Im Rennen von Austin könnte eine Vorentscheidung im Duell um die Weltmeisterschaft gefallen sein – zugunsten des Titelverteidigers Max Verstappen.
Für die beiden vorauseilenden Ferrari interessierte sich zwölf Runden vor Schluss des Grossen Preises der USA niemand mehr. Charles Leclerc und Carlos Sainz waren dem Feld längst enteilt und fuhren einem unerwarteten Doppelerfolg entgegen. Trotzdem war der GP in Austin einer der spannendsten dieser Formel-1-Saison.
Vielleicht ist in dem packenden Duell, auf das alle gebannt schauten, eine Vorentscheidung im Titelkampf gefallen. Die Auseinandersetzung zwischen Max Verstappen und Lando Norris schrammte haarscharf an einem Crash vorbei und gipfelte in einer grossen Kontroverse.
Wegen einer Fünf-Sekunden-Strafe musste Norris seinen dritten Platz nachträglich an den Titelverteidiger Verstappen abtreten. Verstappen baute damit zusammen mit dem Sieg im samstäglichen Sprintrennen von Austin seinen Vorsprung in der Gesamtwertung bei noch fünf ausstehenden Rennen um fünf weitere Zähler auf 57 Punkte aus.
Vor allem aber ist das Comeback des Niederländers nach vierwöchiger Rennpause und monatelanger Erfolglosigkeit auch ein moralischer Pluspunkt. Verstappens Selbstvertrauen und Entschlossenheit könnten im vergifteten Klima zwischen Red Bull Racing und McLaren noch eine wichtige Rolle spielen. Lando Norris lamentierte: «Diese Strafe killt unser Momentum.»
Erinnerungen an den Crash in Österreich
Vier Runden vor Ende des 19. WM-Laufs in Texas waren die Vorkommnisse auf der Strecke eskaliert. Norris hatte sich nach missglücktem Start und dem Fall von der Pole-Position auf Rang vier wieder an Max Verstappen herangetastet. Bereits in der Haarnadelkurve ganz zu Beginn waren die beiden über die Streckenbegrenzungen geraten.
Der Angreifer war also gewarnt, zumal er als bester Freund Verstappens genau weiss, wie hart dieser in Zweikampfsituationen zur Sache geht. Verstappen war beflügelt davon, dass die Ingenieure in der vierwöchigen Rennpause sein Auto deutlich verbessert hatten, wovon sein Triumph im Sprint-Rennen zeugte.
Im Hauptrennen aber entsprachen Bremsen und Reifen nicht mehr dem Aufwärtstrend, weshalb Verstappen zum Verteidiger wurde. Norris hatte den Vorteil der besseren Reifen, durfte aber auf keinen Fall das Risiko eines Crashs und eines Ausfalls eingehen. Im Sommer in Österreich waren die beiden kurz vor Schluss kollidiert, der McLaren war ausgeschieden, der Red Bull schleppte sich noch ins Ziel.
McLarens Teamchef ringt um die Contenance
In der 52. Runde von Austin aber war Norris so nahe herangekommen, dass er es wagen musste. Mit dem Mut der Verzweiflung entwickelte sich das umstrittene Manöver. Gleichauf schossen die Rennwagen in den Knick, gerieten über die Strecke hinaus, da Verstappen auf der Innenseite nicht nachgeben wollte. Schliesslich zog Norris weit aussen vorbei und fädelte sich als Erster wieder ein.
Sofort reklamierte Verstappen über Funk und fand Gehör bei den Rennkommissaren. Am entscheidenden Scheitelpunkt der Kurve sei Norris nicht auf gleicher Höhe mit dem Red Bull gewesen und sei deshalb regelkonform mit einer Fünf-Sekunden-Strafe belegt worden. Im korrigierten Endresultat fehlten Norris 0,9 Sekunden, um den dritten Platz zu behalten. Für Verstappen war damit der Gerechtigkeit Genüge getan. Norris wich der Schuldfrage aus und sagte: «Für mich ist das schwierig zu kommentieren. Ich habe gut angegriffen, Max hat sich gut gewehrt. Aber es ist hart und frustrierend.»
McLarens Teamchef Andrea Stella behielt hingegen nur mühsam die Contenance, empfand die Entscheidung als unangemessen: «Die Stewards hätten diesen aufregenden Zweikampf laufen lassen sollen. Der Erfolg wurde uns aus den Händen gerissen, ohne dass wir etwas dafür konnten.» Nachdem Stella darauf hingewiesen hatte, dass der Vorfall einem bestimmten Muster Verstappens entspreche, wehrte sich dieser: «In letzter Zeit beschwert sich McLaren ein bisschen oft über alles Mögliche.»
Vorwürfe hüben wie drüben
Zwischen den rivalisierenden Teams hatte es jüngst abwechselnd Ärger über vermeintliche technische Tricksereien gegeben, der Red-Bull-Statthalter Christian Horner bezichtigte den McLaren-Boss Zak Brown der Brandstiftung, um damit von Feuern unter dem eigenen Dach abzulenken. Zuletzt war den Briten ein sich zu stark verbiegender Heckflügel am Auto verboten worden. Die Eskalationen im WM-Duell beschränken sich längst nicht mehr nur auf die Rennstrecke.
Das Klima zwischen den rivalisierenden Teams verschlechtert sich zusehends, nachdem der Red-Bull-Berater Helmut Marko im Rahmen der üblichen Psycho-Spielchen vor Beginn der Schlussphase der Rennsaison über Norris gelästert hat: «Lando, das wissen wir, hat Startschwächen. Er muss am Renntag gewisse Rituale einhalten, damit er überhaupt seine Leistung bringt.» Gegenüber dem Bezahlsender Sky hat sich der Österreicher für seine Wortwahl entschuldigt für den Fall, dass seine Aussage missverständlich aufgefasst worden sein sollte. Der McLaren-Chef Brown geisselte die Anfeindungen als «ärmlich» und «unter der Gürtellinie». Er habe allerdings von diesem Gegenspieler kaum etwas anderes erwartet.
Brown wiederum hatte sich zuvor über einen vermeintlich illegal eingesetzten Mechanismus am gegnerischen Auto echauffiert, mit dem sich die Unterbodenhöhe illegal verstellen lasse. Red Bull bestreitet die Verwendung der Vorrichtung nicht, sie werde aber nur für den Aufbau der Rennwagen aktiviert. Das fragliche Teil war ohnehin schon länger allen Konkurrenten bekannt. Die Aufsichtsbehörde FIA hat es jetzt sicherheitshalber trotzdem versiegelt. Red Bull verneint einen Einsatz, verspricht einen Umbau – und die technischen Kommissare haben den Fall zu den Akten gelegt. «Paranoia», kommentiert Christian Horner und verschärft damit neuerlich die Tonalität im Titelrennen.