Beim Treffen der EU-Aussenminister am Montag blieb die angedrohte Attacke von Ungarns Regierungschef auf die Sanktionen gegen Moskau aus. Einen Wechsel gibt es dafür im Umgang mit den neuen Machthabern in Syrien.
Am Dienstag gab sich Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban noch kampfeslustig: «Die Zeit für einen Wandel ist gekommen», schrieb er auf X und unterlegte das dazugehörige Video mit dramatischer Musik. Die Sanktionen, mit welchen die EU seit bald drei Jahren Russland belegt, hätten weder das Ende des Ukraine-Krieges herbeigeführt noch die russische Wirtschaft entscheidend geschwächt. Dafür hätten sie die europäische Wettbewerbsfähigkeit zerstört, so Orban.
Hintergrund seiner Empörung war eine Frist, die gefährlich näherrückte: Die EU-Staaten haben bis zum 31. Januar Zeit dafür, ihre umfangreichen Wirtschafts- und Finanzsanktionen gegen Russland um ein weiteres halbes Jahr zu verlängern. Danach würden sie hinfällig werden. Auf dem Spiel standen neben Handelsbeschränkungen auch die in der EU eingefrorenen Gelder der russischen Zentralbank in der Höhe von über 200 Milliarden Euro, mit deren Zinsen die Ukraine unterstützt wird.
Weil die Entscheidung einstimmig gefällt werden musste, hatte Orban – der kremlfreundlichste Regierungschef der EU – ein Druckmittel in der Hand. Noch am Freitag blockierte er eine Entscheidung der EU-Botschafter. Der Showdown wurde auf das Aussenministertreffen von Montag vertagt.
Zankapfel Gasversorgung
Doch da knickte die ungarische Regierung erstaunlich widerstandslos ein. Als Gegenleistung für die Aufgabe des Vetos erhielt Ungarn von der EU-Kommission die Zusicherung, dass seine Energiesicherheit ein wichtiges und berechtigtes Anliegen sei.
Der ungarische Aussenminister Peter Szijjarto verkaufte die Einigung im Anschluss als Erfolg. Schaut man sich die EU-Deklaration genauer an, sind die ungarischen Verlautbarungen in erster Linie ein Manöver, um – vor allem gegenüber dem heimischen Publikum – das Gesicht zu wahren.
So verspricht die Kommission gemäss Reuters, dass sie bereit sei, «die Gespräche mit der Ukraine über die Versorgung Europas durch das ukrainische Pipeline-System fortzusetzen» und dafür Ungarn sowie die Slowakei beizuziehen. Die beiden Länder hatten russisches Gas durch ukrainische Transitleitungen erhalten, bis Kiew im Dezember den Hahn zudrehte. Möglicherweise könnte dort künftig Gas aus Aserbaidschan fliessen, wie Präsident Wolodimir Selenski übers Wochenende andeutete. Doch das ist noch völlig offen.
Trumps indirekter Einfluss
Angesichts der unverbindlichen Versprechen scheint es, dass Ungarn – das in der Vergangenheit mit Veto-Drohungen erhebliche Zugeständnisse herausholte – schlicht zu hoch gepokert hat. In Brüssel dominiert jedenfalls die Lesart, dass sich Orban von Präsident Trump Rückendeckung erhofft hatte. Sprich: dass auch der amerikanische Präsident eine Lockerung oder gar ein Ende der Sanktionen gegenüber Russland befürworten würde.
Doch diesen Gefallen machte Trump seinem Freund aus Budapest nicht – im Gegenteil: Praktisch zum gleichen Zeitpunkt, als Orban seine Videobotschaft in die sozialen Netzwerke hochlud, drohte der amerikanische Präsident dem Kreml mit Zöllen, Steuern und Sanktionen, falls er nicht zu einem «Deal» zur Beendigung des Ukraine-Krieges bereit sei.
Kurz: Orban hatte seine Drohkulisse offensichtlich nicht mit Washington koordiniert, was in Brüssel mit Verwunderung – und auch Erleichterung – wahrgenommen wurde. Polens Aussenminister Radoslaw Sikorski sagte am Rande des Treffens mit Augenzwinkern: «Trump droht Russland mit Sanktionen. Ich hoffe also, dass auch die ungarische Regierung deren Sinn und Zweck erkannt hat.»
Waffen-Sanktionen noch nicht gelockert
Die EU-Aussenminister beugten sich am Montag freilich nicht nur über den Umgang mit Moskau. Weit oben auf der Agenda stand auch jener mit den neuen Machthabern in Syrien – eine Frage von hoher migrationspolitischer Bedeutung für Europa.
Die Vertreter der EU-Mitgliedstaaten haben sich darauf geeinigt, die Sanktionspolitik gegenüber Damaskus zu lockern. Die EU-Aussenbeauftragte Kaja Kallas stellte anlässlich einer Pressekonferenz in Aussicht, dass primär in jenen Bereichen, die für den Wiederaufbau des Landes entscheidend sind, die Massnahmen aufgehoben werden sollen. Dies dürfte insbesondere den Energiesektor betreffen.
Strikt bleibt die EU hingegen beim Umgang mit Waffen: In diesem Bereich werden die Strafmassnahmen wohl noch für eine Weile nicht geändert. Auch wenn sich Brüssel über den Sturz des Asad-Regimes freut, traut man den neuen starken Männern rund um Ahmad al-Sharaa nicht so richtig über den Weg: Man habe «weiter Bedenken in Bezug auf eine mögliche Radikalisierung», so Kallas – entsprechend könnten auch die am Montag beschlossenen Sanktions-Lockerungen «jederzeit wieder rückgängig gemacht werden».