Das verabschiedete Migrations- und Asylpaket soll vor allem Länder an den Aussengrenzen entlasten.
Die EU-Kommission war euphorisch gestimmt, als das EU-Parlament am Mittwochabend ihr Migrations- und Asylpaket guthiess. «Heute ist ein historischer Tag», sagte die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Die Umsetzung des Vorhabens wird schwierig werden. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban hat bereits Widerstand angekündigt. Er schrieb, dass das Paket ein weiterer Nagel im Sarg der EU sei.
Kein anderes Thema schürt in den EU-Mitgliedsländern die Emotionen so stark wie die Migration und das Asylwesen. Derzeit ist die Stimmung besonders aufgeheizt. Anfang Juni wählen die Bürger der EU ein neues Parlament, die Migration wird eines der grossen Themen des Wahlkampfs sein.
Solidarität für Italien und Griechenland
Das Ziel des Gesetzespakets besteht darin, den Anspruch auf Asyl bei Migranten schneller abzuklären und abgelehnte Bewerber zurückzuführen. Damit soll in erster Linie Griechenland und Italien geholfen werden. Sie tragen die Hauptlast der ankommenden Migranten, die Solidarität vieler Mitgliedsländer mit den beiden Staaten ist aber gering.
An den Aussengrenzen sollen geschlossene Zentren entstehen. Dort durchlaufen Asylbewerber mit geringen Chancen ein Schnellverfahren. Das Prozedere soll maximal drei Monate dauern. Die Mitgliedsländer versprechen sich davon, dass es Menschen mit geringen Anerkennungschancen davon abhält, die teilweise gefährliche Reise nach Europa auf sich zu nehmen.
Geplant ist ferner ein Solidaritätsmechanismus. Durch die Übernahme von Asylbewerbern oder durch finanzielle Leistungen helfen sich die Länder gegenseitig aus. Wie viel ein Land leisten muss, hängt von dessen Wirtschaftskraft und der Bevölkerungszahl ab.
Die grossen Parteien raufen sich zusammen
Es ist den drei grossen Fraktionen der Europäischen Volkspartei (EVP), den Sozialdemokraten und den Liberalen zu verdanken, dass die Vorlage im Parlament durchgekommen ist. Auch in ihren Reihen gab es zwar Abweichler, aber am Schluss rauften sich die Parteien zusammen.
Der Druck auf den Fraktionen der Mitte war gross, dem Paket zum Erfolg zu verhelfen. Es war gleichsam die letzte Chance vor den Europawahlen, den Bürgern zu zeigen, dass das Parlament in der Migrationsfrage handlungsfähig ist.
Doch es gibt auch viel Kritik am Vorhaben. Die rechten Parteien lehnen es als zu wenig restriktiv ab. Immer lauter waren allerdings auch die Vorbehalte der Grünen geworden. Auch wenn die Parteispitze in Deutschland für den Kompromiss eintrat, stimmten viele Grüne in Brüssel dagegen.
Dass in den geschlossenen Aufnahmezentren auch Eltern mit Kindern untergebracht werden sollen, halten sie für falsch. «Kinder und Familien in Lager zu sperren, das ist doch keine Lösung», sagt Erik Marquardt, der migrationspolitische Sprecher der Grünen.
Widerstand gibt es auch aus manchen Mitgliedsländern. Dass Orban rebelliert, ist keine Überraschung. In Ungarn gab es im Jahr 2022 bloss 45 Asylanträge, in Deutschland waren es 244 000. Orban wird seine Politik nicht ändern, nur weil das EU-Parlament einen Solidaritätsmechanismus beschlossen hat.
Gewichtiger ist die Widerrede des polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk – eines überzeugten Europäers, dessen Partei der EVP angehört. Für sein Land beansprucht er eine Ausnahme vom Solidaritätsmechanismus, weil Polen sehr viele Ukrainer aufgenommen habe.
Offene Fragen bei der Umsetzung
Das beschlossene Paket ist zweifellos ein Fortschritt, nachdem die Länder während vieler Jahre erfolglos um einen Kompromiss gerungen haben. Allerdings sind die Realisierungschancen noch ungewiss. Die geschlossenen Zentren beispielsweise sind noch nicht gebaut, und sie könnten eines Tages rasch überfüllt sein. Denn der reiche Kontinent wird ein Magnet bleiben für Menschen, die nach einem besseren Leben streben. Zumal hier immer mehr Arbeitskräfte benötigt werden.