Die Inflation in der Euro-Zone ist noch immer zu hoch, zugleich schwächelt die Wirtschaft. Dadurch ist die EZB im Dilemma.
Für die Akteure in der Wirtschaftswelt sind Entscheidungen unter Unsicherheit alltäglich. Das gilt auch für die Geldpolitiker der Europäischen Zentralbank (EZB). Doch derzeit sind die Rahmenbedingungen besonders komplex: Ein drohender Handelskrieg zwischen den USA und der EU, voraussichtlich drastisch steigende Rüstungsausgaben in Europa und die Aussicht auf einen Waffenstillstand in der Ukraine ergeben eine schwierige Gemengelage.
Am Donnerstag hat sich die EZB dadurch jedoch nicht von ihrem bisherigen Kurs abbringen lassen. Die Währungsbehörde senkte die Leitzinsen gemessen am derzeit massgebenden Einlagensatz um 0,25 Prozentpunkte auf 2,5 Prozent. Damit hat sie die Zinsen in der Euro-Zone seit Juni in sechs Schritten um 1,5 Prozentpunkte reduziert.
Deutschland vor Abkehr von der Schuldenbremse
Die Einflüsse der geopolitischen Entwicklungen dürften auch in den kommenden Wochen gross sein und im Fokus stehen. In den USA droht Präsident Donald Trump regelmässig damit, pauschal Zölle in Höhe von 25 Prozent auf Produkte aus der EU zu erheben. Dies würde mit ziemlicher Sicherheit Gegenmassnahmen hervorrufen. Ein solcher Handelskrieg hätte wohl einen deutlichen Dämpfer für die ohnehin schwache Konjunktur in der Euro-Zone zur Folge. Ferner könnte sie möglicherweise die Inflation wieder anheizen.
Zugleich werden Planspiele für eine Waffenruhe in der Ukraine konkreter. Sollte es so weit kommen, dürfte sich das positiv auf das Wirtschaftsklima auswirken. Das Rally an den Aktienbörsen seit Jahresbeginn erklären manche Marktteilnehmer bereits damit, dass ein Grund dafür die Aussicht auf ein Ende des Krieges sei. Allerdings wird das viele europäische Staaten nicht davon abhalten, angesichts der russischen Aggression gegen Nachbarländer ihre Verteidigungsausgaben massiv zu erhöhen, was in einigen Bereichen wiederum die Teuerung anheizen dürfte. Deutschland hat erst diese Woche einen enormen Anstieg der Ausgaben für Militär und Infrastruktur angekündigt.
Für die EZB erscheint es daher sinnvoll, sich vorerst auf die Fakten zu konzentrieren. Die neuerliche Zinssenkung am Donnerstag war vor allem deshalb möglich, weil sich der EZB-Rat auf einem guten Weg sieht, sein Inflationsziel von mittelfristig 2 Prozent gegen Ende des Jahres zumindest fast zu erreichen. In den vergangenen Quartalen hat die Notenbank die Inflation einigermassen gezähmt, wenngleich sie immer noch zu hoch ist.
Im Februar lag die Inflationsrate nach einer ersten Schätzung der Statistikbehörde Eurostat bei 2,4 Prozent gegenüber 2,5 Prozent im Januar. Die Kerninflation, aus der die volatilen Preise für Lebensmittel, Alkohol und Tabak herausgerechnet werden, ist zugleich von 2,7 auf 2,6 Prozent gesunken. Auf sie achten Notenbanker wegen ihrer mittelfristig höheren Aussagekraft besonders. Seit Anfang des Jahres 2024 läuft die Inflation im grossen Bild seitwärts, die Kerninflation war in dieser Zeit stets näher an 3 als an 2 Prozent.
Zuversichtlich stimmte die EZB-Ökonomen, dass die nachlassende Dynamik am Arbeitsmarkt zu einem langsameren Wachstum der Löhne führt. So sind die Tariflöhne in der Euro-Zone im vierten Quartal des vergangenen Jahres nur noch um 4,1 Prozent gestiegen, nach 5,4 Prozent im dritten Quartal. Die EZB-Experten gehen davon aus, dass sich dieser Prozess fortsetzt, obwohl die Arbeitslosenquote in der Euro-Zone weiterhin auf rekordtiefem Niveau ist. Das versetzt Arbeitnehmer bei Lohnverhandlungen in eine gute Position.
Überdurchschnittlich hoch ist der Preisauftrieb weiterhin bei den Dienstleistungen sowie bei Lebensmitteln, Alkohol und Tabak. Die Energiepreise und die Industriegüter haben dagegen im Februar nur geringfügig zum Preisanstieg beigetragen.
Ist das Zinsniveau im Euro-Raum noch restriktiv?
Inzwischen hat in der EZB allerdings eine wegweisende Diskussion über die weitere Entwicklung der Leitzinsen begonnen. Ende Januar hatte die Notenbank das Zinsniveau noch als restriktiv bezeichnet. Jüngst betonte Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel bei einer Rede in London jedoch überraschend, man könne nicht mehr mit Sicherheit sagen, dass die Geldpolitik noch die Konjunktur dämpfe. Die Diskussion ist sehr wichtig für ein mögliches Ende der Zinssenkungen.
Zudem müsse man auf eine Vielzahl von Daten achten, um die Wirkung des Zinsniveaus zu beurteilen, sagte Schnabel sinngemäss weiter. Aus Umfragen bei Banken wird beispielsweise ersichtlich, dass nach Ansicht vieler Institute die derzeitige Zinshöhe die Kreditvergabe nicht mehr abschwäche. Einige Banken spüren sogar eine wachsende Kundennachfrage nach Krediten.
Einige Experten der EZB orten das neutrale Zinsniveau zwischen 2 und 2,5 Prozent, manche auch zwischen 1,75 und 2,25 Prozent. Bei einem neutralen Zinsniveau wird die Konjunktur durch die Zinshöhe weder gedämpft noch gefördert. So oder anders haben sich die Leitzinsen dem neutralen Niveau inzwischen stark angenähert.
Die Äusserungen von Schnabel interpretierten Marktteilnehmer dahingehend, dass die EZB im April möglicherweise eine Zinspause einlegen könnte. Zuvor hatten die Finanzmarktakteure jeweils eine Zinssenkung um 0,25 Prozentpunkte im März, April und Juni erwartet. Es gibt im EZB-Rat allerdings auch Vertreter, die den Leitzins gerne unter die Schwelle von 2 Prozent senken würden.
Eindeutig ist jedenfalls, dass sich die Geldpolitik dies- und jenseits des Atlantiks auf unterschiedlichen Pfaden befindet. Von der US-Notenbank (Fed) erwarten Marktteilnehmer in diesem Jahr nur noch ein bis zwei Zinssenkungen. Bei der Sitzung am kommenden Mittwoch dürfte das Fed das Zinsniveau unverändert lassen.
Einen Tag später tagen die Spitzen der Schweizerischen Nationalbank und der Bank of England. Bei ihnen rechnen die meisten Beobachter mit einer Zinssenkung.
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