Für Genossinnen und Genossen ist die Chance auf das Exekutivamt so gross wie noch nie.
Wer in der Stadt Zürich Stadträtin oder Stadtrat werden will, ist mit Vorteil SP-Mitglied. In keiner Partei sind die Chancen auf ein Exekutivamt besser als in Zürichs grösster Partei. Und: So gut wie jetzt waren die Chancen nie in den letzten eineinhalb Jahrzehnten, weil gleich zwei Sitze vakant werden. Die SP-interne Vorwahl an der Delegiertenversammlung im Juni verspricht deshalb ebenso viel Spannung wie der eigentliche Wahlgang im Frühjahr 2026.
Nun ist das Bewerberfeld komplett. Für die Sitze der zurücktretenden Stadtratsmitglieder Corine Mauch und André Odermatt bewerben sich drei Frauen und ein Mann. Mandy Abou Shoak tritt zudem fürs Stadtpräsidium an und fordert den Bisherigen Raphael Golta heraus. Der Sozialvorsteher steht für die SP ebenso zur Wiederwahl wie die Tiefbauvorsteherin Simone Brander.
Was auffällt: Aus der Stadtparlamentsfraktion der SP tritt niemand an, dafür eine Schulpräsidentin sowie zwei Kantonsräte und eine Nationalrätin komplett ohne Stadtparlamentserfahrung. Die Kandidierenden sind zwischen 36 und 50 Jahre alt. Alle vier arbeiten beim Staat oder bei staatsnahen Firmen oder Organisationen. Aber es gibt auch deutliche Unterschiede zwischen ihren Profilen.
Céline Widmer: die Fleissige
Lange Zeit galt Céline Widmer als Kronprinzessin, als die natürliche Nachfolgerin von Stadtpräsidentin Corine Mauch. Denn die 46-Jährige hat zehn Jahre lang nur eine Türe weiter gearbeitet, als Mitarbeiterin im Präsidialdepartement. Doch als Mauch ihren Rücktritt ankündigte, nahm sie sich fürs Stadtpräsidium selbst aus dem Rennen, aus persönlichen Gründen, wie sie sagte. Stadträtin will sie aber werden. Als Nationalrätin ist sie automatisch in einer Favoritenrolle.
Widmer ist die einzige der vier Aspiranten, die eine Lehre gemacht hat, sie ist Tontechnikerin. Auf dem zweiten Bildungsweg hat sie die Matura nachgeholt und Politikwissenschaft studiert. Sie ist Mutter zweier Kinder und lebt im Stadtzürcher Kreis 4.
Parteiintern hat sie den Ruf der fleissigen Arbeitsbiene. Widmer präsidiert in der SP die interne Kommission Wirtschaft und Finanzen. Im Nationalrat ist das zentrale Thema ihrer Vorstösse die Flüchtlingspolitik: Sie setzt sich für sichere Fluchtrouten, Familiennachzug und die Regularisierung von Sans-Papiers ein. Mit Blick auf Zürich sagt sie das SP-Übliche: mehr günstige Wohnungen und autofreie Quartiere.
Tobias Langenegger: der Umgängliche
Er ist der, der es mit allen kann. Diesen Ruf geniesst Tobias Langenegger im Kantonsrat. Der 39-Jährige ist im Zürcher Oberland geboren und aufgewachsen und wohnt heute im Stadtzürcher Kreis 5. Er ist Nationalökonom und Partner in einem Unternehmen, das sich auf Partizipationsprozesse in der Stadtentwicklung spezialisiert hat.
In der Corona-Krise machte sich Langenegger als Chef der Finanzkommission im Kantonsrat in Gewerbekreisen beliebt, weil er Millionen für die Härtefallhilfe verteilen konnte. Die Tamedia-Zeitungen beschrieben ihn damals als grosses politisches Talent: als Bilderbuch-Schwiegersohn, der in der alternativen Fussballliga kickt, mit seinen Kindern an FCZ-Matches geht und sich die Hausarbeit strikt mit seiner Partnerin teilt.
Die Zusammenarbeit über die Parteigrenzen hinweg ist eine Stärke von Langenegger – als Pragmatiker kann man ihn aber keineswegs bezeichnen. Er politisiert dezidiert links, vor allem in der Wohnfrage. Dort folgt das Vorstandsmitglied des Zürcher Mieterverbands strikt dem Kurs der SP-Nationalrätin Jacqueline Badran, die den gesamten Grund und Boden am liebsten verstaatlichen möchte.
Nett und dezidiert links – dieses Profil dürfte in der Stadtzürcher SP bei vielen Delegierten gut ankommen.
Mandy Abou Shoak: die Aktivistische
Mandy Abou Shoak ist es zu verdanken, dass es SP-intern eine Auswahl für das Stadtpräsidium gibt – zwischen Raphael Golta, einem älteren weissen Mann, und ihr als jüngerer schwarzer Frau. Dieses Profil hebt die 35-jährige Kantonsrätin selbst hervor: Zürich sei eine Stadt mit vielen Migranten, und dies müsse abgebildet werden.
Abou Shoak ist Muslimin und im Sudan geboren; ihre Eltern flüchteten mit ihr als Kleinkind in die Schweiz. Sie bezeichnet sich als «Berufsfeministin». Die Sozialarbeiterin ist für eine Nichtregierungsorganisation im Kampf gegen Gewalt an Frauen tätig.
Zentral in ihrem politischen Schaffen ist der Umgang mit «kolonialer Belastung». Unter anderem ist sie Vorstandsmitglied im afro- und queer-feministischen schwarzen Netzwerk Bla*sh. In dieser Funktion hat sie sich auch schon Zürcher Schulbücher vorgeknöpft. Sie kam zum Schluss, dass es darin von rassistischen Stereotypen nur so wimmle. Im Kantonsrat stellte sie der Regierung kürzlich Fragen zum Umgang mit dem Anti-Israel-Aktivisten Ali Abunimah, der Israel das Existenzrecht abspricht und dem der Bund die Einreise verweigert hatte.
Ihr klares Profil hat eine Kehrseite: Abou Shoak läuft Gefahr, sich als Ein-Themen-Politikerin zu vermarkten. Sie sitzt erst seit zwei Jahren im Kantonsrat und hat mit Abstand am wenigsten politische Erfahrung von allen vier Kandidaten.
Gabriela Rothenfluh: die Strategin
Von allen vier Kandidaten passt Gabriela Rothenfluh am ehesten zum Bild, das man sich von einer klassischen SP-Politikerin in der Stadt Zürich macht. Rothenfluh, 50 Jahre alt, ist Soziologin. Sie ist verheiratet, wohnt in Unterstrass und hat zwei erwachsene Söhne. Sie ist gewerkschaftsnah, ihre Themen sind die typischen: Wohnbau, Städteplanung, Soziales und Schule. Für welches politische Thema sie wirklich brennt, ist weniger greifbar als bei den anderen Kandidaten.
Aus ihrer Zeit als SP-Co-Präsidentin von 2014 bis 2018 sticht hervor, dass sich die Stadtpartei gegen das Projekt «Ensemble» für ein Fussballstadion mit Wohnungen auf dem Hardturmareal stellte. Im Abstimmungskampf taten sich dann andere hervor, in erster Linie die Nationalrätin Jacqueline Badran.
Sie hat in der SP Karriere gemacht, wurde 2011 Gemeinderätin, 2014 SP-Co-Präsidentin und liess sich dann 2018 für das Schulpräsidium Waidberg aufstellen – ein finanziell lukratives Amt. Rothenfluh wurde problemlos gewählt.
2018 sagte sie für ein mögliches Stadtratsamt ab: Da brauche es grosse Namen wie Badran oder Marti, lautete ihre Begründung. Nun rechnet sie sich offensichtlich Chancen aus.
Die weiteren Kandidaturen
Bei den anderen Parteien sind bereits Kandidatenentscheide gefallen. Für die GLP tritt neben dem Bisherigen Andreas Hauri die Gemeinderätin Serap Kahriman für einen zweiten Sitz an, für die Mitte-Partei die Gemeinderätin Karin Weyermann, für die SVP der Kantonsrat Ueli Bamert.
Unklar ist, wer für die Grünen neben den Bisherigen Karin Rykart und Daniel Leupi für den avisierten dritten Sitz antritt.
Und abgesehen von der erneuten Kandidatur von Michael Baumer gibt es von der grössten Oppositionspartei in der Stadt, der FDP, noch gar keine Ankündigungen.