAE drei Tatverdächtige.
Der 28-jährige Rabbiner Kogan lebte als Gesandter der ultraorthodoxen Chabad-Lubawitsch-Bewegung in den Emiraten. Er wohnte in der Hauptstadt Abu Dhabi und war dort laut Chabad für «den Aufbau und die Erweiterung jüdischen Lebens» zuständig. Zudem führte er ein koscheres Geschäft in Dubai, vor dem er noch am vergangenen Mittwoch gesehen worden war. Am Donnerstag, drei Tage vor dem Leichenfund, meldete ihn seine Familie als vermisst.
Israel spricht von Terroranschlag auf Geheiss Irans
Für Israel und die Chabad-Bewegung waren die Schuldigen rasch gefunden. Chabad schrieb auf ihrer Website, Kogan sei von Terroristen entführt und ermordet worden. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu sprach von einem «abscheulichen antisemitischen Terroranschlag».
Bereits zum Zeitpunkt der Vermisstmeldung kursierten in israelischen Medien Vermutungen in Bezug auf die Täterschaft. Eine islamistische Terrorzelle, bestehend aus usbekischen Staatsangehörigen, solle den Mord auf Geheiss Irans begangen haben, was Iran umgehend dementierte. Die Emirate warnten ihrerseits vor Gerüchten und irreführenden Informationen. Der Konflikt mit Iran ist einer der gemeinsamen Nenner zwischen Israel und dem Golfstaat.
Der Vorfall löste nicht nur Entsetzen in Israel und der jüdischen Gemeinschaft in den VAE aus, sondern erschüttert das Sicherheitsgefühl der Emirate, die als eines der sichersten Länder der Welt gelten. So rangiert Abu Dhabi in Sicherheits-Rankings stets auf Platz eins. Entsprechend rasch und entschlossen fiel die Reaktion der Behörden auf Kogans Verschwinden aus.
Israelische Staatsbürgerschaft geflissentlich ausgeklammert
Bereits am Montag veröffentlichte das Innenministerium der VAE die Identität der mutmasslichen Täter und bestätigte eine der Vermutungen: Bei den drei Verhafteten handelt es sich um Usbeken. Eine mögliche Verbindung zu Iran hingegen wird nicht erwähnt, ebenso wenig ein Tatmotiv oder der Tathergang.
Ministry of Interior: Security authorities identify the perpetrators of the murder of the Moldovan citizen and initiate legal proceedings.
The Ministry of Interior announced that the competent security authorities have begun initial investigations with the three… pic.twitter.com/f5eNwVvdCa
— وزارة الداخلية (@moiuae) November 25, 2024
Und noch etwas bleibt in den Mitteilungen der Emirate unerwähnt: die israelische Staatsbürgerschaft von Kogan – womit ein kleines, aber wichtiges Detail weggelassen wird. Kogan war nämlich israelisch-moldauischer Doppelbürger. Die VAE aber sprechen nur vom «Mord an einem moldauischen Staatsbürger». Die offensichtliche Verbindung zu Israel, wo prominent über den Fall berichtet wird, wird geflissentlich unterschlagen. Laut der israelischen Zeitung «Ynet» war gar eine israelische Delegation in die VAE gereist, um bei den Ermittlungen zu helfen.
Weshalb dieses Detail ausgeklammert wird, ist unklar. Es dürfte jedoch mit der angespannten Stimmung zu tun haben, die seit Ausbruch des Gaza-Krieges zwischen Israel und den VAE herrscht.
Gaza-Krieg belastet die Abraham-Abkommen
2020 hatten Israel und die VAE ihre Beziehungen im Rahmen der sogenannten Abraham-Abkommen normalisiert. Die Übereinkunft, einer der grössten diplomatischen Erfolge von Donald Trumps erster Amtszeit, sorgte für einen Schub in den bilateralen Beziehungen zwischen den Emiraten und Israel.
Im Jahr nach der Unterzeichnung verfünffachte sich das Handelsvolumen. In Dubai wurde die erste jüdische Gemeinschaft in der arabischen Welt seit hundert Jahren gegründet. Laut Schätzungen leben gegenwärtig 500 bis 3000 Juden in den Emiraten, mehrheitlich in Dubai. Doch der Gaza-Krieg, der als Folge des Hamas-Überfalls vom 7. Oktober 2023 ausbrach, belastet diese Beziehungen.
Israel gab nach Ausbruch des Krieges eine Reisewarnung für die VAE heraus. Jüdische Auswanderer begannen, ihre Kippas zu verstecken, alle inoffiziellen Synagogen wurden aufgrund von Sicherheitsbedenken geschlossen. Nur die einzig offiziell anerkannte Synagoge in Abu Dhabi blieb weiterhin offen.
Die muslimischen Emirate versuchen derweil den Spagat zwischen Aufrechterhaltung der Beziehungen zu Israel und einer glaubwürdigen Unterstützung für die Palästinenser – was nicht überall gut ankommt. So sollen Bürger der VAE wegen der ambivalenten Haltung ihrer Regierung zum Konflikt in arabischen Staaten schikaniert worden sein.
Bislang gibt es keine Anzeichen dafür, dass der Krieg die Normalisierung beenden könnte. Im Gegensatz zu Bahrain, das zeitgleich mit den VAE Beziehungen zu Israel etablierte, verzichteten die VAE auf drastische Massnahmen. Bahrain hatte infolge des Gaza-Krieges die Handelsbeziehungen zu Israel suspendiert und seinen Botschafter aus Tel Aviv abgezogen.
Die VAE pochen auf einen Palästinenserstaat
Eigentlich wären die VAE, die anders als Katar keine engen Kontakte zur Hamas pflegen, ein idealer Partner Israels für einen Wiederaufbau des Gazastreifens nach dem Krieg. Seit Kriegsbeginn liefern die VAE Hilfsgüter oder versorgen verletzte Palästinenser in ihren Spitälern.
Im Verlauf des letzten Jahres versuchte Israel, die VAE als Partner für den Wiederaufbau und die Verwaltung des Gazastreifens zu gewinnen, löste damit aber negative Reaktionen aus. Denn die Emirate knüpfen ihre Hilfsbereitschaft an die Errichtung eines palästinensischen Staates. Die israelische Führung unter Ministerpräsident Netanyahu lehnt dies jedoch kategorisch ab. So ist die Ermordung des israelischen Rabbiners Zvi Kogan ein weiterer Stresstest für die noch jungen Beziehungen.